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Februarstreik und deutsche Ordnungspolizei - Interview mit Christoph Spieker

Vor 80 Jahren fand der Februarstreik in Amsterdam und weiteren niederländischen Städten statt: Tausende legten am 25. Februar 1941 ihre Arbeit nieder – ein erstes Zeichen des Widerstandes gegen die deutschen Besatzer und ihre antijüdischen Maßnahmen.

Erst am 26. Februar griffen die deutschen Besatzer durch. Auf der Gegenseite der Streikenden stand unter anderem die deutsche Ordnungspolizei, an ihrer Spitze Befehlshaber Otto Schumann, der 1942 durch den früheren in Münster ansässigen BdO des Wehrkreises VI, Heinrich Lankenau abgelöst wurde. In einem Interview sprach Christoph Spieker, Leiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel, nun über die Rolle der Polizei bei der Provokation und Niederschlagung des Februarstreiks, das Verhältnis der Polizei zur niederländischen Bevölkerung und die Erinnerung an den Streik sowie die Aufarbeitung der polizeilichen Beteiligung an den Verbrechen.

Verfasst am 28. Februar 2021

Vor 80 Jahren fand der Februarstreik in Amsterdam und weiteren niederländischen Städten statt: Tausende legten am 25. Februar 1941 ihre Arbeit nieder – ein erstes Zeichen des Widerstandes gegen die deutschen Besatzer und ihre antijüdischen Maßnahmen.

Der Aufruf zum Streik erfolgte nach Zusammenstößen zwischen der jüdischen Bevölkerung und der deutschen Polizei bzw. zuvor niederländischen Anhängern der nationalsozialistischen Bewegung. Einheiten der deutschen Ordnungspolizei stürmten bei einer Patrouille eine Eisdiele im jüdischen Viertel Amsterdams, in dem sich Gegner des Nazi-Regimes versammelt hatten. Diese verteidigten sich mit Ammoniakgas gegen die Polizisten. Hierauf reagierten die Besatzer in den darauffolgenden Tagen mit Repressionsmaßnahmen. In gewalttätigen Razzien wurden am 22. und 23. Februar mehr als 400 jüdische Männer verhaftet und über Buchenwald nach Mauthausen deportiert. Als Zeichen gegen die Maßnahmen rief die kommunistische Partei zum Streik auf.

Erst am 26. Februar griffen die deutschen Besatzer durch. Auf der Gegenseite der Streikenden stand auch die deutsche Ordnungspolizei, an ihrer Spitze Befehlshaber Otto Schumann, der Ende 1942 die Position mit dem Befehlshaber der Ordnungspolizei (BdO) im Wehrkreis VI mit Sitz in der Villa ten Hompel, Heinrich Lankenau, tauschte. In einem Interview sprach Christoph Spieker, Leiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel, nun über die Rolle der Polizei bei der Provokation und Niederschlagung des Februarstreiks, das Verhältnis der Polizei zur niederländischen Bevölkerung und die Erinnerung an den Streik sowie die Aufarbeitung der polizeilichen Beteiligung an den Verbrechen.


Was passierte beim Februarstreik und welche Rolle spielte der BdO bzw. die Ordnungspolizei dabei?

Anders als etwa Belgien richteten die deutschen Besatzer in den Niederlanden eine Zivilverwaltung ein, an deren Spitze Arthur Seyss-Inquart als Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete stand. Ihm unterstanden vier Generalkommissare, die die Niederlande regieren, verwalten und kontrollieren sollten. Die Besatzer sahen die Niederlande dabei als eine Erweiterung des großgermanischen Gebietes an, weshalb sie zunächst versuchten, die Bevölkerung für sich zu gewinnen und sich als ihr Freund darzustellen.

Als Befehlshaber der Ordnungspolizei versuchte Otto Schumann, dieses Leitbild der Polizei als Freund und Helfer praktisch umzusetzen. So gab es z.B. Veranstaltungen, u.a. am Tag der Polizei, bei denen Kinder beköstigt wurden, und Presseartikel und Filmberichte, mit denen sich die Polizei als Helfer darstellte. Das war der Versuch einer freundlichen Besatzung, aber diese Behandlung galt nur für diejenigen, die als Teil der Volksgemeinschaft betrachtet wurden – also nicht für Jüdinnen und Juden. Die nationalsozialistische Ideologie spielte eine große Rolle.

Mit dem Ausschluss der jüdischen Bevölkerung vom Luftschutz war Schumann einer der ersten, die antisemitische und judenfeindliche Aktionen ankündigten. Im Februar 1941 führte die Ordnungspolizei willkürliche Verhaftungen durch. Etwa 400 Männer wurden nach Mauthausen deportiert, wo sie ob der schlechten Lebensbedingungen umkamen. Einer dieser Männer war Bernhard Weyl, dessen Neffen Max ich vor einiger Zeit kennengelernt habe. Bis auf Max Weyl starben alle Familienmitglieder durch den nationalsozialistischen Terror in Konzentrationslagern.

