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Wissen ans Licht bringen: Die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica im Portrait

In Porta Westfalica befindet sich mit der begehbaren Untertageverlagerung „Dachs 1“ ein authentischer Gedenkort, der in Nordwest-Deutschland einzigartig ist. In den Jahren 1944 und 1945 wurden dort 3.000 Menschen in KZ-Außenlagern eingesetzt und im „Dachs 1“ und umliegenden Untertageverlagerungen zur Arbeit gezwungen. Dieser Beitrag portraitiert die historischen Orte der Zwangsarbeit und die ehrenamtlich getragene Erinnerungsarbeit der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica.

Verfasst am 12. August 2024

Beim Zutritt weht nass-kalter Wind entgegen. Der visuelle Eindruck des Stollens überlagert aber bereits nach wenigen Metern den Temperaturunterschied zwischen übertage und untertage. Der Stollen trägt die Bezeichnung „Dachs 1“, hat aber wenig gemein mit einem Dachsbau. Die meterhohen Stollengänge, die wuchtigen Abbruchkannten und eine gesprengte Zwischendecke bilden eine atemberaubende großräumige Kulisse. Die vielfältigen Gesteinsoberflächen und das Mauerwerk verkörpern verschiedene Zeitschichten und wecken Interesse an der Geschichte dieses Ortes.

Die Leere des Stollens heute steht im Kontrast zu seiner umfassenden Nutzung in den Jahren 1944 und 1945. Hunderte Inhaftierte des nahegelegenen KZ-Außenlagers Barkhausen mussten in Zwangsarbeit den vormaligen Sandsteinstollen ausbauen und bei der Installation einer Schmieröl-Raffinerie helfen. Diese füllte jeden Winkel des Stollens mit großen, gemauerten Öl-Wannen und technischen Geräten aus. Die menschenverschleißende Schwerstarbeit, die mangelhaften Lager- und Lebensbedingungen und die allgegenwärtige Gewalt kostete in über 100 Fällen das Leben der Inhaftierten. Wegen der vorrückenden Westfront konnte die fast fertiggestellte Raffinerie nie in Betrieb genommen werden. Auf diese und andere historische Schauplätze von KZ-Internierung und Zwangsarbeit im Weserdurchbruch macht die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica aufmerksam. Mit Führungen, Ausstellungen und Veranstaltungen informiert die Gedenkstätte und regt zum Nachdenken über NS-Verbrechen, Vergangenheit und Gegenwart an.

Zwangsarbeit: Geschichte des Ortes

Die Geschichte des Sandsteinstollens begann im 19. Jahrhundert, als ein jüdischer Familienbetrieb hier 60 Jahre lang den so genannten Porta-Sandstein abtrug. Nach dem Konkurs des Unternehmens stand der Stollen leer, bis er 1944 das Interesse der Kriegswirtschaftsplaner in Berlin auf sich zog. Wegen zunehmender alliierter Bombenangriffe auf Industrieanlagen befahl Albert Speer, Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion, die nationalsozialistischen Kriegsindustrie untertage zu verlagern. Der Stollen an der Porta Westfalica eignete sich gut wegen seiner unmittelbaren Nähe zur Bahnlinie Köln-Minden.

Nach nur zweiwöchiger Planungsphase traf am 18. März 1944 der erste Zug mit 300 KZ-Inhaftierten aus Buchenwald ein. Die Gefangenen wurden im ehemaligen Festsaal des Hotels „Kaiserhof“ in Barkhausen untergebracht. Dieses Außenlager gehörte formell zum KZ Neuengamme bei Hamburg. Die Inhaftierten schliefen in mehrgeschossigen Stockbetten. Mehrheitlich stammten die auf engstem Raum zusammengepferchten Inhaftierten aus der Sowjetunion; daneben waren Nationalitäten wie Frankreich, Polen, Ukraine oder Dänemark vertreten. Anhand ihrer nationalen Herkunft schlossen sich die Gefangenen in Gruppen zusammen und unterstützten sich gegenseitig im Lager- und Arbeitsalltag. Die Mitglieder der Lager-SS, Soldaten, Zivilisten, Lagerälteste und Kapos machten Gewalt zum zentralen Machtinstrument im Lager. Das öffentliche Erhängen von Gefangenen, die einen Fluchtversucht gewagt hatten, diente zur Abschreckung. Der Weg zu den 12-Stunden-Schichten im Stollen führte die Gefangenen über die „Kettenbrücke“ über die Weser. Die anliegenden Bewohner*innen sahen die Kolonen, aber zeigten mehrheitlich Desinteresse. Nur selten – so berichteten KZ-Überlebende – versteckten Dorfbewohner*innen Lebensmittel am Wegrand.

