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Jüdisches Leben im Nationalsozialismus: 1934 bis 1945

1933/34
Die NS-Glaubensgemeinschaft „Deutsche Christen“, die die Mehrheit im Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde Solingen errungen hat, erzwingt den Rücktritt von Helene Sternsdorff vom Organistendienst in der Synagoge. Erst nach Einschaltung der Fachschaft Evangelischer Kirchenmusiker in der Reichsmusikkammer wird ihr der parallele Organistendienst in der Kirche und in der Synagoge gestattet.

1935
Der Elberfelder Rabbiner Dr. Joseph Norden geht in den Ruhestand und zieht in seine Geburtsstadt Hamburg.
Die NSDAP-Kreisleitung Wuppertal gibt ein Heft heraus, das ein Verzeichnis jüdischer Geschäfte, Kaufleute, Ärzte und Rechtsanwälte in Wuppertal, Remscheid, Solingen und Niederberg enthält.
Im Stadtpark von Wülfrath wird ein Kriegerdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten eingeweiht. Gegen den Protest aus der Wülfrather Bevölkerung setzt Bürgermeister August Havemann durch, dass auch der Name des jüdischen Soldaten Karl Beyth darauf erscheint.

1936
Eröffnung einer jüdischen Privatschule in Wuppertal-Elberfeld, Nützenberger Straße.

1937
Letztmalige Wahl des Vorstands der Synagogen-Gemeinde Solingen. Vorsitzender wird Siegfried Feist.
Der Elberfelder Lehrer und Oberkantor Gustav Sussmann nimmt sich das Leben.

1938
Die Elberfelder Dichterin Else Lasker-Schüler, die 1933 aus Berlin in die Schweiz geflüchtet ist, wird ausgebürgert.
Zwangsschließung der privaten jüdischen Schule in der Nützenberger Straße. Mit behördlicher Genehmigung kann sie als Schule der Jüdischen Kultusgemeinde in der Stephanstraße 9 wiedereröffnet werden. Ende 1939 wird sie endgültig geschlossen. Die Kinder müssen seitdem täglich zum Schulbesuch in die jüdische Schule nach Hagen fahren.
Im August findet in der Elberfelder Synagoge zum letzten Mal ein Konzert des Jüdischen Kulturbundes Rhein-Ruhr statt. Gegeben werden Werke von Felix Mendelssohn, Frédéric Chopin, Ferrucio Busoni und Eduard Lalo. Lily Heimann-Mamlock spielte die Violine, Ilse Sass Klavier.
Am 28. Oktober werde etwa 200 Juden polnischer oder ohne Staatsangehörigkeit aus Wuppertal, Remscheid und Solingen nach Polen abgeschoben (reichsweit rund 17.000 Menschen).
In der Nacht zum 10. November und den Tagen danach werden die Synagogen und Betstuben in Elberfeld, Barmen, Solingen, Remscheid und anderen Städten der Region, wie noch schätzungsweise 1.000 weitere im gesamten Reichsgebiet, durch Brandstiftung und Demolierung zerstört, die jüdischen Friedhöfe geschändet, Schaufenster eingeschlagen, Menschen misshandelt und festgenommen.
Der Solinger Jude Max Leven wird erschossen.
Am 11. November werden 125 arbeitsfähige Juden aus dem Bergischen Land in das Justizgefängnis Bendahl in Wuppertal eingeliefert, zwei Tage später nach Dachau deportiert und nach zirka vierwöchiger Haft mit einer Auswesungsanordnung wieder entlassen.
Der letzte Rabbiner in Elberfeld, Dr. Alfred Philipp, emigriert nach Palästina.

1939
Gründung der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ und Auflösung der jüdischen Gemeinden als Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Das Gesetz zur Änderung der Mietverhältnisse mit Juden vom April erlaubt arischen Vermietern, ihre jüdischen Mieter in so genannte Getto- oder Judenhäuser einzuweisen. In Wuppertal sind dies mindestens 16 Adressen. Im Haus von Sally und Beate Cohen, Villenstraße 18 in Remscheid, wird ebenfalls ein solches Gettohaus eingerichtet.
In Wuppertal leben noch 1.093 Juden (0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung).
Die Stadt Solingen kauft das Synagogengrundstück, wobei der Kaufpreis von 7694,98 Reichsmark den Abrisskosten entspricht.
Der letzte Lehrer und Vorbeter der Solinger Synagogen-Gemeinde, Jakob Okunski, zieht nach Wuppertal-Elberfeld.
Die Heiligenhauser Jüdin Adele Jacobs wird in der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg im Rahmen der so genannten „Aktion T 4“ (Tötung „lebensunwerten Lebens“ oder Euthanasie) ermordet.

