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„Manchmal ist die Wahrheit zu schrecklich, um damit leben zu können“

Große Besucherresonanz bei szenischer Lesung "Die Frau an seiner Seite" in Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945

Verfasst am 11. Mai 2011

Kreis Paderborn (krpb). Während die SS-Männer die Judenvernichtung organisierten, als KZ-Kommandanten arbeiteten oder sich als Ärzte mit der "Auslese unwerten Lebens" befassten, kümmerten sich ihre Ehefrauen um Haushalt und Nachwuchs. Wer waren und wie dachten die (Ehe-)Frauen von NS-Tätern? Wie lebte es sich an der Seite eines Massenmörders?

Frauen im Nationalsozialismus sind ein von der Geschichtsschreibung stiefmütterlich behandeltes, in der breiten Bevölkerung kaum diskutiertes Thema. Mit der szenischen Lesung „Die Frau an seiner Seite“ beleuchteten die drei Berliner Schauspielerinnen Inga Dietrich, Joanne Gläsel und Sabine Werner am vergangenen Freitag, den 6. Mai, im Burgsaal der Wewelsburg dieses noch wenig erforschte Kapitel der NS-Geschichte. Die zwei angebotenen Aufführungen stießen auf großes Besucherinteresse: Morgens sahen gut 200 Schülerinnen und Schüler aus Delbrück, Paderborn und Niederntudorf/ Wewelsburg die Lesung, am Abend kamen etwa 150 historisch interessierte Besucherinnen und Besucher in den Burgsaal.

Heiratsgenehmigung durch das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt

Anhand von Tagebüchern, Briefen, historischen Tondokumenten und Nachkriegsaussagen wurden besonders die Lebenswege von Ehefrauen von NS-Tätern begleitet. Wie standen die Frauen von Franz Stangl, Josef Mengele und Rudolf Höß zum Nationalsozialismus, wie lebten sie an der Seite ihrer Männer an deren Einsatzorten in KZ- und Vernichtungslager, wie deuteten sie nach 1945 die eigene Rolle sowie die ihrer als Kriegsverbrecher verurteilten Gatten?

Kopfschütteln im Publikum riefen die Voraussetzungen für die Genehmigung zur SS-Hochzeit vor: Braut und Bräutigam mussten beim Rasse- und Siedlungshauptamt der SS zunächst in über 180 Dokumenten ihre Ehe-Tauglichkeit und „Reinrassigkeit“ nachweisen. Neben dieser Übernahme der rassistischen Weltanschauung der SS wirkten die Ehefrauen aber auch direkt und indirekt an den nationalsozialistischen Verbrechen mit: Durch ihre Präsenz an den Orten der Vernichtung, schufen sie so etwas wie Normalität, was letztlich zur Durchführung des mörderischen Handwerks durch ihre Männer beitrug. Ein SS-Arzt, dem seine Tätigkeit in Auschwitz-Birkenau erst schwer zusetzte, wählte – nachdem seine Ehefrau an seinen Dienstort geholt worden war – bis Ende 1944 an der Rampe Menschen für die Tötung in Gaskammern aus. Neben solcher mentalen Unterstützung wirkten manche Ehefrauen aber auch selbst an den Verbrechen mit, etwa als Aufseherinnen oder Verwaltungskräfte in Konzentrationslagern oder „Euthanasie“-Tötungsanstalten. Zahlreiche der Ehefrauen von NS-Tätern bereicherten sich zudem auch an dem Besitz ermordeter Menschen.

Juristisch belangt oder gar verurteilt – so unterstrichen die Schauspielerinnen Dietrich, Gläsel und Werner – wurde nach dem Krieg keine der porträtierten Ehefrauen, auch nicht Lina Heydrich oder Margarete Himmler. Für viele Ehefrauen von NS-Tätern setzte nach 1945 ein Prozess der Auseinandersetzung mit eigener Schuld und Verantwortung ein. Die Mehrzahl verdrängte das Geschehene aber wohl. Denn, so der letzte Satz der szenischen Lesung, „manchmal ist die Wahrheit zu schrecklich, um damit leben zu können.“

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