Im „Dachs 1“ nahmen lokale Bergbauunternehmen die Absprengungen vor; die Zwangsarbeiter beförderten die Gesteinsmassen mit Schubkarren und später einer Lore zutage. In 12-Stunden-Schichten, Tag und Nacht, erweiterten sie den Sandsteinstollen auf das Achtfache seiner Grundfläche und dies in nur wenigen Monaten. Der rücksichtslose Einsatz menschlicher Körper ermöglichte diese Leistung. Nur in unbeobachteten Momenten legten die Zwangsarbeiter die Arbeit nieder. Diese „Arbeit mit den Augen“ machten die Gefangenen zu ihrer zentralen Überlebensstrategie, doch sie war nicht ohne Risiko: Falls das Meldesystem nicht funktionierte und sie erwischt wurden, drohten drakonische Strafen. Nach dem Ausbau des Stollens erfolgte ab Mitte 1944 die Installation der Raffinerie. Die unterschiedlichen Arbeitskommandos erforderten verschiedene Fachkenntnisse und Fertigkeiten. Die Arbeit in anspruchsvollen Aufgabenbereich, beispielsweise der Elektroinstallation, machte manche Inhaftierte zu wichtigen Arbeitern und erhöhte deren Überlebenschancen.

Die für die Koordination zuständige örtliche SS-Inspektion richtete noch weitere Haft- und Arbeitsstätten ein. So entstand im Herbst 1944 ein KZ-Außenlager in Lerbeck. Die SS-Kommandeure zwangen die dort untergekommenen 469 Insassen auf dem benachbarten Gelände eines Betonwerkes zur Arbeit beim Aufbau und Betrieb eines Reparaturwerks für Flugzeugmotoren. Kurz darauf richtete die SS in Hausberge ein Frauenaußenlager ein und inhaftierte dort 967 überwiegend jüdische Frauen aus dem KZ-Außenlager Horneburg und Auschwitz mit ungarischer, polnischer, niederländischer und tschechoslowakischer Nationalität. Sie arbeiteten in der Untertageverlagerung „Hammerwerke“ und stellten Radioröhren für die Firmen Philips und Valvo her. Auch in den Untertageverlagerungen „Stör II“ und Kröte erfolgte Zwangsarbeit, unter anderem die Produktion von Kugellagern und Panzerabwehrwaffenteilen.

Trotz hohem Ausbautempo im „Dachs 1“ gelang die Inbetriebnahme der Raffinerie nicht mehr rechtzeitig. Wegen nahenden alliierten Truppen wurden die KZ-Außenlager am 1. April 1945 geräumt und die Inhaftierten in einem Zug Richtung Osten deportiert. Dieser Transport führte die Menschen in unterschiedliche Orte des Lagersystems, sodass Überlebende verschiedene Befreiungsgeschichten erzählten. Nachdem die britischen Alliierten Porta Westfalica befreit hatten, demontierten sie die Raffinerie-Anlage; eine Sprengung wurde durch ein bergbauliches Gutachten abgewendet. Nach Ankauf des Grundstücks blieben Versuche der wirtschaftlichen Nutzung des Stollens erfolglos. Jahrzehntelang besuchten verschiedene Personengruppen den Ort. Die ersten Graffitis lassen sich auf die 1960er Jahre datieren. Explizites Wissen über die Gewaltgeschichte des Ortes besaßen diese illegalen Besucher, sogenannte Schwarzbefahrer, zu diesem Zeitpunkt wohl nicht.

Ehrenamt: Erinnerungsarbeit am authentischen Ort

Erste Versuchen, die Geschichte des Ortes in das kollektive Gedächtnis zu rufen, erfolgten erst Jahrzehnte später. So übersetzten Schüler:innen 1987 den Zeitzeugenbericht vom KZ-Überlebenden Pierre Bleton ins Deutsche. Bis heute ist der schriftliche Zeitzeugenbericht neben anderen Zeugnissen von Überlebenden eine zentrale Quelle für die Erinnerungsarbeit. Einige Jahre später, 1992, entstand ein Mahnmal für die Opfer der KZ-Außenlager in Porta Westfalica am Kirchsiek. Weitere Versuche einer Gedenkstätteneinrichtung trugen aber keine Früchte. Nach neuerlichen Impulsen von ehemaligen Schüler*innen und aus der Stadtgesellschaft etablierte sich 2009 die Gedenkstätte zur Dokumentation und Erinnerung an die Verbrechen im Kontext der Zwangsarbeit und KZ-Außenlager.

Der ehrenamtlich getragene Verein „KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e.V.“ organisiert seit 2015 Führungen durch den Stollen „Dachs 1“. In diesen Führungen vermitteln die Guides Wissen über den Ort mit Schwerpunkt auf der Zwangsarbeit und den Lebensumständen der KZ-Inhaftierten. Das Medium Sprache ist hierbei zentral, denn feste Installationen (abgesehen von streng reglementierten Lichtquellen) sind aus Naturschutzgründen nicht umsetzbar: Die Stollen gelten als Rückschutzort für Fledermäuse. Aus diesem Grund finden die Führungen auch nur in den Monaten April bis Juli statt. In den Führungen setzt die Gedenkstätte nach Möglichkeit auf ein dialogisches Format und bedient sich den Aussagen und Biografien der Lagerinsassen. Neben den öffentlichen Führungen werden auch Schulklassen, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Polizei- und Bundeswehrseminare geführt.

