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Steine gegen das Vergessen Zum 60. Geburtstag des Kölner Künstlers Gunter Demnig
Kürzlich am Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster: Eine israelische Schülergruppe besucht die Ausstellung zur Geschichte der Wiedergutmachung und bricht plötzlich in wahre Jubelschreie aus, als sie drei platzierte "Stolpersteine" von Gunter Demnig und das zugehörige Gedenkbuch entdeckt. "Die haben wir schon überall gesehen auf unserer Deutschlandreise - in Berlin, Hamburg und hier in Münster." Begeistert sind die jungen Gäste aus der Nähe von Tel Aviv von der Idee des Kölner Künstlers und wollen unbedingt ihren Großeltern in der Heimat davon berichten.
Am 26. Oktober wurde der Erfinder des Kunstprojekts 60 Jahre alt - und er hat mit seinen "Stolpersteinen" nicht nur in Deutschland Spuren hinterlassen.
"Ein Kunstprojekt für Europa" nennt der gebürtige Berliner seine aus Beton gegossenen Steine mit einer kleinen Messingtafel auf der Oberseite, die bis Ende September 2007 in 277 Ortschaften etwa 12.500 Mal verlegt worden sind. Die ersten Steine liegen inzwischen auch in Österreich und Ungarn. Sie werden von Paten gespendet und vor dem Haus verlegt, in dem das Opfer zuletzt aus freien Stücken gelebt hat. Zusammen mit Überlebenden, Nachgeborenen, Regionalhistorikern, aber auch vielen engagierten Bürgern will er gegen die Anonymisierung der Opfer vorgehen und sagt: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."
Auch wenn die Mehrzahl der bislang verlegten Stolpersteine an jüdische NS-Opfer erinnert, hat Demnig den Anspruch, auch andere Opfergruppen mit einzubeziehen. Es ist - laut seiner Internetseite - ein "Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig hält." Und Demnig hat mit seinem 1993 entwickelten Projekt Erfolg. Er "hat mit seinen Stolpersteinen eine einfache, bewegende Art des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus gefunden, jenseits der teuren Gedenkstätten und der oft jahrelangen und beschämenden Diskussion um diese", sagte Elke Heidenreich in ihrer Laudatio bei der Übergabe der Alternativen Kölner Ehrenbürgerschaft an den Kölner Künstler im August 2006. Auch andere Auszeichnungen dokumentieren die positive Resonanz: Allein im Jahr 2005 erhielt Demnig sowohl das Bundesverdienstkreuz als auch den German Jewish History Award der Obermayr Foundation. Gerade vor wenigen Tagen, am 9. Oktober, wurden weitere Stolpersteine in Düsseldorf verlegt und das Kölner EL-DE-Haus hat unter anderem eine interaktive Datenbank für die die vielen in Köln verlegten Mahn- und Erinnerungssteine ins Leben gerufen. Zudem würdigt eine eigene Ausstellung in Köln sein Werk - weit über das Rheinland und Westfalen hinaus. Sie beschreibt die Geschichte, Praxis und Wirkung des Erinnerungsprojektes, wie Werner Jung, Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, und das Team unterstreichen.
Dennoch: Auch ein paar kritische Stimmen sind in den vergangenen Jahren laut geworden. So stellt Ulrike Schrader in ihrem Aufsatz "Die "Stolpersteine" oder Von der Leichtigkeit des Gedenkens" einige Anfragen an die Art und Weise des Gedenkens. Unter anderem fragt sie, ob durch das Kunstprojekt des Lebens der Opfer oder deren Tod gedacht werde. Zudem fehlen ihr die pädagogischen Begleitungs- und Betreuungsmaßnahmen, die die vielen Gedenkstätten in NRW vor allem Schulklassen im Umgang mit dem Nationalsozialismus bieten können. Auch bemängelt Schrader, dass viele Hinterbliebene und Angehörige der Verfolgten gar nicht um ihre Stellungnahme gebeten werden und auch die negierende Haltung einiger jüdischer Gemeinden kaum in die Überlegungen mit einbezogen worden sei. Durch den Boom um die "Stolpersteine" sei deren Ablehnung für eine Stadt nahezu unmöglich geworden - und auf der Strecke blieben "die inhaltlichen und künstlerischen Auseinandersetzung, mögliche Zwischentöne, differenzierte und differenzierende Kritik."
Norbert Reichling, Leiter des Jüdischen Museums Westfalen in Dorsten, verlangt in seinem Aufsatz "Vom antifaschistischen Pathos zur 'normalen' Bildungsarbeit" von unseren Gedenkorten, dass sie kommunikative Lernorte bilden, und Impulse, aber auch "Irritationen" hervorrufen sollen. Die Stolpersteine laden dazu ein, über sie zu diskutieren und zu sprechen - und so ist es Gunter Demnig bei allen Kontroversen um seine künstlerische Arbeit gelungen, die Erinnerung an die NS-Zeit auch in den Alltag der Menschen zu integrieren, die vielleicht selten oder nie Gedenkorte und Museen aufsuchen.

