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Gewalt in der Region Der Novemberpogrom 1938 in Rheinland und Westfalen

Verfasser:
herausgegeben vom Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten Nordrhein-Westfalen
Verlag:
gefördert durch die Landeszentrale für Politische Bildung NRW
Erscheinungsjahr:
2008
ISBN:
3-9807674-8-5
Preis:
5,00 €

Am 9./10. November 1938 kam es in Deutschland zu jener Eskalation der Gewalt an der jüdischen Bevölkerung, die unter dem nationalsozialistisch geprägten Begriff "Reichskristallnacht" in die Geschichte eingehen sollte. Mit dem Novemberpogrom erfuhr die rassistische Politik der Nationalsozialisten eine für die jüdische Bevölkerung drastische und bedrohliche Zuspitzung. Die Schändung der Synagogen, die Verwüstung von Wohnungen und Geschäften, direkte körperliche Gewalt, Verhaftungen und sogar Morde sollten die Juden unter massiven Auswanderungsdruck setzen. Tatsächlich versuchten viele Juden die noch in Deutschland lebten in den nächsten Monaten verzweifelt, wenigstens ihre Kinder ins Ausland bringen zu lassen.

Der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW hat vor diesem Hintergrund eine Sammlung von Essays vorgelegt, die unterschiedliche Aspekte dieses Pogroms beleuchten. Unter dem Namen „Gewalt in der Region. Der Novemberpogrom 1938 in Rheinland und Westfalen“ werden die historischen Ereignisse auf lokal- und regionalgeschichtlicher Ebene sichtbar gemacht und damit ein Beitrag für die zukünftige Bildungs- und Erinnerungsarbeit der Mahn- und Gedenkstätten im Land geleistet. Die Broschüre stellt lokale Bezüge her, nennt die Namen beteiligter Personen, zeigt individuelle Gegebenheiten und Schicksale und gibt dem eigentlich Unfassbaren damit ein Gesicht. Auf 136 Seiten werden ganz unterschiedliche Details und Aspekte der Judenverfolgung dargestellt. Mit ihren jeweils eigenen Blickwinkeln auf die Ereignisse versuchen die Autoren die größeren Zusammenhänge begreiflich, nachvollziehbar und anschaulich zu machen. Am Beispiel von 15 Städten im Rheinland und in Westfalen erfährt der Leser von bisher unerforschten Aspekten der Vorgeschichte, Verläufe und Folgen der Ausschreitungen. Ihm liegen damit die neusten Erkenntnisse der aktuellen Gedenkstättenarbeit in NRW vor.

Die kurzen Aufsätze machen deutlich, dass die Ausschreitungen in der Pogromnacht keine unvorhersehbare spontane Gewaltäußerung einer kleinen Zahl nationalsozialistischer Akteure war. Vielmehr geht es auch um das Mitwirken von Behörden wie Polizei, Feuerwehr und kommunalen Verwaltungen sowie die Gleichgültigkeit der überwiegenden Anzahl der Bürger. Die Terroraktionen stellen damit den „moralischen Bankrott“ eines Großteils der deutschen Bevölkerung unter Beweis.

So schildert Karola Fings in ihrem Beitrag beispielsweise das Novemberpogrom und die Reaktionen der Bevölkerung in Köln. Die kontinuierliche Ausgrenzung der Juden hatte bei vielen Bürgern schon zu einer Abstumpfung und Gleichgültigkeit geführt und ließ sie eine abwartende Zuschauerperspektive einnehmen. Fälle von Zivilcourage waren die Ausnahme. Der Novemberpogrom stellt somit nicht nur einen Wendepunkt für die jüdische Bevölkerung dar, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Angela Genger beschreibt dagegen den Terror der Pogromnacht aus der Sicht von Düsseldorfer Überlebenden. Der Pogrom wurde zu einem Kernstück ihrer Erinnerung und eröffnete ihnen einen Blick auf den Vernichtungswillen ihrer selbsternannten

Gegner.

Stefan Goch untersucht dagegen die bislang wenig beachtete Frage, ob auch Juden frühzeitig am Widerstand gegen das NS-Regime beteiligt waren. Im Fokus steht dabei der Widerstand jüdischer Schüler in der "Links-Opposition" in Gelsenkirchen.

Weitere Beiträge konzentrieren sich dagegen auf konkrete Verfolgungsaktionen und –schicksale. So beschreibt Kirsten John-Stucke beispielsweise die Verschleppung der Salzkottener Juden in den „Hexenkeller“ der Wewelsburg, Ingrid Schupetta untersucht den Leidensweg der Krefelder Juden, die in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurden und Heidi Behrens und Norbert Reichling zeichnen die Deportation von „Ostjuden“ aus Essen Ende Oktober 1938 an die deutsch-polnische Grenze und ihre anschließenden Odyssee nach.

Mit der Aufarbeitung der Reichspogromnacht nach dem Krieg beschäftigen sich die Texte von Monika Marner/Claudia Arndt und Winfried Casteel. Anhand von Prozessakten und Presseberichten zeigen sie, wie die Aufarbeitung jener düsteren Tage im November 1938 die Nachkriegsgesellschaft bewegte. Das Interesse war groß, die Strafmaße verhältnismäßig niedrig.

Im letzten Essay des Bandes beleuchtet Ulrike Schrader schließlich schlaglichtartig die einzelnen Etappen der deutschen Erinnerungskultur, indem sie die Entstehungsgeschichte ausgewählter Gedenkzeichen in Wuppertal rekapituliert.

Erhältlich ist die in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für Politische Bildung NRW entstandene Broschüre in allen Mahn- und Gedenkstätten des Arbeitskreises.