Inhalt Seitenleiste

"Vieles ist uns heute unvorstellbar, was damals los war."

Ein aufrichtiger Blick auf die DDR-Bürgerrechtsbewegung, aber auch auf das Beamten-Versagen bei der Polizei am 24. November 1990 im brandenburgischen Eberswalde: Uta Leichsenring stellte sich in der Villa ten Hompel den Fragen junger neuer Mitglieder zum Fall Amadeu Antonio, der bei einem rechtsextremen Übergriff ums Leben kam.

Verfasst am 24. Juli 2023

"Großer Bahnhof" für Uta Leichsenring, die frühere DDR-Bürgerrechtlerin und Polizeipräsidentin im brandenburgischen Eberswalde in der Umbruchzeit nach der friedlichen Revolution 1989/90. Als eine aufrichtige und problembewusste Zeitzeugin bereicherte sie ein Programm der Villa ten Hompel und von "Gegen Vergessen Für Demokratie" (GVFD e.V.) im Münsterland mit einem Angebot der Rückschau und Diskussion, das den jungen Teilnehmenden aus der Uni Münster und weiteren Hochschulen enorm unter die Haut ging, wie es in einer Pressemitteilung des Geschichtsortes und von GVFD e.V. heißt.

Schilderte doch Uta Leichsenring ihre Eindrücke von der Implusion des SED-Regimes, aber auch das spätere Beamten-Versagen in der jung wiedervereinigten Bundesrepublik in einem Einsatz am 24. November 1990 in Eberswalde. Für den gebürtigen Angolaner Amadeu Antonio endete er grausam: Rechtsextreme prügelten ihn, weil er eine andere Hautfarbe als die Mehrheit im Ort hatte und die teils zur Skinhead-Szene zählenden Täter nach eigenen Worten "N**** klatschen" wollten, auf offener Straße zu Tode, während die Polizeikräfte vor Ort nicht imstande waren, dieser offenen Gewalt- und Gefahrenlage zu begegnen und die Opfer gegen den Mob zu schützen. Brandenburg, die Bundesrepublik und die Weltöffentlichkeit waren schockiert. Die Welle der politisch motivierten, rassistischen Gewalt im Lande riss nicht ab: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Hünxe. "Wir müssten hier viele, viele Orte aufzählen", betonte Uta Leichsenring. Polizei sei immer auch Spiegel ihrer Gesellschaft, auch bei diesen damaligen Problem- und Gefahrenlagen. "Darüber gilt es, offen zu sprechen."

Uta Leichsenring wurde erst nach der Tat im Jahre 1991 in das Amt der Polizeipräsidentin von Eberswalde berufen. Dennoch schmerze sie bis heute der steinige, aber eben notwendige Weg der kritischen Aufarbeitung des Übergriffes. "Vieles ist uns heute unvorstellbar, was damals los war", beschrieb sie die Behördensituation, aber auch das Handeln der Menschen mit Rückgrat im Polizeiapparat, die sich für eine Demokratisierung und für mehr Prävention gegen Rassismus und auch Antisemitismus einsetzten. "Da gab es einiges an Herausforderungen." Von 2005 bis 2014 leitete sie die Außenstelle Halle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, heute ein Teil des Bundesarchives.

Im Oktober 2020 kam sie in die Kommission zur Aufarbeitung der rechtsextremistischen Anschlagserie in Berlin-Neukölln. Sie engagiert sich darüber hinaus fortdauernd weiter ehrenamtlich im erweiterten Bundesvorstand von Gegen Vergessen Für Demokratie sowie dem Beirat der Stiftung, die nach Amadeu Antonio benannt ist in mahnender Erinnerung, und hält nach Eberswalde engen Kontakt. Das Zeitzeuginnen-Gespräch mit ihr leiteten gemeinsam die Studierenden Berit Schröder und Jakob Bläsi aus der Regionalarbeitsgruppe Münsterland, deren Sprecher Stefan Querl den Gästen und Mitwirkenden mit Nachdruck dankte für diesen Dialog zwischen Ost und West, der auch von Münster aus intensiviert werden könne.

Spannende Info- und Einstiegs-Programme für neue Mitglieder von GVFD e.V. und für studentische Aktive in der Villa ten Hompel, die zum Beispiel Führungen, Projekte oder Thementage mitgestalten möchten, gebe es regelmäßig in der Kooperation, beispielsweise am Samstag, 12. August, wieder. Interessierte können sich gerne dafür melden per Mail: muensterland@gegen-vergessen.de
 

zurück