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Villa ten Hompel erhält Einladung nach Yad Vashem

Internationale Tagung hinterfragt kritisch den Umgang mit der NS-Vergangenheit in Schulen und Gedenkstätten. Als innovatives Konzept steht dabei das Angebot des Geschichtsortes in Münster im Blickpunkt

Verfasst am 20. Juli 2004

"Aus der Geschichte lernen" - funktioniert das überhaupt? Oder ist der Satz nicht längst zu einer abgegriffenen Floskel verkommen? Werden die Schatten der Hitler-Diktatur länger und länger oder lösen sie sich langsam auf? Müssen sie zukünftigen Generationen eigentlich immer neu gezeigt werden? Schwingt nicht heute häufig schon ein erhobener Zeigefinger mit, wenn in Schulen oder in Gedenkstätten über Vergangenheit und Verantwortung gesprochen wird? Heikle Fragen aus der pädagogischen Praxis, die Wissenschaftler, Zeitzeugen, Lehrer sowie Experten für Jugend- und Erwachsenenbildung im August (selbst-)kritisch bei einer internationalen Tagung analysieren werden. Dazu eingeladen hat Yad Vashem, die zentrale Mahn- und Gedenkstätte des Staates Israel, die nach ihren offiziellen Jubiläumsfeierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen nun bald Referenten und Gäste aus aller Welt in Jerusalem versammelt. Auch die Stadt Münster wird im Programm vertreten sein. Als ein innovativer deutscher Beitrag zur Menschenrechtserziehung und Erinnerungskultur steht dort die Bildungsarbeit am Geschichtsort Villa ten Hompel zur Diskussion.

Erinnern, Forschen und Lernen: einige Skizzen und Elemente aus diesen drei tragenden "Säulen" der Villa ten Hompel nimmt Stefan Querl für seinen Workshop mit ins Tagungsgepäck. Der Doktorand aus Dinslaken, der während der Konferenz 30 Jahre alt wird, gehört zu den Nachwuchskräften, die zurzeit das Team am Kaiser-Wilhelm-Ring verstärken. So kann sich der beurlaubte Leiter des Münsteraner Forschungsinstitutes, Prof. Dr. Alfons Kenkmann, gezielt der Lehre und Lehrerausbildung an der Universität Leipzig widmen. "Oft ergeben sich sogar Synergieeffekte für die Seminare mit Schulen und Jugendgruppen hier in Münster", unterstreicht Kenkmann, und Christoph Spieker, der seit Oktober kommissarisch alle Leitungsaufgaben wahrnimmt, ergänzt: "Unsere Quellenbestände aus Objekten, Nachlässen, Akten und aus Aussagen, die Studierende, Historiker, Juristen und Polizisten zusammengetragen haben, sind Zeugnisse, die Schülern weitaus mehr vermitteln als klassisches Schulbuchwissen."

Stefan Querl organisiert seit 2001 Seminare und Führungen in der Münsteraner Dauerausstellung "Im Auftrag. Polizei, Verwaltung und Verantwortung". Er hat seither mit fast 1500 Jugendlichen aus allen Schulformen gearbeitet und begleitet regelmäßig Exkursionen zu KZ-Gedenkstätten. In Israel wird er einige Beispiele für historische Befunde nennen, die in solchen Jugendprojekten heftige, aber fruchtbare Debatten auslösen. "Einerseits existieren die Schilderungen von den Verfolgten und Leidtragenden in der NS-Zeit, die unter die Haut gehen. Daneben entdecken wir über die Villa ten Hompel neue Spuren zu den Tätern, die von völlig unterschiedlichen Motiven und Mentalitäten zeugen." Es gebe eben nicht nur "stramme Nazis" und Hauptkriegsverbrecher, sondern auch etliche "ganz normale" Männer und Frauen, die das braune Regime zu Mördern oder Handlangern gemacht habe. Oder für die Verfolgung ein bloßer "bürokratischer Verwaltungsakt" gewesen sei.

Doch war es möglich, "Nein" zu sagen, sich gegen Befehlshaber zu stellen, Verfolgten zu helfen? Wo beginnt Widerstand, wo Täterschaft? "Wenn Schwarzweißmalerei eigenen Schlüssen aus dem Quellenmaterial weicht und wenn Schüler in der Geschichtsschreibung zwischen den Zeilen lesen lernen, wird's spannend. Dann ändert sich plötzlich der Tonfall in unseren Seminaren", beschreibt Stefan Querl. Über altersgerechte Zugänge könne auch der Brückenschlag vom Historischen ins Heute gelingen. "Betroffenheit lässt sich nicht verordnen." Junge Leute in NS-Gedenkstätten "läutern" zu wollen, sei grundfalsch. Nur wer sich selbst Urteile bilden dürfe, wer Mut, Toleranz, Demokratie und Kritikfähigkeit vorgelebt bekomme, bleibe resistent gegenüber Gewaltbereitschaft, Fremdenhass oder gegenüber den extremistischen Rattenfängern, "gleich welcher Couleur."

Dass neben die wissenschaftlichen Kontakte zu Yad Vashem, die seit längerem bestehen, jetzt ein praktischer Austausch über den Bildungsbereich und die Gedenkstättenpädagogik tritt, wird auch von der Stadtspitze positiv aufgenommen. Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann stimmte dem Plan für die Tagungsteilnahme prompt zu, Beigeordnete Helga Boldt sprach von einer "Ehre für die Stadt Münster." Die Einladung zeige, so die Kultur- und Schuldezernentin, welches Ansehen die Arbeit der Villa ten Hompel mittlerweile im In- und Ausland genieße.

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