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Rheinischer Karneval im Dritten Reich

Nationalsozialistische Inszenierungen machten auch vor dem bunten Volksfest nicht halt.

Verfasst am 08. Februar 2010

Wenn die so genannte „fünfte Jahreszeit“ eingeläutet wird, beginnen für die Karnevalisten am Rhein und in Westfalen wieder Tage voller Spaß und Ausgelassenheit. Im Rosenmontagszug finden sie wie jedes Jahr ihren Höhepunkt. Allein in Köln werden am 15. Februar wieder über eine Million verkleidete Menschen mit „Funkemariechen“, Musikkappellen und Prunkwagen schunkeln und tanzen. Aber wie wurde Karneval eigentlich zur Zeit des Nationalsozialismus gefeiert? Waren die Jecken so närrisch wie heute oder gab es gar ein Karnevalsverbot?

Zeugnisse aus der Antike belegen, wie alt dieses Volksfest bereits ist. Zwar war der Kult immer einem ständigen und vielfältigen geschichtlichen Wandel ausgesetzt, doch hat sich der Kern dieses rituellen Festes nicht wesentlich geändert: Die Teilnehmer nutzen jedes Jahr die Möglichkeit, sich ihren Wünschen entsprechend darzustellen oder „ihre Träume und Phantasien“ zu verwirklichen. Daneben hatte der Karneval durch die Umkehrung der eigentlichen Ordnung auch oft die Funktion, ein Ventil für den Unmut über bestimmte gesellschaftliche Zustände zu sein. Und wirken die Feiern, Umzüge und Verkleidungen auf manche Außenstehenden höchst befremdlich – zumindest die zahlreichen in Vereinen organisierten Narren zeigen Emotionen und intensiven Einsatz.
Mit viel Engagement wird die Hierarchie auf den Kopf gestellt, dem Bürgermeister symbolisch der Schlüssel für das Rathaus vom Volk genommen und auf vielen Festwagen beim Umzug die aktuelle Politik verhöhnt. Dabei zeigen Quellen, dass die Jecken schon zur Zeit der napoleonischen Besatzung oder unter preußischer Herrschaft in Köln ihre Späße mit der Obrigkeit getrieben haben.

Bei soviel Unangepasstheit und offener Kritik an den Mächtigen im Land liegt der Gedanke nahe, dass sich mit dem Karneval ein Bereich gefunden habe, in welchem auch im Dritten Reich regimekritisch und eben nicht in einer Reihe mit den Nationalsozialisten gefeiert wurde. Tatsächlich meldeten sich nach Kriegsende in der jungen Bundesrepublik erste Stimmen, die mit Einzelereignissen das oppositionelle Verhalten der Karnevalsgesellschaften im Dritten Reich darstellen wollten. Berühmt geworden ist die „Narrenrevolte“ von 1935, als sich die Kölner Karnevalsgesellschaften mit Mitgliedern der nationalsozialistischen Verwaltung trafen, um eine organisatorische Gleichschaltung, also die Vereinnahmung und Nutzbarmachung des Karnevals für Ziele des Regimes um Hitler, zu verhindern. Und tatsächlich konnte man die Eigenständigkeit gegenüber NSDAP-Gemeinschaften wie „Kraft-durch-Freude“ bewahren, indem man Konkurrenzkämpfe zwischen verschiedenen einflussreichen Nazis ausnutzte.

Jüngere Forschungen, auch durch einen Generationenwechsel bedingt, werfen nun ein anderes Bild auf die zahlreichen Karnevalsgesellschaften. Auch die lange als Zeichen des Widerstandes verstandene „Narrenrevolte“ muss man wohl weniger als Protest gegen das Dritte Reich als solches denn als Versuch, die eigene Macht zu erhalten, verstehen. Die Prinzengarde unter Präsident Thomas Liessem, die sich später als „Anführer der Revolte“ darstellten, ließ bei ihren Auftritten in der vorherigen Saison 1933/34 sogar noch eine SA-Kapelle spielen. Dass auch nationalsozialistische Werte vertreten wurden, zeigen damals beliebte Lieder wie „Die Jüdde wandern uss“. Auf dem Rosenmontagszug 1934 in Köln verbreitete ein Festwagen mit in schwarzer Kleidung und mit langen Bärten verkleideten Karnevalisten unter dem Motto „Die letzten ziehen ab“ offen eine antisemitische Stimmung.

Doch nicht nur in Liedtexten und Büttenreden oder Motivwagen wurden Personen, die nicht in die ideologische Vorstellung der Volksgemeinschaft passten, ausgegrenzt und verleumdet. Unangepasste Künstler unter den Karnevalisten wurden massiv unter Druck gesetzt und nur in seltenen Fällen hielten sie Stand: Der Düsseldorfer Leo Statz wurde 1943 vom Volksgerichthof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt, weil er in Liedern und Gedichten immer wieder Kritik oder Zweifel an den menschenverachtenden Zielen der Nazis äußerte. Insofern wurden wie vielerorts auch im Karneval unerwünschte Personen rücksichtslos aus dem Weg geräumt oder ermordet. Dementsprechend hat die nationalsozialistische Weltanschauung mit ihrem totalitären, alles Umfassen wollenden Anspruch auch diesen Lebensbereich erfasst.

In diesem Licht erscheinen auch Zeitungsartikel, die aus dem Dritten Reich überliefert sind. Der „Westdeutschen Beobachter“ hat am 1. März 1933 zum Beispiel geschrieben: „Der Kölner Karneval war wieder ein echter Volkskarneval und keine Massenfabrikation, keine Konfektionsware aus dem jüdischen Warenhaus.“ Gemäß solchen Aussagen haben sich unter der Oberfläche von Ausgelassenheit, Freude und lustigen Feiern also auch auf karnevalistischen Veranstaltungen Ideologien und „Werte“ der Nationalsozialisten verbreitet und sind bei der teilnehmenden Bevölkerung auf breite Zustimmung getroffen.

Aus aktuellem Anlass widmen sich nun wieder neue Publikationen Rosenmontag, Karnevalsvereinen und deren Verstrickung in die nationalsozialistische Herrschaft. Dabei kann nicht übergangen werden, dass auch die vielen karnevalistischen Gesellschaften ein Bedürfnis und großes Interesse an der eigenen Aufarbeitung haben und den Wissenschaftlern mit Dokumenten aus den eigenen Archiven weiterhelfen, sofern diese nicht in der Nachkriegszeit vernichtet wurden. Dabei zeichnen die Forscher ein differenziertes Bild vom Karneval im Nationalsozialismus: Die einen nahmen an der Hetze auf jüdische Mitbürger teil oder versuchten durch vorauseilenden Gehorsam auf sich aufmerksam zu machen. Die anderen passten sich an oder stimmten still der Nazi-Politik zu und nur wenige trauten sich, offen Kritik zu äußern. Auch Carl Dietmar und Marcus Leifeld kommen in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Alaaf und Heil Hitler - Karneval im Dritten Reich“ zu dem Schluss, dass sich die Mehrheit der Karnevalsgesellschaft bereitwillig instrumentalisieren ließ.

Neben den Neuveröffentlichungen plant mit dem Kölner NS-Dokumentationszentrum auch ein Mitglied des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten für den November 2011 eine umfassende Ausstellung, die den Nationalsozialismus und Karneval thematisieren wird.

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