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Aktenzeichen 40/61 in Jerusalem

Zeitzeugengespräch hochrangiger Art: Der Eichmann-Prozess schlug 1961 weltweit Wellen. OB Markus Lewe und Christoph Spieker, Leiter der Villa ten Hompel, diskutierten den Umgang mit NS-Tätern mit Gabriel Bach, dem damaligen zweiten Ankläger vor Gericht.

Verfasst am 07. November 2013

"Wir haben Eichmann!" Als den jungen Juristen Gabriel Bach im Mai 1960 die Nachricht ereilt, schlagen kurz darauf die Wellen hoch im Nahen Osten, ja sogar rund um den Globus: Israel hat den untergetauchten Nazi Adolf Eichmann regelrecht gejagt, ihn in einem Bezirk von Buenos Aires aufgespürt und mit Hilfe von Geheimagenten kurzerhand entführt. "Es gab noch nicht mal offizielle Auslieferungsabkommen mit Argentinien", erinnert sich der damalige israelische Staatsanwalt Bach und vergisst die schiere Empörung in Presse und Politik nicht. "Da war richtig was los - und wir sollten unter diesem Druck der Weltöffentlichkeit ein rechtsstaatliches Verfahren sicherstellen."

Historisch gilt der Eichmann-Prozess in Jerusalem, der mit einem Todesurteil endete, als Symbol für den schwierigen Umgang mit den Tätern des NS-Regimes, aber auch für den wachsenden Willen zur Aufklärung nach Jahren des Schweigens und Verleugnens seit Kriegsende 1945. Die Welt stritt leidenschaftlich über Recht und Rache. Viele Menschen verfolgten die Verhandlung an den Fernsehschirmen - oder hören noch heute wie gebannt Gabriel Bach zu, wenn der zweite Mann auf Seiten der israelischen Anklagebehörde sich in seiner eigenen Rückschau erinnert. Zwei dieser Zuhörer waren jetzt in Jerusalem Münsters Oberbürgemeister Markus Lewe und Christoph Spieker, Leiter des Geschichtsortes Villa ten Hompel der Stadt Münster. Sie trafen den 86-jährigen Gabriel Bach und seine Frau Ruth zum Auftakt eines Besuchsprogramms. Die Dienstreise fand statt im Gedenken an die Opfer der Pogromnacht vor 75 Jahren und führte den Oberbürgmeister u.a. in die Holocaust-Erinnerungsstätte Yad Vashem auf dem Herzl-Berg in Jerusalem.

"Die Kolleginnen von dort waren so freundlich, ihre Kontakte spielen zu lassen", betont dankbar Stefan Querl aus dem Team der Villa ten Hompel dankbar. Er hat die Nahostreise des Oberbürgermeisters mit dem Leiter der Villa ten Hompe, Christoph Spieker, frühzeitig vorbereitet. "Ohne Hilfe aus Yad Vashem hätten wir Gabriel Bach als Gesprächspartner wohl gar nicht erst gewinnen können. Bis kurz vor der Ankunft in Israel war nicht sicher, ob die Verabredung mit ihm wirklich zu Stande kommt." Der Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes und etlicher Ehrungen war bis zu seiner Pensionierung 1997 Oberster Richter. Er vertrat den Staat Israel auf internationalen Konferenzen und bei den Vereinten Nationen.

Mehr Zufall, doch einer mit Aussagekraft: Direkt dort, wo die Bachs wohnen mitten in Jerusalem, hat nebenan der israelische Staatspräsident seinen Sitz. "Aber wir waren zuerst da", wirft Ruth Bach schmunzelnd ein und wehrt sich gegen den Begriff "Promifaktor" im Blick auf ihre eigene Person und die ihres Mannes. Doch als Lewes Amtskollege Dov Zur in Münsters Partnerstadt Rishon-le-Zion von Lewes und Spiekers Austausch mit Gabriel Bach im Zuge des Gedenkstättenbesuchs erfuhr, staunte er auf Englisch nicht schlecht: "Was, ihn habt Ihr tatsächlich getroffen? In Israel ist er bestens bekannt."

