Inhalt Seitenleiste
Werkstatt Geschichtsarbeit: „Zwangsarbeit unter dem NS-Regime“ Tagungsbericht zur Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus vom 22. - 24. November 2011 in Oberhausen.
von Norbert Reichling
Die Tagung – ein Kooperationsprojekt von Bildungswerk der Humanistischen Union, Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten NRW und anderen - führte dieses Jahr Beteiligte aus der historisch-politischen Bildung in Gedenkstätten, Geschichtswerkstätten und der Erwachsenenbildung vom 22. - 24. November in Oberhausen zusammen. Insbesondere ist erfreulich, dass sie von vielen jüngeren Mitarbeiter/innen der Gedenkstätten zur Qualifizierung genutzt wurde. Austausch und Fortbildung standen diesmal unter dem Obertitel „Zwangsarbeit unter dem NS-Regime“.
Die Tagung wurde eröffnet von Hans-Christoph Seidel (Ruhr-Universität Bochum), der die Praxis der Zwangsarbeit im Ruhrbergbau durchleuchtete. Der Bergbau war eine der wichtigsten Bereiche der Kriegswirtschaft. Daher wurden zunächst viele Bergleute unabkömmlich gestellt, doch ergab sich ab 1938 ein großer Arbeitskräftemangel. Gegen Bedenken, die eine soziale Abwertung der Bergbauarbeit befürchteten, wurden, als eine Steigerung der Kohleförderung nötig wurde, immer zahlreicher Zwangsarbeiter aus der Ukraine, Russland und Kriegsgefangene auch aus Italien im Bergbau eingesetzt. Als Probleme erörterte Seidel besonders die Ernährung der Zwangsarbeiter und den Terror, der gegen diese von Deutschen, Kollegen und Vorgesetzte wie Vertretern des NS-Staates ausgeübt wurde.
Der anschließende Vortrag von Regina Plaßwilm aus Düsseldorf thematisierte die subjektive Erfahrung der Zwangsarbeit. Auf der Basis von 57 lebensgeschichtlichen Interviews, die mit Betroffenen aus Frankreich, den Niederlanden, Belarus und Russland geführt worden waren, beschrieb die Referentin die Probleme, über das erfahrene Schicksal später zu sprechen. Die Erfahrung eines sozialen Makels, die die Meisten nach 1945 machen mussten, führte dazu, dass die Zwangsarbeit sowohl in den westeuropäischen als auch in den osteuropäischen Gesellschaften zumeist verschwiegen wurde.
Der Vormittag des zweiten Programmtages wurde vom Besuch der Gedenkhalle Oberhausen bestimmt. An diesem ältesten Gedenkort Westdeutschlands wurde Ende 2010 eine neue Dauerausstellung eröffnet, die von Clemens Heinrichs vorgestellt wurde. Die neue Präsentation verknüpft die Geschichte der Stadt Oberhausen im Nationalsozialismus mit der der Zwangsarbeit von 1940 bis 1945. Die Einbeziehung von Video-Interview-Sequenzen wurde einhellig als sehr gelungen und eindrucksvoll hervorgehoben. Kritische Anfragen weniger Teilnehmer bezogen sich auf die heutige Nichtberücksichtigung früherer plakativ-faschismustheoretischer Sichtweisen.
Workshoparbeit zu didaktischen und pädagogischen Ansätzen zum Thema „NS-Zwangsarbeit“
Am Nachmittag des zweiten Tages wurden drei Arbeitsgruppen angeboten. Zeitzeugen-Interviews und ihre Verfügung per DVD und Internet waren Thema des ersten Workshops, hier referierte Cord Pagenstecher von der Freien Universität Berlin, der dort in einem Zentrum für Medieneinsatz in der Geschichtsdidaktik (CeDiS) tätig ist. Er präsentierte die Inhalte und Möglichkeiten einer neuen DVD, die Interviews aus einem umfassenden Projekt der Stiftung „Erinnerung – Verantwortung – Zukunft“ zur Zwangsarbeit 1939-1945 aufbereitet; didaktische Settings und Fragestellungen wurden kurz erprobt. Zudem stellte der Referent das dazu gehörige Online-Archiv vor, in dem fast 500 Interviews in Originallänge mit Transkriptionen und Übersetzungen zur Verfügung stehen. Dieses Archiv erlaubt intensive Recherchen nach Orten, Namen und Stichworten, bietet also vielfältige lokalgeschichtliche Anknüpfungspunkte für Lerngruppen.
Der zweite Workshop war „Pädagogischen Ansätzen und Erfahrungen zum Thema ‚Zwangsarbeit’“ gewidmet. Brita Heinrichs von der KZ-Gedenkstätte Mittelbau Dora stellte einige Fragestellungen und Methoden und Arbeitsansätze vor. Die geografische Allgegenwart von Zwangsarbeit in der NS-Zeit lädt regelrecht zur Spurensuche vor Ort ein. Und anders als beim Thema Holocaust ist ein Bewusstsein dafür heute, dass es sich bei der Verschleppung von ZwangsarbeiterInnen aus ganz Europa um ein umfangreiches Verbrechen handelt, kaum vorhanden. Bei der Vermittlung von Zwangsarbeit besteht die Möglichkeit, die Frage nach der Täterschaft oder Mittäterschaft weit zu fassen und auf die Tatbeteiligung oder auf Handlungsspielräume auch für Betriebsleiter, leitende Ingenieure, einfache Arbeiter und Angestellte usw. zu achten.
Wie in Ausstellungen und Veranstaltungsarrangements das Thema Täterschaft repräsentiert ist, war das Thema des dritten Workshops. Jana Jelitzki und Mirko Wetzel haben am Beispiel von Gedenkstätten-Ausstellungen untersucht, welches Täter-Bild dort zu finden ist. Sie identifizierten teilweise recht krude Täterbilder, die sich an alten Leitvorstellungen wie dem Sadisten, dem so genannten Schreibtischtäter oder der Floskel von den „ganz normalen Männern“ orientieren. Im Gegenzug plädierten sie für ausdifferenzierte Konzepte, die die konkreten Personen ebenso wie ihre Gruppenbezüge und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Stefan Querl vom Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster erläuterte einen anderen Ansatz, der davon ausging, dass oftmals kein fest umrissener Täterbegriff mehr formuliert wird und historische Verantwortlichkeit im Gewirr gesellschaftlicher Beteiligungen unterzugehen droht. In einem Simulationsspiel, das die an Filmbeispielen und anderen Quellen belegte Täterschaft der Ordnungspolizei im Warschauer Ghetto thematisierte, wurden die Teilnehmenden auf gefordert, ein Urteil zu fällen.
Kurzberichte und Nachrichten aus den Gedenkstätten und Bildungsorten
Die „Projektebörse“ am letzten Tag dient dem Zweck, in knapper Form laufende Arbeiten, neue Projekte und Fragen vorzustellen und so zur Zusammenarbeit anzuregen. Themen waren neue Sonder- und Dauerausstellungen in NRW, geplante Veröffentlichungen und die Kooperation zwischen politischer Bildung und Gedenkstätten.
Abschließend berichtete Dr. Eva Schöck-Quinteros von der Universität Bremen über ihr Projekt „Aus den Akten auf die Bühne“. Mit Studierenden der Geschichte hat sie bereits mehrfach historische Aktenbestände - über Frauen und Prostitutionsverdächte, über Entnazifizierung, über die Ausweisung „lästiger Ausländer“ oder Gefängniserfahrungen für die Bühne aufbereitet. Die Teilnehmenden sahen hierin eine wichtige Anregung für Archivpädagogik und andere Arbeitsfelder.

