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Der Blick reicht über ’45 hinaus: Nachgeschichte und Folgen der NS-Herrschaft bedeutendes Thema in Gedenkstätten

In den Gedenkstätten in NRW spielt nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus selbst eine bedeutende Rolle; ebenso ist es die Frage des Umgangs mit der NS-Vergangenheit nach 1945, die auf vielfältige Weise in den lokalen Erinnerungs- und Gedenkorten zur Sprache kommt. Zahlreiche der Ausstellungen und anderweitigen Angebote gehen inhaltlich und konzeptionell über die NS-Zeit hinaus und erlauben derart Einblicke in den Prozess der Auseinandersetzung der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft mit der NS-Diktatur.

Verfasst am 08. Mai 2017

Da es sich bei vielen der Einrichtungen um Orte handelt, die während der NS-Zeit sogenannte „Täterinstitutionen“ beherbergten, liegt ein Fokus auf dem Bereich der juristischen Aufarbeitung des NS-Unrechts. Geprägt durch die je eigene Orts- und Hausgeschichte werden sowohl die Bandbreite der an den Verbrechen beteiligten Akteure und Institutionen, zugleich aber auch die offenkundigen Mängel bei den Bestrebungen zur Ahndung der Täter aufgezeigt. Unmittelbar nach dem Krieg als britisches Internierungslager (Civil Internment Camp 7) genutzt, gibt beispielsweise der historische Ort der heutigen Dokumentationsstätte Stalag 326 (VI K) in Senne Zeugnis von den alliierten Bemühungen, die Verantwortlichen für Diktatur, Angriffskrieg und Massenmord zur Verantwortung zu ziehen. Hier waren unter anderem der Amtschef des Reichssicherheitshauptamtes und der Reichsjustizminister interniert.

Die Thematisierung des Umgangs mit den Tätern ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Denn als Gedenk- und Erinnerungsorte räumen die verschiedenen Einrichtungen vor allem den Opfern der NS-Herrschaft breiten Raum ein. So widmet die Dokumentationsstätte „Gelsenkirchen im Nationalsozialismus“ der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit einen eigenen Ausstellungsabschnitt, der sich sowohl der strafrechtlichen Verfolgung der NS-Verbrechen als auch den – häufig unzureichenden – Versuchen einer „Wiedergutmachung“ für die Opfer zuwendet. Und auch in den Räumen der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg hat die Thematik der retrospektiven Auseinandersetzung mit dem NS-Terror einen festen Platz. In einer eigenen Themeneinheit können sich Besucherinnen und Besucher unter anderem mit der Selbstwahrnehmung von SS-Männern nach dem Krieg sowie mit dem „Weiterleben nach dem Überleben“ der dortigen KZ-Häftlinge beschäftigen.

Die Probleme, auf die viele der vom NS-Regime Verfolgten nach 1945 stießen, beleuchtet das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln anschaulich mit der Rubrik „vergessene Opfer“, der gleich zwei eigene Ausstellungsräume gewidmet werden. Anhand von Menschen, die als „lebensunwert“ oder „asozial“ eingestuft, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden oder den Maßnahmen der Zwangssterilisation zum Opfer fielen, macht die Gedenkstätte zum Thema, dass nicht wenige, die in der NS-Zeit aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt und verfolgt worden waren, auch nach 1945 teils weiter gemieden oder gar diskriminiert wurden. Zu ihrer „schwierigen Rückkehr“ in die vermeintliche Normalität gehörte vielfach, dass man ihnen die moralische Anerkennung als Opfer ebenso verweigerte wie eine offizielle Rehabilitierung oder die Zahlung von Entschädigungen.

Mit der Frage, wie die Zeit des Nationalsozialismus nach 1945 wahrgenommen und „verarbeitet“ wurde, setzt sich die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf in einem 2015 eigens eingerichteten „Forum“ auseinander. Und auch der Münsteraner Geschichtsort Villa ten Hompel bietet seinen Gästen vielfältige Möglichkeiten, sich nicht nur mit der Nachgeschichte der NS-Diktatur in der frühen Bundesrepublik zu befassen, sondern darüber hinaus auch den als „Erinnerungskultur“ bezeichneten Komplex der aktuellen Vergegenwärtigungen und Thematisierungen der NS-Zeit zu ergründen. Besonders hervorzuheben ist hier die an die Hausgeschichte angebundene Auseinandersetzung mit der „Entschädigungspraxis“ für unterschiedliche Verfolgtengruppen oder die perspektivische Frage, wie sich der Umgang mit der NS-Vergangenheit heute darstellt.

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