Als Adolf Eichmann nach der Entführung aus Argentinien mit einer El-Al-Maschine im Nahen Osten eintraf, ließ die Jerusalemer Regierung ein komplettes Gefängnis räumen, um den Nazi schärfstens bewachen zu lassen. Gabriel Bach war zuständig für dessen Haftbedingungen in der Hafenstadt Haifa, man fürchtete Selbstmord oder Anschläge. "Seiner Zeit ahnte ich noch nicht, dass die Ermittlungen gegen Eichmann mein komplettes Leben verändern und fortan bestimmen würden." Mit knapp über 30 hatte Bach mit Generalstaatsanwalt Gideon Hausner die Gesamtverantwortung dem Gericht gegenüber. Er sammelte Beweismaterial, hörte Zeugen und nahm KZ-Mordstätten in Augenschein. Die Bundesregierung steuerte Quellen für die Beweisaufnahme bei, während die DDR im Kalten Krieg nur darauf wartete, den anstehenden Prozess in Israel für ihre ideolgischen Zwecke ausschlachten zu können. Nach einigem Hin und Her fand sich schließlich ein westdeutscher Verteidiger für Eichmann. "Ein sehr gewandter Jurist", urteilt Gabriel Bach ausdrücklich.

Deutsch spricht der 86-jährige Bach fließend. Es ist seine Muttersprache. "Das half mir sehr beim Aktenstudium", erinnert sich der jüdisch-stämmige Zeitzeuge aus Halberstadt im Harz, der erst in Berlin und nach Flucht seiner Familie wenige Wochen vor den Pogromen 1938 in Amsterdam zur Schule ging. Doch der Krieg machte 1940 auch die Hauptstadt der Niederlande zu einem lebensgefährlichen Ort für Juden. Den Bachs gelang die Ausreise ins damalige Palästina. Gabriel Bach gilt als einziger Überlebender aus dem Kreis seiner Mitschüler in Amsterdam.

SS-Männer wie Adolf Eichmann organisierten das "Durchkämmen" der besetzten Länder und die Deportationen, Polizei, Wehrmacht und andere Organisationen verantworten viele der Verbrechen mageblich mit, wie die Forschung inzwischen klar belegen kann. Die Villa ten Hompel bereitet zu den Fragen von Täterschaft, Verwaltung und Verantwortung eine neue Ausstellung vor, die im März 2015 eröffnet wird, wie Christoph Spieker dem Zeitzeugen in Israel berichtete. "Eichmann kümmerte sich zum Beispiel um die Protokollführung bei der Wannseekonferenz 1942 in Berlin", antwortet Bach mit Fakten aus den Recherchen für die Anklage. "Er war ein Eiferer, keineswegs nur irgendein kleines Rädchen im Getriebe."

Über das Strafverfahren gegen den SS-Obersturmbannführer 1961 in Jerusalem schrieb die extra aus New York angereiste Philosophin Hannah Arendt - ausgesprochen kritisch. Ihr Begriff von der "Banalität des Bösen" wird bis in die Gegenwart hinein intensiv debattiert, längst nicht nur in Israel, Europa und den USA. "Natürlich habe ich die Dame gekannt", antwortet Gabriel Bach auf Lewes Frage nach Arendt. "Aber alle Gesprächsangebote von uns, also der Staatsanwaltschaft, hat sie abgelehnt."

Reden wollten andere - nämlich die ehemaligen KZ-Häftlinge, Gefangenen aus den Ghettos und nahen Angehörigen von ermordeten Opfern, die sich plötzlich trotz arger Ängste und Traumata reihenweise anboten für den Zeugenstand. Das Tabu, über den Holocaust in Details zu sprechen, brach Stück für Stück. Rund 100 Zeugen bot die Anklage schließlich gegen Eichmann auf. "Angesichts der Aussage eines ungarischen Überlebenden, der die Selektionen in Auschwitz-Birkenau schilderte, wäre ich fast zusammen gebrochen. Mitten im Prozess konnte ich eines Tages einfach nicht mehr", weiß Bach noch sehr genau: "Ich schluckte, zitterte und blätterte in meinen Papieren auf dem Tisch des Gerichtssaals, weil ich kein Wort mehr herausbrachte."

Fast Wort für Wort und in bewegten Bildern ist der Prozess mit dem Aktenzeichen 40/61 inzwischen dokumentiert - auch für künftige Generationen. "Doch so ein Gespräch wie mit Ihnen ist durch nichts an Quellen und Medien zu ersetzen", dankte OB Lewe dem Zeitzeugen Gabriel Bach für die intensive Zusammenkunft und sprach eine Einladung aus: "Es wäre großartig, wenn wir sie bald auch in Münster öffentlich im Rathaus des Westfälischen Friedens empfangen dürften."

Text und Fotos: Stefan Querl/VtH

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