Inhalt Seitenleiste

Gemeinsam gegen Antisemitismus

Ende des letzten Jahres wurden für die Stadt Münster mit dem Amt der Beauftragten in Antisemitismusfragen lokale Ansprechpartner für Fragen zu historischem und gegenwärtigem Antisemitismus geschaffen. Mit Stefan Querl und Peter Römer als Stellvertreter ist dieses Amt in der Villa ten Hompel verortet. Auf Landesebene ist seit 2018 die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Bundesjustizministerin a. D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ehrenamtlich als Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW tätig. In einem Interview berichtet sie von ihrer Tätigkeit und nimmt Stellung zur aktuellen Entwicklung des Antisemitismus im Land, zu Herausforderungen, aber auch Chancen für die Prävention antisemitischer und rassistischer Haltungen und zur Bedeutung historischer Bildungsarbeit.

Verfasst am 27. Januar 2021

Was sind Ihre Aufgaben als Antisemitismusbeauftragte in Nordrhein-Westfalen?

Ich bin zur Antisemitismusbeauftragten (ASB) des Landes NRW nach einem Beschluss des Landtages bestellt worden, da Antisemitismus in der Gesellschaft immer schlimmer geworden ist und die antisemitischen Straftaten seit 2016 angestiegen sind. Mein Amt ist ein unabhängiges Ehrenamt ohne die Einbindung in die Landesregierung. Mit einem Büro in der Staatskanzlei mit vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nehmen wir unsere vielfältigen Aufgaben in Absprache mit den jeweils beteiligten Ministerien wahr.

Eine meiner Aufgaben ist die einer Ansprechpartnerin für Opfer von verbalen und physischen antisemitischen Taten. Manche davon sind strafrechtlich relevant, manche nicht. Fast immer geht es aber um Vorfälle, die Ausdruck einer generellen antisemitischen Stimmung sind, die jüdische Gemeinden beunruhigt und bis in die Familien hineinwirkt. Deswegen steht seit Beginn meiner Tätigkeit eine Hotline zur Verfügung, die Betroffene anrufen können. Da geht es um ganz alltägliche Dinge wie Hetze und Hass in Chatgruppen, aber auch darum, ob in einer Justizvollzugsanstalt koscheres Essen zur Verfügung stehen muss.

Eine andere Seite meines Amtes ist die präventive Arbeit, also wie man möglichst Antisemitismus durch Aufklärungsarbeit in Schulen mit Projekten und ansprechendem Unterricht verhindern kann. Erinnerungskultur wie die Pflege von Gedenkstätten in NRW und deren Besuch gerade von SchülerInnen gehören dazu. Bei Gerichtsverfahren wegen antisemitischer Straftaten spielt die Wahrnehmung der Tatumstände und Sensibilität der zuständigen StaatsanwältInnen und RichterInnen und die Kommunikation mit den Opfern eine wichtige Rolle.

Zur präventiven Arbeit gehört es auch, das Dunkelfeld zu erhellen. Viele antisemitischen Meinungen und Taten werden nicht bei der Polizei angezeigt oder anderweitig erfasst.

Ein jährliches Budget macht es mir möglich, Projekte finanziell zu unterstützen. Zum Beispiel das Projekt der „Zweitzeugen“, bei denen SchülerInnen sich intensiv mit Zeitzeugen des Holocaust durch Gespräche und Aufnahmen derer Geschichten beschäftigen und zu „Zweitzeugen“ ausgebildet werden.

Es handelt sich ja um ein relativ junges Amt, Sie sind die erste in dieser Position. Was hat Sie dazu motiviert, dieses Ehrenamt anzunehmen?

In meinem ganzen politischen Leben ist für mich die Wertebasis unserer Demokratie für unser Zusammenleben am wichtigsten gewesen. Gewaltenteilung, Freiheitsrechte und der materielle Rechtsstaat müssen aktiv gelebt und eingefordert werden. Gleichgültigkeit ist eine ständige Gefahr für die Demokratie. Allen voran stehen natürlich die Grundrechte, die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen muss geschützt werden. Antisemitische Angriffe sind auch Angriffe gegen das Fundament unserer Gemeinschaft und gegen die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Durch den Ausschluss einer Gruppe und den Hass auf diese greift man uns alle an. Diese Themen haben mich schon als Abgeordnete und Ministerin beschäftigt. Ich setzte das eigentlich in dieser Aufgabe nur fort.

