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Trauer um Liselotte Wertheimer

Verfasst am 24. Juli 2008

Nur fünf Tage nach ihrem 90. Geburtstag, der am 17. Juli stattfand, verstarb die ehemalige Coesfelder Jüdin Liselotte Wertheimer, geb. Hertz. Mit ihr verliert der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster eine couragierte Zeitzeugin, Weggefährtin und Freundin, wie Historikerin Julia Volmer-Naumann, lange Zeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geschichtsort Villa ten Hompel der Stadt Münster, in ihrem Nachruf würdigt:

Liselotte Wertheimer wurde 1918 als ältestes Kind des Coesfelder Pferdehändlers Albert Hertz und seiner Frau Paula geboren. Sie verlebte unbeschwerte Jahre in der westfälischen Stadt, die allerdings nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten ein abruptes Ende fanden. Im Jahr 1934 musste sie die Staatliche Aufbauschule für Mädchen in Coesfeld, das heutige Heriburg-Gymnasium, verlassen. Zwar wurde sie darauf an der Hildegardisschule in Münster aufgenommen, erlebte dort aber auch Demütigungen durch Lehrer, die sie vor der Klasse als "typische Jüdin" vorführten. Ihr Abitur durfte sie in Münster nicht mehr machen. Nach einem Ausbildungsaufenthalt in Köln emigrierte Liselotte Wertheimer 1936 in die Niederlande, wo sie sich auf die Emigration nach Palästina vorbereitete. Mit ihrem ersten Mann Fritz Löw wanderte sie dann 1938 nach Haifa aus, wohin auch ihre Eltern und die jüngeren Brüder Fritz und Gerd folgten.

Die vorher wohlhabende Familie lebte in einfachsten Verhältnissen; Vater Albert Hertz verkaufte selbstgebackene Brötchen, Mutter Paula bügelte Hemden für Hotelgäste. Das ursprünglich angestrebte Studium konnte Liselotte Wertheimer nicht aufnehmen. In Palästina wurden schließlich 1941 Sohn Michael Löw und 1949 Tochter Yael Wertheimer, aus der zweiten Ehe mit Myrtill Wertheimer, geboren. Zum ersten Mal 1955, dann endgültig 1957 kehrte die Familie Wertheimer nach Deutschland zurück, ursprünglich nur, um Liselotte Hertz' Vater Albert zu beerdigen und einen ersten Antrag auf Entschädigung für die NS-Verfolgung zu stellen. Die in die USA geplante Weiterreise endete in Dortmund. Die Hertz'sche Familie war damit voneinander getrennt. Mutter Paula und die Brüder wie auch die Kinder der Wertheimers lebten in den USA, Liselotte Wertheimer und ihr Mann blieben bis zu ihrem Tod in Dortmund.

Die Villa ten Hompel lernte Liselotte Wertheimer durch das Forschungs- und Ausstellungsprojekt "Wiedergutmachung" kennen: In dem Gebäude am Kaiser-Wilhelm-Ring in Münster hatte sie 1955 ihren Antrag auf Entschädigung für verfolgungsbedingte Schäden - erzwungener Abbruch der Ausbildung, Vermögensverlust und gesundheitliche Probleme - gestellt. Während sich Liselotte Wertheimer selbst als Zeitzeugin für Schülergruppen zur Verfügung stellte, wird seit dem Jahr 2005 die "Entschädigungsgeschichte" ihres Vaters Albert Hertz aus Coesfeld in der Ausstellung "Wiedergutmachung als Auftrag" präsentiert. Die öffentliche Erinnerung an ihren geliebten Vater hat Liselotte Wertheimer sehr stolz und dankbar gemacht.

Liselotte Wertheimer starb nach längerer Krankheit in Dortmund, beerdigt aber wurde sie auf eigenen Wunsch hin in ihrer alten Heimatstadt Coesfeld. Das Team der Villa ten Hompel trauert mit Familie und Freunden um eine engagierte Zeitzeugin, deren großer Lebensmut und selbstironischer Humor fehlen werden.

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