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„Zwei verschiedene Perspektiven, viele gleiche Fragen“

Auftakt der durch die gemeinsame Absichtserklärung von Yad Vashem und dem Land NRW ermöglichten Delegationsreise nach Israel

Verfasst am 29. November 2015

Bei ihrem Israelbesuch im März 2014 hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für Nordrhein-Westfalen mit Dorit Novak, der Generaldirektorin der International School for Holocaust Studies in Yad Vashem (ISHS), eine gemeinsame Absichtserklärung zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen dem Land NRW und der israelischen Gedenkstätte abgegeben. Für vertiefenden Austausch und weitere direkte Kontakte reiste nun eine Delegation von Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeitern aus NRW nach Israel. Neben der Koordination durch den Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW ermöglichen die Staatskanzlei und die Landeszentrale für politische Bildung NRW den Austausch organisatorisch und finanziell.

Den Auftakt am ersten Tag bildete nun der Besuch der Begegnungs-, Lern- und Forschungsstätte Yad Vashem. Hier stellte Richelle Budd Caplan in ihrer Funktion als Leiterin des European Desk in der ISHS zur Begrüßung das beeindruckend vielfältige Kooperationsnetzwerk der Einrichtung mit Partnern aus insgesamt 38 europäischen Ländern vor. Dabei betonte sie den engen Austausch mit deutschen Einrichtungen und stellte fest, dass gerade Nordrhein-Westfalens Vertreterinnen und Vertreter eine Vorreiterrolle für sich beanspruchen können. Nicola Schwering, in der Staatskanzlei unter anderem für die internationalen Beziehungen in den Nahen Osten zuständig, hob in Vertretung für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft genauso wie Dr. Hans Wupper-Tewes von der Landeszentrale für politische Bildung in NRW hervor, dass die deutsch-israelischen Beziehungen 50 Jahre nach Beginn ihrer Aufnahmen noch immer Herausforderungen auch in historisch-politischer Hinsicht mit sich bringen. Sie machten deutlich, dass beide Länder sich bei der Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit trotz "zwei verschiedener Perspektiven viele gemeinsame Fragen" stellen würden.

Der Vorsitzende des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und –Erinnerungsworte in NRW, Prof. Dr. Alfons Kenkmann, nahm in seinem Grußwort Bezug auf die gegenwärtige Erinnerungskultur im bevölkerungsreichsten Bundesland. So hätten nach oft schwierigen Kämpfen um ihre Gründung und Etablierung mittlerweile viele Einrichtungen eine Phase der Neubestimmung durchschritten. Ein Zeichen für diesen Wandel sind die zahlreichen neuen Dauerausstellungen beispielsweise in Gelsenkirchen, Oberhausen, Düsseldorf oder Münster.

Yad Vashem selbst wurde von Dr. Noa Mkayton, der stellvertretenden Leiterin des European Desk der ISHS, als „autonome jüdische Institution, die zur Prägung der israelischen Erinnerungskultur beiträgt“, vorgestellt. Dabei wird die Einrichtung als Ort der Erinnerung, aber auch Erforschung und Sammlung von Quellen zur Shoah teilweise von der israelischen Regierung mitfinanziert, agiert aber politisch unabhängig. Das Ziel der pädagogischen Arbeit ist es, die Menschen und allen voran die Opfer der NS-Verbrechen als Individuen darzustellen. Um Menschenverhalten unter Eindruck der Shoah zu beurteilen, müsse Lernenden ermöglicht werden, Handlungskontexte einschätzen und Handlungsoptionen vergleichen zu können.

Zwei von Deborah Hartmann, Leiterin der deutschsprachigen Sektion in der ISHS, und Prof. Kenkmann moderierte Impulsreferate und Diskussionen hatten Erinnerungskulturen im deutsch-israelischen Vergleich anhand diplomatischer Beziehungen oder auch Schulbüchern zum Thema. Im weiteren Tagesverlauf bot sich den Vertreterinnen und Vertretern der nordrhein-westfälischen Gedenkstätten dann die Gelegenheit, das weitläufige Gelände Yad Vashems in einer Führung kennenzulernen. Der Guide Jonathan Matthews nahm dabei nicht nur die gegenwärtige Erinnerungskultur, sondern auch auf die Entstehungsgeschichten einzelner Denkmäler oder Einrichtungen auf dem Areal in den Blick. Ganz im Sinne eines Austausches ermöglichten dann noch der Leiter des NS-Dokumentationszentrums Köln, Dr. Werner Jung, und die Leiterin der NS-Dokumentationsstätte in der Villa Merländer in Krefeld, Dr. Ingrid Schupetta, Einblicke in ihre pädagogischen Angebote. In beiden Workshops wurde deutlich, dass die Gedenkstätten als Forschungs- und Lernorte sowohl die Verfolgten- wie auch die Tätergeschichte in den Fokus nehmen.

Unter Eindruck dieses methodenreichen und inhaltlich dichten ersten Tages dürfen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Delegationsreise auf die Folgetage gespannt sein. Neben Yad Vashem stehen auch noch weitere Gedenkstätten und Museen Israels auf dem Programm, immer mit dem Ziel, den Austausch zu intensivieren. Auf diesen Seiten wird weiter berichtet!

Ein Bericht von Philipp Erdmann, Fotos von Stefan Querl

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