Deswegen habe ich, als man mich überraschend gefragt hat, zugesagt. Ich spürte eine innere Verpflichtung dazu. Ich bin auch nicht die einzige Antisemitismusbeauftragte.  Es gab, bevor ich im November 2018 berufen wurde, schon in einigen anderen Bundesländern ASB. Die Büros sind in den Ländern sehr unterschiedlich aufgebaut und besetzt. Mir kommen meine politische Erfahrung, das Arbeiten in Verwaltungen und die Kenntnis notwendiger Abstimmungsprozesse zu gute. Aber es gibt auch gute andere Konstruktionen. Ziel ist, dass es in allen Bundesländer ASB gibt.

Mit Stefan Querl und Peter Römer sind vor Kurzem zwei Mitarbeiter von uns im Geschichtsort Villa ten Hompel als Antisemitismusbeauftragte für Münster ernannt worden. Welche Bedeutung sehen Sie in lokalen Ämtern wie diesen?

Ich halte es für sehr bedeutend, dass es auf lokaler Ebene auch Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen für Antisemitismus gibt, denn im kommunalen Bereich finden die Übergriffe statt und dort werden Strukturen dagegen aufgebaut.  In vielen Städten und Gemeinden wurden im letzten Jahr Büros aufgebaut oder Ansprechpartner benannt. Diese unterscheiden sich organisatorisch, denn die Städte und Gemeinden wissen am allerbesten, was gebraucht wird. In NRW sollten sich die verschiedenen Ebenen vernetzten und sich über eine Plattform austauschen.  Nach der Pandemie gibt es hoffentlich gemeinsame öffentliche Veranstaltungen. 

Ich bin eine große Anhängerin der kommunalen Arbeit und bin seit vielen Jahren Kreisrätin im Landkreis Starnberg. Bundespolitik greift nicht, wenn sie nicht vor Ort richtig umgesetzt werden kann. Das zeigt die Pandemie jeden Tag von Neuem.

Ich freue mich auf den Austausch mit Stefan Querl und Peter Römer. Als ASB kann ich auf Landesebene Anstöße geben, aber Veranstaltungen vor Ort, das Umgehen mit lokalen Ereignissen und die Arbeit mit Schülerinnen entfalten große Wirkung. Den Worten folgen dort Taten.

Nehmen Sie Gedenktage auch als eine Möglichkeit wahr, über aktuellen Antisemitismus zu reden?

Natürlich sind Erinnerungstage ein Anlass, sich mit der Geschichte zu befassen. Für diejenigen, die z.B. nicht wissen, wofür Auschwitz steht, ist der Tag der Befreiung von Auschwitz ein Anlass, sich mit dem NS –Unrechtsregime und deren rassistischer Ideologie zu beschäftigen und wohin sie führen kann: der Vernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden. Es hört nie auf, Geschichte zu vermitteln, auch wenn ihr Wissen keine Garantie gibt, dass das menschenverachtende Denken und Handeln nicht wieder erfolgen kann. Es bleibt also eine immerwährende Aufgabe der Bildungseinrichtungen, möglichst viele Menschen zu erreichen. Aber es geht nicht nur um das Wissen über die Vernichtungsmaschinerie Auschwitz, sondern darum, was gegen Antisemitismus getan werden kann. Deshalb nehme ich diesen Anlass für Projekte mit jungen Menschen, sich in Wettbewerben, in kleinen Theaterstücken, Diskussionsrunden, Ausstellungen und anderen Formen mit dem Antisemitismus heute in Schulen und im öffentlichen Raum zu beschäftigen.