1940
Im Wuppertaler Adressbuch für 1940/41 erscheinen jüdische Bürgerinnen und Bürger mit ihren Zwangsnamen „Sara“ bzw. „Israel“, die sie seit dem 17. August 1938 annehmen und führen mussten.
Die Familie Tietz, Nachfolger des Kaufhausgründers Leonhard Tietz in Elberfeld (heute Kaufhof) erreicht in höchster Not Haifa.

1941
Seit dem 19. September müssen Jüdinnen und Juden ab dem 6. Lebensjahr überall im Deutschen Reich den „Judenstern“ tragen.
Am 17. Oktober nehmen sich die Geschwister Laura, Hedwig und Siegfried Michelsohn vor ihrer bevorstehenden Deportation nach Lodz das Leben.
Am 26. Oktober werden 200 jüdische Männer, Frauen und Kinder aus den bergischen Städten vom Bahnhof Steinbeck aus über Düsseldorf in das Getto Litzmannstadt in Lodz deportiert. Am 9. November folgt die nächste Deportation mit 266 Menschen nach Minsk.
Die beiden jüdischen Patienten der Stiftung Tannenhof, Siegfried Marienthal und Else Gutmann, werden abgeholt und ermordet.

1942
Am 27. Januar wird der Heiligenhauser Jude Artur Jacobs in der Gaskammer von Schloss Hartheim bei Linz ermordet.
Am 21. April werden 61 Juden aus dem Bergischen Land nach Izbica bei Lublin deportiert. Am 20. Juli geht der vorläufig letzte Massentransport von 298 Menschen aus den bergischen Städten, darunter die Bewohner des jüdischen Altersheims in der „Straße der SA“ 73 (Friedrich-Ebert-Straße) nach Theresienstadt.
Am 27. Juli müssen sich die Schwelmer Juden Immanuel Ehrlich und Betty Wassertrüdiger im Saal der Dortmunder Gastwirtschaft „Zur Börse“ einfinden. Zwei Tage später werden sie über den Güterbahnhof Dortmund-Süd mit ungefähr weiteren 1000 Juden aus dem Gestapobezirk Dortmund nach Theresienstadt deportiert. Immanuel Ehrlich kommt dort am 22. November desselben Jahres um, Betty Wassertrüdiger stirbt am 3. August 1943.
Herta Berthold-Plaat aus Düsseldorf findet Zuflucht bei Frau Bach im Haus Mundorf in Radevormwald.

1943
Am 27. Mai muss sich die Schwelmerin sich Erna Marcus zu einem weiteren Transport nach Theresienstadt in der Dortmunder Gastwirtschaft einfinden. Sie überlebt und emigriert später in die USA.
Am 24. November stirbt der aufgrund einer Denunziation ins KZ Dachau eingelieferte 27jährige Elberfelder evangelische Theologe Helmut Hesse. Er hat sich mit Nachdruck für die verfolgten Juden eingesetzt und das Schweigen der Kirche kritisiert.

1944
Am 17. September werden schätzungsweise hundert Juden und Jüdinnen, die, weil sie in „Mischehe“ leben noch in Wuppertal und Solingen wohnen, nach Mitteldeutschland in Arbeitslager, nach Berlin in das „Jüdische Krankenhaus Iranische Straße“ und nach Theresienstadt deportiert. Die meisten der Deportierten überleben.

1945
Befreiung der Konzentrationslager durch die Alliierten.
Im Herbst 1945 gründet der Elberfelder Gustav Brück, der bereits von 1926 bis zur seiner Deportation 1944 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Elberfeld gewesen ist, die neue „Jüdische Kultusgemeinde Wuppertal“, die nun auch die Städte Heiligenhaus, Radevormwald, Remscheid, Solingen, Velbert und Wülfrath umfasst. Zu diesem Zeitpunkt zählt die Gemeinde ungefähr 150 Mitglieder.