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„Liebe Elli, ich bin sprachlos...“

Deutsch-ukranische Pionierarbeit zur Erinnerung an den Besatzungsalltag / Ausstellungseröffnung in Münster mit guter Resonanz

Verfasst am 26. August 2007

Als der Landwirt Johann Bösche 1942 den ersten Brief aus dem deutschen Besatzungsgebiet in Iwankiw (Ukraine) an seine Frau Elisabeth nach Münster schrieb, lobte er vor allem das sonnige Wetter. Ein persönlicher Eindruck aus einem Land, in dem sich mit dem deutschen Einmarsch zuvor einiges verfinstert hatte. Für viele Menschen in Iwankiw und Umgebung war die Besatzung eine Zeit, die von Ausbeutung, Vertreibungen und Rekrutierung zur Zwangsarbeit geprägt war. Bösche war von September 1942 bis Oktober 1943 in dem ukrainischen Ort als Referent des dortigen Gebietslandwirts stationiert. Damit war er Teil der Zivilverwaltung, aber eben auch ein wachsamer Zeit- und Augenzeuge, der etliche Eindrücke in Bildern und Worten festhielt.

Am Donnerstag, 23. August, stellten Schüler des Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasiums Münster und der Allgemeinbildenden Mittelschule Nr. 2 aus Iwankiw die Ergebnisse eines Projektes vor, das sie in den vergangenen 16 Monaten intensiv beschäftigt hatte.

Begonnen hatte alles im kleinen, persönlichen Rahmen: Prof. Dr.-Ing. Harald Bösche fielen die Fotos seines Vaters aus der deutschen Besatzungszeit in der Ukraine in die Hände. Über einige Umwege gelangte dieser Quellenbestand zu Dr. Wolfhart Beck, Geschichtslehrer am Annette-Gymnasium. Beck wiederum suchte daraufhin in der Oberstufe nach Schülern, die Interesse an einem deutsch-ukrainischen Jugendforschungsprojekt und einer Analyse der Briefe und Bilder hatten. Auf Grundlage des privaten Nachlasses entstand eine interkulturelle Gemeinschaftsarbeit.

In einer zweiten Projektphase im März bot sich den deutschen Schülern ein wichtiger Anknüpfungspunkt zu ihrer Tätigkeit: durch eine Reise nach Iwankiw erhielten sie die Möglichkeit, die Schauplätze, die auf den historischen Aufnahmen sichtbar waren, vor Ort in heutigem Zustand zu besichtigen und mit Zeitzeugen in Kontakt zu kommen. „Diese Gespräche sind eine Erinnerung, die uns sicher noch intensiv beschäftigen wird“, vermutet die Abiturientin Laura Millmann und Philipp Seifert bekräftigt: „Der persönliche Kontakt ist das, was zählt.“

Die Offenheit der Zeitzeugen, unter denen sich auch ein ehemaliger Widerstandskämpfer befand, hat nachhaltig imponiert. „Man hat wirklich gemerkt, dass die Menschen mit uns sprechen wollten. Sicherlich gab es auch Skepsis angesichts unserer Anwesenheit in Iwankiw, doch ist das nie öffentlich gezeigt oder an uns heran getragen worden“, erzählt Laura.

Bei den Gesprächen wurde die Schülergruppe von Frau Oksana Nikolaychuk von der Ukrainischen Nationalstiftung „Verständigung und Aussöhnung“ als Dolmetscherin unterstützt. Während des Aufenthalts konnten die Schüler außerdem gemeinsam eine Ausstellung im Heimatmuseum in Iwankiw eröffnen, die die Ergebnisse der ersten Projektphase dokumentiert.

Beim jetzigen Gegenbesuch der ukrainischen Schüler in Münster konnte die Ausstellungseröffnung im Annette-Gymnasium ebenfalls durch beide Schülergruppen stattfinden. Nach den Grußworten von Direktor Dr. Arnold Hermans lobte auch Kultur- und Schuldezernentin Dr. Andrea Hanke das Engagement aller Beteiligten. Dabei berichteten die Jugendlichen von ihren Erfahrungen und richteten einige persönliche Grüße aus. Yaroslav Melnychuk bekräftige seinen Wunsch, dass die Kontakte zwischen den deutschen und ukrainischen Schülern auch nach dem Ende des Projekts fortbestehen sollen.

Beck lobte die Arbeit und den Einsatz der jungen Menschen aus beiden Nationen. „Diese Art der Recherche war in jeder Hinsicht neu. Unsere Gemeinschaftsarbeit ist Pionierarbeit gewesen.“. Auch die Schüler sind sich einig: „Das war ein einmaliges Projekt, das uns viel bedeutet.“

Harald Bösche fand abschließend die treffenden Worte im Stile des von ihm zitierten Vaters: „Liebe Elli, ich bin sprachlos...“

Alle Beteiligten im Projekt:

Die ukrainische Schülergruppe: Ruslan Davydor, Tetiana Ivanenko, Yaroslav Melnychuk, Viktoriia Prevor und Dmytro Serhienko arbeiteten unter der Leitung von Frau Oksana Nikolaychuk von der Ukrainischen Nationalstiftung „Verständigung und Aussöhnung“ und Frau Galinka Dubynska, Lehrerin an der Allgemeinbildenden Mittelschule Nr. 2 in Iwankiw bzw. Iwankow.

Die deutsche Schülergruppe: Lisa Chiofalo, Verena Klämbt, Carolin Kunsleben, Laura Millmann, Morzall Paenda, Marius Riebandt, Philipp Seifert, Annika Thiemann, Diana Tombült, Carla Wem-ber unter der Leitung der Geschichtslehrer Dr. Wolfhart Beck, Dr. Gundula Caspary und Bärbel Dahlhaus vom Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium Münster.

Unterstützt wurde das Projekt im Rahmen des Förderwettbewerbs „Geschichtswerkstatt Europa“ des Fonds „Erinnerung und Zukunft“ der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ und der Robert-Bosch-Stiftung. Zu den historischen Themenkomplexen berieten das Stadtarchiv und der Geschichtsort Villa ten Hompel im Kultur- und Schuldezernat der Stadt Münster die AG.

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