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„Zeitzeugen aus dem KZ zuzuhören ist jetzt wichtiger denn je.“

Pessach und Ostern werden für viele Holocaust-Überlebende belastend, weil Familienbesuch und Pflege eingeschränkt sind. Die Villa ten Hompel beteiligt sich an Hilfen zu den Feiertagen.

Verfasst am 07. April 2020

Feste feiern wie sie fallen – innerhalb der eigenen Familien ist das in diesem Jahr nur massiv eingeschränkt möglich. Aus Gründen des Virenschutzes. Was Senioren besonders schmerzt, wenn sie ihre Enkel und Kinder missen müssen. Vor dem Hintergrund, dass das jüdische Pessach- und das christliche Oster-Fest jetzt am Wochenende zeitlich fast parallel liegen, läuft auf den anderen als gewohnten Wegen die Hilfe für frühere Häftlinge aus Konzentrationslagern und Ghettos auf Hochtouren. Auch mit Unterstützung aus der Villa ten Hompel und den Schulen in Münster, wie Stefan Querl vom Team des Geschichtsortes am Kaiser-Wilhelm-Ring berichtet. Er hält aktuell u.a. den Kontakt zur Familie von Erna de Vries, die als jüdische Verfolgte KZ-Haft erlitt und aus dem Frauenlager Ravensbrück befreit worden war. Ihre Mutter wurde in Auschwitz ermordet.
Seit Herbst 2015 ist die Realschule an der Spichernstraße in Münster offiziell nach Erna de Vries benannt und engagiert sich nachhaltig für die Zeitzeugin. Den Umständen entsprechend gehe es der 96-Jährigen gut, schildert Tochter Ruth de Vries die Situation im Emsland. Wobei Warschau besondere Sorgen macht aktuell, denn die dort in Polen lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen können – anders als Erna de Vries in Lathen, die zu Hause umsorgt ist – teils nicht mehr alle besucht und begleitet werden. In der Stadt Chrzanów zwischen Kraków und Katowice wohnt Zdzisława Włodarczyk, Geburtsjahrgang 1933. Sie überlebte Birkenau. Vor acht Wochen interviewten westfälische Lehrkräfte die Zeitzeugin gemeinsam mit Stefan Querl in der Lehrerfortbildung „Auschwitz im Unterricht“ in Oświęcim. „Mir fehlen die Gespräche und die sozialen Kontakte sehr“, beschreibt sie nun das Alleinsein. „Immerhin bekomme ich Hilfe beim Einkaufen.“
Dass Einsamkeit die Erinnerung an das Leid oder Verluste naher Angehöriger in der Shoah drastischer als sonst weckt, dass Pflege teils eingeschränkt wird, wissen Haupt- und Ehrenamtliche aus der KZ-Opfer-Hilfe nur zu genau. Der Ausnahmezustand, so etwa in Israel, tue sein Übriges, weshalb die Drähte in neuen Formen von Skype-, Chat-, Handy- und Telefonseelsorge auch in den Nahen Osten glühen – im Zusammenwirken mit Pflegekräften, den Familien und der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem auch während der Feiertage. „Viele unserer Villa ten Hompel-Kooperationen hier von Münster aus bestehen neue Bewährungsproben“, meint Stefan Querl beeindruckt. „Gegenüber Holocaust-Überlebenden haben wir schließlich alle eine hohe humanitäre Verantwortung. Den Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zuzuhören ist jetzt vielleicht wichtiger denn je.“

Falls dann wieder möglich, werde es in Münster im September ein öffentliches Programm zur Begegnung mit polnischen Überlebenden geben. Mehr zu ihrer aktuellen Lage: www.maximilian-kolbe-werk.de/unsere-arbeit/helfen/corona-alltag-in-warschau/

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