Leider kann es im Moment keine Präsenzveranstaltungen geben, aber digital finden auch am 27. Januar 2021, dem 76. Gedenktag der Befreiung von Auschwitz, neben dem Gedenken im Landtag in NRW und im Bundestag rege Debatten und Diskussionen statt.

Was unterscheidet das Jahr 2020 in Bezug auf Antisemitismus von den vorherigen Jahren und welche Ziele setzen Sie sich als Antisemitismusbeauftragte für 2021, welche Herausforderungen und Chancen sehen sie da?

Zum einen war das Jahr 2020, im ganz negativen Sinne, geprägt von dem Verfahren zum Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019. Leider gibt es diese Anschläge immer wieder, auch in NRW vor einigen Jahren in Wuppertal und Düsseldorf. Aber in Halle war es für mich sehr erschreckend zu sehen, wie am helllichten Tag und mit welch radikalisierter antisemitischer und rassistischer Einstellung der Täter zuerst die Synagoge stürmen wollte und als das nicht gelang, zwei Menschen ermordet hat, die ihm über den Weg liefen. Er hat allein die Tat ausgeübt, aber er ist eingebettet in eine besonders durch soziale Medien betriebene Verrohung und Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas, in dem gegen Juden gehetzt wird – meistens von Rechtsextremisten, Reichsbürgern, QAnon –Anhängern und Judenhassern.  Auch Muslime sind betroffen. Und das passiert nicht im Darknet, sondern im für alle zugänglichen Netz.

Das ist für mich auch 2020: Eine verstärkte Sichtbarkeit von Antisemitismus. Dass er nie verschwunden ist, auch nicht nach der Shoa und dem 2. Weltkrieg, ist allgemein bekannt. Aber wie ungeniert, skrupellos und hemmungslos dieser in die Öffentlichkeit gebracht wird, prägt für mich auch das Jahr 2020.

Positiv sehe ich, dass eine deutlich stärkere Sensibilisierung erfolgt und mehr Menschen einsehen: „Wir müssen gemeinsam dagegen stehen.“ Ich merke, dass diese Grundeinstellung, die in einer Demokratie ganz notwendig ist, weiter verbreitet ist als früher und uns Demokraten verbindet und stark macht. Im Kampf gegen den Antisemitismus darf man nie, nicht einen Tag, nachlassen, denn leider sind gerade in Krisenzeiten wie im Umgang mit einer Pandemie mehr Menschen bereit, ihre Sorge, Ängste und ihren Ärger einer gesellschaftlichen Gruppe zu zuschieben und das sind dann häufig die Jüdinnen und Juden, die für alles Übel dieser Welt angeblich die Verantwortung tragen. Gegen diese stereotypen Vorurteile und Verschwörungsmythen helfen selten Fakten, aber die gemeinsame offensiv vertretene Haltung, dass Jüdinnen und Juden eine Bereicherung sind für unsere offene Gesellschaft.

In ihrem Jahresrückblick beschreiben Sie auch, wie sich in den sogenannten „Querdenker-Demos“ antisemitisches Gedankengut in Symboliken wie den Davidsternen mit Impfgegner-Inschrift und den Vergleichen zu Sophie Scholl und der Weißen Rose äußert. Kann man ganze Gruppen und Demos als antisemitisch bezeichnen, bzw. welche Verantwortung tragen in Ihren Augen Mitdemonstrierende?

Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe von Demonstrierenden, die nicht pauschal als antisemitisch bewertet werden darf.  Aber es sind Rechtsextremisten, Holocaust – Leugner, Neonazis dabei, die die Reichskriegsflagge schwingen wie vor kurzem auf den Stufen des Reichstagsgebäudes in Berlin, dem Herz der Demokratie, dem Deutschen Bundestag und Menschen, die „Judensterne“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ tragen. Manche vergleichen sich mit Sophie Scholl, Mitglied der Weißen Rose, da sie sich auch im Widerstand gegen eine angebliche „Merkel – Diktatur“ befinden würden.

