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Bericht: "Staatenlos im Nirgendwo, Nationalität: Boheme, im Exil seit der Geburt im Jahr 1896"

Vortrag von Thomas B. Schumann über den Exilliteraten Walter Mehring vom 25.04.2018 in der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen im Nationalsozialismus

Verfasst am 07. Mai 2018

Die Dokumentationsstätte "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus" im Verbund mit dem Institut für Stadtgeschichte ist eine von 29 im Arbeitskreis NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte e.V. vernetzten Einrichtungen und beleuchtet die Geschichte der Stadt Gelsenkirchen während des Nationalsozialismus.

Bereits zum dritten Mal wurde der Kölner Literaturwissenschaftler und Verleger Thomas B. Schumann im Hause begrüßt. Im Herbst 2017 wurde Schumann mit dem Hermann-Kesten-Preis ausgezeichnet, der Persönlichkeiten ehrt, die sich für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller*innen einsetzen.

Walter Mehring (1896-1981), aus einer jüdischen, toleranten und frankophilen Familie stammend, kam früh mit Künstler*innen in Kontakt. Auch deshalb, weil seine Mutter Hedwig Löwenstein als Opernsängerin tätig war. Sie starb 1942 in Theresienstadt.

Zeit seines Lebens verbrachte Mehring ohne festen Wohnsitz in Hotels und kleinen Pensionen. Der von Schumann ausgewählte Titel "Im Exil seit der Geburt" gibt der Biographie Mehrings an der Stelle eine zweite Bedeutung.

Bereits 1916 publizierte Mehring erste Beitrage, bis das deutsche Heer ihn einzog, aber bald darauf wieder entließ, weil er als unzuverlässig eingestuft worden war. Seine Beiträge und Werke wurden unter anderem in "Die Neue Weltbühne und "Die Literarische Welt" veröffentlicht. Es lässt sich ein Entwicklungsprozess Mehrings Schaffen aufzeigen, der sich von dadaistischen Sprachexperimenten zu politisch-satirischen Kritiken entwickelte. Gesellschaftskritische Themen, wie die Tourismuskritik in Paris, griff er sowohl prosaisch als auch lyrisch auf und provozierte unter anderem mit der Adaption von Jazz-Elementen. Neben dem "Lied der Hakenkreuzler" Ende der 1920er Jahre, erregte Mehring abermals mit der Theaterinszenierung "der Kaufmann in Berlin" (1929) Aufsehen. Nicht nur aus nationalsozialistischer Perspektive ein Skandal, sondern auch von jüdischer Seite wurde die Umsetzung scharf kritisiert und gipfelte in dem größten Theaterskandal der Weimarer Republik. 

Dass Mehring sich öffentlich gegen den Nationalsozialismus positionierte, veranlasste Joseph Goebbels zu einer persönlichen Stellungnahme, in der er gesagt haben soll, Mehring gehöre zu den Intelligenzbestien, die er sich persönlich vornehmen werde. Bereits 1934 folgte Mehrings Ausbürgerung. Er ging ins Exil nach Frankreich und publizierte in Paris kämpferische Beiträge, die Züge der Resignation erkennen lassen ("Und euch zum Trotz", 1934).

Ab 1938 verringerten sich zunehmend die Möglichkeiten zu Veröffentlichungen, weshalb Mehring in finanzielle Bedrängnis geriet. Im Herbst des Jahres 1939 wurde er mit 300 weiteren Personen als sogenannte staatenlose Feinde in der Normandie interniert. Im Februar 1940 wurde er entlassen. Bald darauf, auf dem Weg in den unbesetzten Süden Frankreichs, wurden er und seine Partnerin Hertha Pauli erneut durch das Vichy-Regime inhaftiert. Im November 1940 kamen sie frei und bemühten sich um ihre Ausreise. 1941 gelang Mehring die Flucht aus Frankreich über La Martinique nach New York. Die zwölf Jahre seines Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten waren geprägt von beruflicher Unsicherheit und finanzieller Engpässen. Er publizierte lediglich drei Werke. Besonders in den Jahren zwischen 1945 und 1949 lebte Mehring am Existenzminimum.

1953 kehrte er nach Europa zurück und lebte abwechselnd in der Bundesrepublik, Frankreich und der Schweiz, wo ihn Schumann als junger Student persönlich traf.

Im Gegensatz zu den populären Exilautoren wie Kurt Tucholsky, Bertolt Brecht oder Thomas Mann, konnte Mehring nicht an diese Erfolge anknüpfen. Doch woran liegt es, dass die deutsche Öffentlichkeit nach 1945 nur wenigen Exilliteraten Aufmerksamkeit schenkte? Schumann nannte für Mehrings geringe, öffentliche Wirksamkeit zwei Gründe. Zum einen seien Mehrings Werke zu kritisch und angriffslustig gewesen, um ein breiteres Publikum anzusprechen. Zum anderen herrschte ein allgemeines Desinteresse an der Exilliteratur bzw. an der Rückkehr der Immigranten.

Mehring empfand sich selbst als im Schicksal der Verbannung gefangen. Er verfiel dem Alkohol und wurde zunehmend zynisch.

Die letzte geplante Publikation ging auf dem Postweg verloren und kennzeichnet die persönliche Tragik eines unterschätzten und wenig beachteten Autors der Exilliteratur.

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