Der Februarstreik war nun eine erste Bevölkerungsreaktion auf die Verhaftungen und die Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden. Die deutschen Besatzer griffen hart durch. Es kam zu Verletzten und Toten. Himmler, der wenig später in die Niederlande kam, lobte die Reaktion der Polizei.


Hat sich das Verhältnis der Polizei zur Bevölkerung nach dem Streik verändert?

Das Bild der freundlichen Polizei, wegen ihrer Uniformen als „Grüne Polizei“ bezeichnet, hielt sich nicht lange.

Die Razzien gegen die jüdische Bevölkerung wurden schlimmer. Jüdinnen und Juden wurden in bestimmten Bereichen Amsterdams separiert und jeder, der sich außerhalb dieser Gebiete aufhielt, galt als vogelfrei. Damit wurde erreicht, dass die jüdische Bevölkerung sich „freiwillig“ in diesen Bereichen aufhielt. Dort waren sie aber auch den Zugriffen der Deutschen ausgeliefert, konnten erfasst und deportiert werden.

Das Bild der Niederländer von der Polizei wurde aber erst viel schlechter, als sich die Aktionen der Polizei auch systematisch gegen die nichtjüdische Bevölkerung richteten – erst gegen ihr Eigentum, indem etwa Fahrräder und Rundfunkgeräte konfisziert wurden, dann gegen die Menschen. Die Polizei griff ab 1943 auf die männliche Bevölkerung zu, die sich für den Arbeitseinsatz für das Deutsche Reich melden sollte, nahm Putativgeiseln und verhaftete diejenigen, die Verfolgte versteckt hatten. Immer mehr Menschen tauchten unter, sodass die Polizei dort nicht mehr hinterherkam, und immer größere Teile der Bevölkerung solidarisierten sich mit den Verfolgten und Untergetauchten.

In diesem Zusammenhang gab es dann auch den zweiten Streik im April und Mai 1943, an dem sich viel mehr Leute beteiligten und die Arbeit verweigerten – und bei dem Polizeibataillone bewusst zu Erschießungskommandos wurden und ohne Rücksicht Leute erschossen.

Die Radikalisierung war Ausdruck einer Art „enttäuschten Liebe“: Zuerst wurde versucht, mit den Niederländern zusammenzuarbeiten und von ihnen zu profitieren, aber nachdem sie das nicht wollten, wurde hart gegen sie vorgegangen. Die deutsche Polizei wurde so zu einem Schreckgespenst der deutschen Besatzung.

Dass die Stimmung in den Niederlanden kippte, ist auch an den Reaktionen der Vorgesetzten der Polizei sichtbar: Während Generalkommissar Hanns Rauter Schumann noch lobte und ihm bescheinigte, dass er alles im Griff gehabt habe und die Truppe gut gelaunt wäre, seien die Einheiten unter Lankenau, der im Dezember 1942 wahrscheinlich auf Anregung Kurt Dalueges in die Niederlande versetzt wurde, undiszipliniert gewesen, weshalb er ihn ablösen ließ.

Ihre flächendeckenden Aktionen führte die deutsche Polizei nicht alleine durch, sondern war auf die Hilfe niederländischer Polizeieinheiten angewiesen. Aber auch ihnen gegenüber wurde das Misstrauen der deutschen Besatzer immer stärker. Die Zusammenarbeit entsprach nicht mehr ihren Vorstellungen und auch viele niederländische Polizisten entzogen sich dem Dienst. Der stärker werdende Widerstand appellierte an das Gewissen der bisher kollaborierenden Polizeien - nicht ohne Erfolg, obwohl das Untertauchen für Polizisten mit Waffe ein besonderes Risiko darstellte, da sie als „Banditen“ zum Abschuss freigegeben waren.

Aufgrund der radikalen Aktionen der Polizei verstärkte sich der Widerstand. Es gab auch bewusste Angriffe auf Polizisten oder Meldestationen und ganz bewussten „Gegenterror“, bei dem etwa den Deutschen freundlich gesinnte Bürgermeister erschossen wurden.


Wie wurden diejenigen, die kollaborierten, nach dem Kriegsende behandelt und wie wird dem Streik und der Opfer des Holocaust in den Niederlanden heute gedacht?

