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NS-Relikt und Streitobjekt: Die ehemalige "Ordensburg" Vogelsang in der Eifel

Teilnehmer der Tagung "Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus" diskutierten Konzepte für die Nutzung der als "Junkerschule" geplanten Anlage

Verfasst am 30. November 2007

Allein in der Frage steckt viel Brisanz: Welche Möglichkeiten bietet ein altes architektonisches "Aushängeschild" des Nationalsozialismus, um heutigen Generationen zu vermitteln, wie das NS-Regime junge Menschen zu ideologisch-willfährigen Anhängern seiner Bewegung machen wollte? Am Beispiel der ehemaligen "Ordensburg" Vogelsang im Nationalpark Eifel stand diese Frage im Mittelpunkt der Werkstatt "Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus", zu der das Bildungswerk der Humanistischen Union NRW, der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in NRW und das Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher geladen hatten. Vom 22. bis 24. November diskutierten in Bonn und in der Eifel Mitarbeiter von Gedenkstätten, Geschichtswerkstätten und -vereinen, Lehrer, Erwachsenenbildner und Hochschuldozenten konkrete Konzepte zur pädagogischen Erschließung des Geländes inmitten des Nationalparks sowie den Umgang mit der Architektur aus der Zeit der NS-Diktatur. Die Tagung diente daneben traditionell auch dem Erfahrungsaustausch und der stärkeren Vernetzung der verschiedenen Institutionen und Initiativen, die lokal und regional mit Geschichtsarbeit zum Nationalsozialismus befasst sind.

Am ersten Sitzungstag der Werkstatt fanden sich die Teilnehmer unter der Tagungsleitung von Dr. Paul Ciupke und Dr. Norbert Reichling (Bildungswerk der Humanistischen Union) in der Gedenkstätte Bonn ein. Astrid Mehmel, die Leiterin der Gedenkstätte, führte durch die im Jahre 2005 grundlegend überarbeitete und ergänzte Ausstellung. Sie berichtete über die Forschungs- und Bildungsarbeit des Hauses. Im anschließenden Gespräch mit den Tagungsteilnehmern wurden schnell die finanziellen und personellen Probleme der Einrichtung deutlich: Lediglich zwei fest angestellte Mitarbeiter kümmern sich um die Organisation und Durchführung von Führungen, bearbeiten Anfragen zur Geschichte Bonns im Nationalsozialismus, unterstützen Schüler und Studenten bei Nachforschungen, richten Veranstaltungen und Sonderausstellungen aus und erledigen Verwaltungsaufgaben.

Nach dem Umzug der Tagungsteilnehmer in das Gustav-Stresemann-Institut in Bad Godesberg am Abend schloss Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer, Lehrstuhlinhaber an der Universität Münster, den ersten Tag mit einem Vortrag unter dem Titel "Vom HJ- zum Parteimitglied. Zwischen Zustimmung und Zwang" ab. Darin erläuterte der Experte für Zeitgeschichte und die Erforschung des NS-Regimes und seiner Strukturen, mit welchen Mitteln die NSDAP versucht hatte, die Schüler der von 1940 bis 1944 in Vogelsang untergebrachten Adolf-Hitler-Schulen an die Partei zu binden. Er wies damit auf eine der wesentlichen Funktionen der NS-"Ausleseschulen" hin. Die dort erzogenen Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sollten als "ideologisch gefestigte" Nachwuchskräfte zukünftig die Ziele der nationalsozialistischen Politik verwirklichen.

