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Forschung und Projekte Ehemalige Synagoge Drensteinfurt

Jüdisches Leben in Drensteinfurt

Handschriftliches Originaldokument

Liste der Teilnehmer am Judenlandtag in Telgte (1811) mit Salomon Lazarus und Herz Isack aus Drensteinfurt

Bereits 1581 wurden Juden in Drensteinfurt erwähnt. Im 18.Jahrhundert wohnte jedoch keine jüdische Familie mehr hier. Erst im Jahr 1811 konnten sich wieder Juden in Folge der Judenemanzipation durch Napoleon in Drensteinfurt niederlassen. 1816 wohtnen "14 jüdische Glaubensgenossen" in der Stadt. Die fünf Schulkinder besuchten die christliche Schule und wurden durch einen Privatlehrer in ihrem Glauben unterrichtet. Zum Synagogengottesdienst mussten die Juden nach Herbern oder Sendenhorst gehen. Mindestens seit 1826 existierte ein jüdischer Friedhof vor den Toren der Stadt. Er liegt unmittelbar neben einer früheren Hinrichtungsstätte, dem Galgenplatz.

Als nach dem Gesetz von 1847 zwei Synagogenbezirke im Kreis Lüdinghausen gebildet wurden, gelangte Drensteinfurt als Untergemeinde zu Werne. Inzwischen hatte sich die hiesige Judenschaft auf 26 Personen vergrößert. 1870 kaufte Malchen Reinhaus, die Frau des verstorbenen Synagogenvorstehers, ein Gartengrundstück hinter der katholischen Kirche. Sie stellte es der jüdischen Gemeinde für den Bau eines Bethauses zur Verfügung. Die Drensteinfurter Juden waren auf Spenden ihrer Glaubensgenossen angewiesen, um den Bau finanzieren zu können. 1872 wurde das Gebäude vollendet und eingeweiht.

Die Entdeckung des Minerals Strontianit und dessen Abbau im Bergbau ließ die Bevölkerungszahl in Drensteinfurt um 1880 sprunghaft ansteigen. Auch die jüdische Gemeinde vergrößerte sich. 1890 konnten die Drensteinfurter Juden zusammen mit ihren Glaubensgenossen aus Sendenhorst, Walstedde und Ennigerloh eine selbstständige Synagogengemeinde bilden.

Der jüdische Friedhof reichte jetzt nicht mehr aus. Er wurde 1890 auf etwa das Doppelte seiner bisherigen Fläche erweitert. Der Kindergrabstein für Frieda Salomon war der erste, der auf dem neuen Teil des Friedhofs errichtet wurde. Frieda Salomon, die 1894 starb, wurde nur vier Jahre alt.

Die Drensteinfurter Juden wohnten nicht in einem Ghetto, sondern über das ganze Stadtgebiet verteilt. Etwa von 1880 bis 1900 hatten die jüdischen Familien ihre Wohnungen in den im nebenstehenden Plan gekennzeichneten Häusern.

Die jüdischen Mitbürger verdienten ihren Lebensunterhalt als Metzger oder Händler. Die Familie Reinhaus führte ein Manufakturwarengeschäft an der Mühlenstraße. Es ging später durch Heirat in den Besitz von Siegfried Terhoch über. Die Familie Samuel besaß an der Hammer Straße ein Haus mit einem Fleischerladen.

Mehrere junge Männer der Familien Terhoch und Reinhaus nahmen am 1.Weltkrieg teil und wurden im Kriegslazarett des Drensteinfurter Marienhospitals behandelt. Johanna Samuel verlor ihren Mann Gustav Levy noch im letzten Kriegsjahr 1918.

Die volle gesellschaftliche Anerkennung blieb den Drensteinfurter Juden aber auch jetzt noch versagt. Als Siegfried Terhoch 1913 einen Antrag auf Mitgliedschaft im Bürgerschützenverein stellte, wurde dieser abgelehnt. Nur Christen und "unbescholtene" Bürger durften Mitglied werden.

Im privaten Bereich und weniger traditionsbewussten Vereinen (Rennverein, Junggesellenschützen) fanden die jüdischen Bürger dennoch Freundschaft und Anerkennung. So nahm Helene Terhoch etwa 1933 an einem Kochkursus teil und hatte auch mehrere gute Freundinnen in Drensteinfurt.

In den 1920er Jahren vergrößerten die Brüder Terhoch ihren Viehhandel. Sie kauften Magervieh (Rinder) in großer Stückzahl in Ostpreußen auf, verkauften es z. T. zur Mast an Drensteinfurter Bauern, um es dann wieder auf- und weiterzuverkaufen. Auch der Handel mit Pferden expandierte.

Mit der nationalsozialistischen Herrschaft begann auch in Drensteinfurt ab 1933 die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger, die im Reichspogrom von 1938 einen schrecklichen Höhepunkt fand. SA- und SS-Leute überfielen am 9. November fast alle jüdischen Familien in ihren Häusern, misshandelten sie schwer und trieben sie in die Synagoge, wo sie einen "Gottesdienst" abzuhalten hatten. Das Innere der Synagoge wurde verwüstet. Die Thorarollen wurden geschändet, die Bänke und der Thoraschrein zerschlagen, die Kultgegenstände entwendet. Das Gebäude wurde jedoch wegen der dichten Umgebungsbebauung nicht angezündet. Nach dem Pogrom wanderten 15 Mitglieder der Familie Terhoch nach Uruguay aus. Die in Drensteinfurt verbliebenen jüdischen Bürger waren einer zunehmenden Unterdrückung in allen Lebensbereichen ausgesetzt. 1939 musste Siegmund Salomon in Vertretung der jüdischen Gemeinde das Gebäude an die Tochter des früheren Besitzers des Synagogengrundstückes verkaufen. Sie nutzte das Haus seitdem vorwiegend als Lager- und Abstellraum.

Am 10. Dezember 1941 wurden die letzten zehn noch in Drensteinfurt lebenden Juden nach Münster gebracht und von dort nach Riga deportiert. Mit Ausnahme von Herta Salomon kamen alle in den nationalsozialistischen Lagern um. Herta Salomon lebte nach der Befreiung vier Jahre in einem Flüchtlingslager, heiratete dort und wanderte 1949 mit ihrer Familie nach Israel aus. Werner Terhoch und sein Cousin Herbert Klaus Terhoch besuchten auf Einladung der Stadt Drensteinfurt 1991 bzw. 1998 ihre alte Heimatstadt. Günther Terhoch, der 1938 mit seinen Eltern nach Uruguay emigriert war, kehrte 2001 mit seiner Frau nach Drensteinfurt zurück.