Die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte bildet die Guides in einem eigens dafür eingerichteten Kurs in Kooperation mit der VHS Minden/Bad Oeynhausen aus. Über die Vermittlung basaler Informationen hinaus legt jeder Guide eigene Schwerpunkte in den Führungen. Der Geschäftsführer der Gedenkstätte, Thomas Lange, freut sich über die große Bereitschaft von über 100 ehrenamtlichen Helfer*innen. Von der Ausgabe der Helme über die Begleitung und Führung der Gruppen bis hin zu den Bauarbeiten im Stollen: Nur mit ehrenamtlichem Engagement kann der große Besucherandrang sukzessiv befriedigt werden. Immerhin können an Samstagen und Sonntagen bis zu 150 Personen eine Führung durch den Stollen erhalten.

Das vermittelte Wissen über den historischen Ort selbst unterlag und unterliegt dabei einem forscherischen Wandel. Die Gedenkstätte unterhält Kooperationen mit dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte und der LWL-Archäologie für Westfalen. Auch ermöglichen die in den letzten Jahren zugänglich gewordenen Akten aus den Arolsen Archives ein höherauflösendes Bild der Sozialstruktur im Lager, denn die Überlebenden-Berichte bilden längst nicht die Breite der Inhaftierten ab. Wichtigster Netzwerkpunkt des Vereins ist die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. So war dessen Leiter, Oliver von Wrochem, auch bei der im Juni 2023 veranstalteten Tagung „Zwangsarbeit im Dunkeln“. Diese warf historische, technische, archäologische und erinnerungskulturelle Perspektiven auf die Konzentrationslager, Untertageverlagerung und Gedenkstättenpraxis in Porta Westfalica.   

Anfang Januar 2024 öffnete die erste umfangreiche Ausstellung in Porta Westfalica mit dem Titel „Am Ende des Tunnels kein Licht“. Die Ausstellung will – prominent an der Achse zwischen KZ-Außenlager Barkhausen und Stollen „Dachs 1“ platziert – die verschiedenen Orte, Ereignisse, Biografien und Themen der Lagerhaft und Zwangsarbeit verbinden. Die jederzeit zugänglichen Stehlen der Ausstellung informieren über die Geschichte der Erinnerungsorte und fassen zentrale Themen pointiert zusammen. Über QR-Codes steht ergänzendes Material auf dem Smartphone bereit. An Samstag- und Sonntagnachmittagen öffnen ehrenamtliche Helfer*innen zusätzlich den Container der Ausstellung. In diesem erfolgt dann ein Transfer, erläutert die Kuratorin Hélène Bangert: Über biographische Zugänge wird ein Gegenwartsbezug hergestellt und eine aktive Auseinandersetzung angeregt. Und Thomas Lange, ebenfalls Kurator der Ausstellung, betont die Bedeutung einer aktiven und gegenwartsbezogenen Auseinandersetzung: „Wie konnten Zwangsarbeit und Internierung zur Zeit der NS-Herrschaft zu einer Normalität für die umliegende Bevölkerung werden?“

Im Jahr 2023 hat der Verein den offiziellen Status als Gedenkstätte erworben und ist im gleichen Jahr Mitglied im Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e.V. Trotz dieser wichtigen Meilensteine steht für Thomas Lange fest: „Es ist eine Gedenkstätte in der Entwicklung“. An Zukunftsvisionen mangelt es nicht: Neben der weiteren Arbeit an der Ausstellung und der Kontextualisierung weiterer lokal-historischer Orte durch Informationsstelen gilt es die Begehbarkeit des Stollens und den Betrieb der Führungen langfristig zu sichern. Außerdem zielt die Gedenkstätte darauf, eigene Räumlichkeiten und Stellen für pädagogische Mitarbeitende einzurichten. Dort könnte das Gedenkstättenangebot um Vor- und Nachbereiten der Stollenbesuche sowie interaktivere Vermittlungsformate erweitert werden.

Die Erinnerungsorte in Porta Westfalica erhalten ihren überregionalen Stellenwert durch eine doppelte Authentizität. Zum einen ist die begehbare Untertageverlagerung in nordwest-deutschen Gedenkstättenlandschaft einzigartig und bietet Freiraum für die Auseinandersetzung mit den Themen KZ-Internierung, Zwangsarbeit und Untertageverlagerung. Zum anderen macht das ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Engagement die Gedenkstätte authentisch und somit niederschwellig. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen bringen ihre eigenen Interessen und Motive sowie persönliche Vermittlungsansätze mit in die Arbeit ein und verleihen der partizipative Erinnerungsarbeit in der Gedenkstätten-Landschaft NRW einen starken Aufwind.

Webauftritt des KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e.V.: Link

Ausstellung „Am Ende des Tunnes kein Licht“: Link

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