Das ist eine brutale Relativierung der Verfolgung von Juden während der Nazizeit und Verharmlosung dessen, was Sophie Scholl im Widerstand gegen eine Diktatur, gegen eine Unterdrückungsmaschinerie, erlebte. Sie hat ihr Leben für ihre Meinung geopfert. Heute in Deutschland kann man gegen Corona-Maßnahmen mit Auflagen aus Sicherheitsgründen demonstrieren, es gibt keine Diktatur, sondern eine gefestigte Demokratie. Und man riskiert nichts, wenn man seine eigene Meinung oder auch Schwachsinn kundtut, es sei denn, es wird gegen Juden oder Muslime Volksverhetzung betrieben. Die Anmaßung mancher Demonstranten ist eine vollkommene Verkehrung der Geschichte. Ich habe mich seit Beginn der Pandemie immer dafür eingesetzt, dass es mit guten Hygieneauflagen Demonstrationen geben können muss, zahlenmäßig begrenzt und an den passenden Orten. Die Grundrechte gelten eben auch in Pandemiezeiten.

Aber es sollte sich jeder sehr gut überlegen, mit wem er zusammen demonstriert. Das ist die Verantwortung eines jeden Einzelnen. Auch wenn die rechtsextremistischen Haltungen oder Gewaltvorstellungen nicht geteilt werden sollten, muss jede und jeder aufpassen, dass das eigene Anliegen nicht von anderen instrumentalisiert wird. Wer das nicht will, dem kann ich nur empfehlen, bei solchen Demos nicht mitzugehen. Dann kann man seine eigene machen, und wenn es eine kleine ist. Aber alle, die sagen: „Ist doch toll, möglichst viele zusammen, dann sind wir wirkungsvoll“, tragen die Verantwortung, dass das auf die Mühlen der Falschen geht.

Aus dem letzten Jahr sind auch die Meldungen zu rechtextremistischen Chatgruppen bei der Polizei in NRW vielen im Kopf geblieben. Wie sehen Sie die Rolle von historischer Bildungsarbeit, wie zum Beispiel in dem Geschichtsort Villa ten Hompel als ehemaliger Täterort?

Ich bewerte diese Arbeit als herausragend wichtig, da gerade historische Bildungsarbeit immer im Blick hat, wie mit Aufarbeitung der Geschichte für junge Menschen auch die Ansprache verbunden ist, sich einzubringen. Es heißt immer, Geschichte wiederhole sich nicht. Ich bin da anderer Meinung. Nicht genau dieselben Ereignisse wiederholen sich, aber Entwicklungen, die es in der Vergangenheit gab, können genauso heute in einem anderen Kontext, mit anderen Akteuren und anderen Auswirkungen, aber in einer ähnlichen Art und Weise wieder passieren.

Die Entwicklung in Teilen der wichtigen Sicherheitsinstitutionen mit einigen rechtsextremen Gruppen ist besorgniserregend.  Denn wenn Menschen und gerade Mitglieder der jüdischen Gemeinden kein Vertrauen in die Polizei oder in Teile der Sicherheitsbehörden haben können, weil sie mit rechtsextremistischen Umtrieben rechnen müssen und selbst davon betroffen sein können, dann erwarten sie auch keinen Schutz von der Polizei. Und genau der ist so wichtig, wie Gewalt gegen Juden und jüdische Einrichtungen zeigen. Es ist unsere Verpflichtung, ein Umfeld zu schaffen, in dem Jüdinnen und Juden möglichst frei von Gefahren und antisemitischen Bedrohungen leben und sich dazugehörig fühlen.  Deshalb müssen rechtsextremistische Umtriebe in staatlichen Sicherheitsinstitutionen umfassend aufgeklärt und die notwendigen rechtsstaatlichen Konsequenzen gezogen werden.

Seit 1700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland. Das wird in diesem Jahr angemessen gewürdigt, denn jüdisches Leben ist ein unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft.

Das Interview führten Corinna Koselleck und Kim Sommerer.

Mehr Informationen zu der Arbeit der Antisemitismusbeauftragten des Landes NRW und Kontakt:

<link https: www.land.nrw de antisemitismusbeauftragte-neu>

www.land.nrw/de/antisemitismusbeauftragte-neu

zurück