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Paul Wulf in "Münsters Geschichte von Unten"

Die Skulptur Projekte in Münster 2007

Verfasst am 02. August 2007

Auf einem Rundgang durch Münster begegnen einem in den letzten Wochen die unterschiedlichsten Sprachen. Münster ist auch sonst ein beliebtes Touristenziel, aber so viel Leben wie in diesen Wochen haben die Münsteraner Straßen lange nicht erlebt. Doch nicht nur die unterschiedlichen Besucher haben das Stadtbild verändert, auch sind an den vielen kleinen und großen Plätzen Münsters diverse Skulpturen und Bild- und Toninstallationen entstanden. So stolpert man z.B. an der Überwasserkirche über eine bunte Anzahl von Liegestühlen und Sonnenschirmen oder man findet sich unversehens an der Lambertikirche in einem Stück Bambuswald wieder. Was Münster so verändert hat und viele, auch internationale, Gäste nach Münster lockt, sind die Skulptur Projekte, die nun zum vierten Mal in Münster stattfinden. Thema ist das ambivalente Verhältnis von Kunst, Öffentlichkeit und städtischem Raum, mit besonderem Augenmerk auf dem Ausstellungsort, der Stadt Münster. Seit 1977 finden hier alle 10 Jahre die Skulptur Projekte statt, die somit das Stadtbild bereits nachhaltig geprägt haben. Die 36 internationalen Künstler beziehen sich mit ihren Skulpturen auf die Lokalität Münster, sind ansonsten aber inhaltlich, formal und technisch ungebunden. Auch Hinweise auf die NS-Vergangenheit Münsters sind dabei immer wieder kreativ eingearbeitet. So beschäftigt sich z.B. das Projekt Aequivalenz von Gustav Metzger mit dem deutsch-britischen Luftkrieg, im Speziellen mit dem Bombardement der Städte Coventry und Münster. Silke Wagner dagegen beschäftigt sich mit Paul Wulf, einer Münsteraner Persönlichkeit, die selbst immer wieder versuchte die Öffentlichkeit Münsters zu erreichen und für die, von ihm selbst erlebten, NS-Verbrechen zu sensibilisieren.

Silke Wagner nutzt ihre Kunstwerke oft zur Vermittlung politischer Inhalte. Dafür eignet sich die Figur des Münsteraners Paul Wulf ganz besonders. Paul Wulf kam 1928 als Kind in ein Heim und wurde später in die jugendpsychiatrische "Idiotenanstalt" in Marsberg verlegt. Dort war er der NS-Psychiatrie ausgeliefert und wurde 1938 im Alter von 16 Jahren zwangssterilisiert. Nach dem Krieg trauten sich die wenigsten Opfer der NS-Psychiatrie und der Zwangssterilisierungen in die Öffentlichkeit. Diese Opfergruppen der NS-Verbrechenwaren von der Wiedergutmachung ausgeschlossen. Paul Wulf hatte den Mut sich der Öffentlichkeit zu stellen und kämpfte jahrelang für Wiedergutmachung und Anerkennung. Doch erst 1979 wurde ihm am Sozialgericht Münster eine bescheidene Erwerbsunfähigkeitsrente, aufgrund der Folgen der Zwangssterilisierung zugestanden. 1981 wurden ihm und den noch lebenden Zwangssterilisierten vom Bund eine Einmalzahlung von je 5.000 DM bewilligt. Doch damit endete sein Einsatz für die Opfer des NS-Regimes und gegen die NS-Täter nicht. Bis zu seinem Tod widmete er sich der antifaschistischen Bildungsarbeit, deckte durch intensive Recherchen und Dokumentationen die NS-Vergangenheit einer hoch angesehenen Persönlichkeit der Umgebung auf und bekam für seine Ausstellungen und seine beharrliche Aufklärungsarbeit 1991 das Bundesverdienstkreuz. Seit 1999 erinnert der Freundeskreis Paul Wulf an ihn und versucht seinen Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Auch Silke Wagner erinnert mit ihrer Skulptur an die Person Paul Wulf und macht damit auf dessen Ziele aufmerksam. Die Skulptur nimmt sein Leben und seinen Kampf auf und soll "Münsters Geschichte von Unten" Ausstellungsfläche bieten. Zu diesem Zweck wird die Skulptur, deren Mantel wie eine Litfasssäule genutzt wird, an vier Terminen mit Dokumenten aus dem Umweltzentrums-Archiv plakatiert. Neben der Geschichte Paul Wulfs treten dort drei weitere Abschnitte der Münsteraner "Geschichte von Unten" in den Vordergrund: Die Geschichte der Hausbesetzungen in Münster, die Geschichte politischer Zensuren von Texten in Deutschland und die Geschichte der Anti-Atom-Bewegung in Münster. Einen zweiten Teil des Projektes bildet die Digitalisierung von Archivmaterial aus dem Umweltzentrums-Archiv und die Einrichtung einer Web-Seite um das Material einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und so das Verständnis für gesellschaftliche Entwicklungen dauerhaft um die Perspektive der "Geschichte von Unten" zu bereichern.

Plakatierungstermine:

16. Juni - 12. Juli 2007

Lebensgeschichte und gesellschaftspolitische Arbeit von Paul Wulf

13. Juli - 9. August 2007

Geschichte der Hausbesetzungen in Münster

10. August - 6. September 2007

Politische Zensur von Texten in Deutschland von 1970 bis heute

7. September - 30. September 2007

Anti-AKW-Bewegung in Münster

Die verschiedenen Künstler der Skulptur Projekte 2007 beziehen teilweise auch andere Münsteraner Persönlichkeiten in die Ausstellung ein. So z.B. die 1939 emigrierte, jüdische Familie Gumprich in der Filminstallation von Eva Meyer und Eran Schaerf oder erneut Paul Wulf in der Skulptur von Manfred Pernice. Dort steht er im Gegensatz zu Heinrich Lankenau, dem ehemaligen Befehlshaber der Ordnungspolizei, der in den 1940er Jahren seinen Sitz in der Villa ten Hompel hatte.

Zur Erschließung der verschiedenen Skulpturen werden unter anderem Führungen mit dem Bus oder mit dem Fahrrad angeboten und ein Fahrradverleih ermöglicht es den Besuchern auch eine unabhängige Tour zu den Skulpturen zu unternehmen.

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