Dass der Widerstand so intensiv war, führte nach dem Krieg auch dazu, dass hart mit denjenigen umgegangen wurde, die kollaboriert hatten, auch wenn die Deutschen als eindeutige Verursacher des Terrors identifiziert wurden. Lange Zeit wurde nur zwischen den Guten und Schlechten unterschieden, und erst ab den 1980er Jahren wurde in der Forschung herausgestellt, dass es zwischen diesen Seiten eine große Spannbreite an Verhaltensweisen gab. Die Bevölkerung stand während der Besatzungszeit selbst vor dem großen Dilemma, wie sie sich verhalten sollte.

Der Februarstreik galt nach 1945 galt als ein Symbol für rechtzeitige Proteste gegen das Regime und die antisemitischen Maßnahmen, wobei beachtet werden muss, dass nur ein Teil der Bevölkerung sich beteiligte. Es war mehr ein punktuelles Ereignis, wohingegen sich im April/Mai 1943 deutlich mehr Menschen beteiligten.

Natürlich gibt es trotzdem heute in den Niederlanden eine starke Gedenkkultur für die Helden. Die wichtigsten Gedenktage sind der 4. und 5. Mai, an denen abends für die Erinnerung das ganze Land stillsteht und Kränze für die verschiedenen Opfergruppen niedergelegt werden. Aber es handelt sich um eine differenzierte Gedenkkultur, in der dem Widerstand und der Besatzungszeit mit den deutschen als Tätern, aber auch an die niederländische Kolonialgeschichte gedacht wird.


Schumann und Lankenau waren als BdO beide zeitweise in den Niederlanden und Münster tätig. Gab es anhand dieser gemeinsamen Geschichte eine Zusammenarbeit des Geschichtsorts oder gemeinsame Erinnerungsaktionen mit niederländischen Institutionen?

Im Rahmen des Möglichen waren wir recht aktiv. Es gab zum einen eine Aufarbeitungskooperation. Ich selbst durfte für die Forschung Akten im Justizministerium einsehen, und wir haben die Geschichte in unseren Ausstellungen thematisiert. Auch gibt es immer wieder Rechercheanfragen zu diesem Thema, bei denen wir helfen können. Es gab zum anderen aber auch binationale Gedenkstättenfahrten, in denen die unterschiedlichen Perspektiven ausgetauscht wurden. 2015 schließlich gab es ein gemeinsames Engagement für Geflüchtete, da wir uns gefragt haben, wer heute unsere Empathie und Unterstützung benötigt.


Neben der Erinnerung stellt sich die Frage nach der Ahndung der Verbrechen. Wurden die Taten der deutschen Polizei bzw. zentraler Akteure geahndet?

Wie Schumann wurde auch Lankenau vor dem Kriegsende quasi arbeitslos: Im Gegensatz zu Rauter, der ein als kalter Weltanschauungskrieger beschrieben wird, der auch noch den letzten Schuss des Erschießungskommandos befehligen wollte, befehligte Lankenau nicht nur mit Druck und Peitsche. Er versuchte, besser mit seinen Leuten zurechtzukommen – wodurch er auch die Verbrechen wohl gut verkaufen konnte – und passte nicht recht zu dem Stil des Generalkommissars. Mit dem Verlust zuvor eroberter Gebiete wurden immer weniger Beamte benötigt, sodass letztlich jüngere Personen auf den verbliebenen Positionen eingesetzt werden sollten, die für weltanschaulich härter gehalten wurden.

So kam Lankenau nach Münster zurück und arbeitete nur in einem Hilfsjob, ehe er in Beckum stellvertretender Landrat wurde, wo er sich zum Kriegsende befand. In dieser Zeit begann er bereits, eine Selbstrechtfertigung zu schreiben. Als Zwischeninstanz zwischen dem Befehlsgeber Rauter und den ausführenden Einheiten konnte er sich als unwichtig darstellen. Zwar wurde er, wie Schumann, als ehemaliger BdO interniert und Verfahren gegen ihn eingeleitet, aber er profitierte von Zeugnissen anderer Leute und dieser Stellung als Mittelinstanz. In den Niederlanden konzentrierte man sich eher auf die Verfolgung der Spitzen des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei. 1955 wurde Lankenau schließlich amnestiert, arbeitete in der Zementindustrie und lebte recht unbehelligt in Bad Salzuflen, wo er im Alter von 83 Jahren starb.

Lankenau hatte durch seine Deckerinnerung das Glück, sich nicht seiner Verantwortung stellen zu müssen - und färbte mit dieser die Geschichte und das Bild der Polizei. Ihre Verbrechen wurden bewusst ausgelassen, so blieb das Bild von der Rolle der Polizei im Nationalsozialismus in der Erinnerungskultur der Deutschen so lange ein Falsches, bis die jüngere Generation kritisch nachhakte, wie die Polizei sich wirklich an den NS-Verbrechen beteiligt hatte.


Das Interview führte Kim Sommerer.


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