Am Morgen des zweiten Werkstatt-Tages brachen die Teilnehmer zur ehemaligen "Ordensburg" Vogelsang in die Eifel auf. Vor Ort führten Gabriele Harzheim und Klaus Ring von der Standortentwicklungsgesellschaft Vogelsang (SEV) über das Gelände. Sie erklärten Bau- und Funktionsweise der zu einem großen Teil noch erhaltenen oder wieder aufgebauten Gebäude, die Teil einer kriegsbedingt kaum konkretisierten "Junkerschule" waren, und deuteten dabei auch künftige Nutzungsmöglichkeiten an. Die Besucher erhielten zudem die Gelegenheit, einen Blick auf die aktuelle Sonderausstellung "Verführt. Verleitet. Verheizt. Das kurze Leben des Paul B." zu werfen. Sie ist eine Leihgabe des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg und seit der Öffnung des Geländes zu Beginn des Jahres 2006 bereits die zweite Ausstellung, die im Ostflügel des Hauptgebäudes gezeigt wird. Ebenfalls in diesen Räumen untergebracht sind eine Besucherinformation sowie vier begehbare Aufsteller, die erste mögliche Nutzungskonzepte für das Gelände präsentieren.

Diese Nutzungskonzepte waren auch Thema des anschließenden Fachgesprächs zur Zukunft des Lernorts "ip Vogelsang", denn weder finanziell noch inhaltlich herrscht Planungssicherheit. Klaus Ring und Manfred Poth von der SEV diskutierten mit Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Vorsitzender des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW, einerseits die im Auftrag der SEV vom Ausstellungsbüro Müller-Rieger erarbeiteten Impulse sowie andererseits die Frage der Finanzierbarkeit der geplanten "Kernnutzungen" auf dem Gelände. Neben einer NS-Dokumentation, einer regionalgeschichtlichen Ausstellung sowie eines Nationalparkzentrums sind auch die Unterbringung der Nationalparkverwaltung und einer Bildungseinrichtung für Jugendliche und junge Erwachsene in den denkmalgeschützten Räumlichkeiten der ehemaligen "Ordensburg" vorgesehen. Sowohl Alfons Kenkmann als auch eine Reihe weiterer Werkstatt-Teilnehmer äußerten in dem Gespräch mit den SEV-Vertretern Kritik am geplanten Umgang mit der Architektur der Gebäude sowie an dem weiterhin vagen Gesamtkonzept der SEV, insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene NS-Dokumentation. Damit einher geht weiterhin eine große Unsicherheit bei der Entwicklung eines tragfähigen Finanzkonzepts. In welcher Form mit einer Unterstützung von Bund, dem Land NRW und privaten Investoren gerechnet werden kann, ist weiterhin unklar. Eine zweite Leitentscheidung des Landes, die den endgültigen Startschuss für eine konkrete Umsetzung der Projekte geben soll, wird jedoch von der SEV bis Ende des Jahres erwartet.

Nach der Rückkehr ins Gustav-Stresemann-Institut standen am Nachmittag zwei parallel angebotene Workshops auf dem Programm. Unter dem Motto "Gebaute Ideologie?" diskutierten die Teilnehmer den heutigen Umgang mit erhaltener Architektur aus der Zeit des Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt standen dabei das im mecklenburg-vorpemmerschen Alt Rehse erbaute NS-Musterdorf, indem die "Führerschule der deutschen Ärzteschaft" untergebracht war, der als "KdF-Seebad" Prora angelegte Gebäudekomplex auf Rügen sowie das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg.

Dr. Rainer Stommer, Projektleiter der Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse und gleichzeitig Leiter des Prora-Zentrums präsentierte für die ersten beiden Objekte mögliche Nutzungskonzepte, die sich momentan noch in der Planungsphase befinden. Im Gegensatz dazu konnten Matthias Weiß und Doris Katheder von der Projektgruppe DIDANAT aus Nürnberg anhand von mehreren Beispielen über den vielfältigen Umgang mit den Gebäuden des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes berichten. Vom Bau erster Wohnsiedlungen 1948, über den Abriss einzelner Gebäude und Gebäudeteile bis hin zur Einrichtung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände 2001 und der Eröffnung einer Filiale einer Fast Food-Kette im vergangenen Jahr wurde die gesamte Breite denkbarer Nutzungen deutlich.

Im zweiten Workshop stand die pädagogische Erschließung eines "Täter-Ortes" wie der NS-"Ordensburg" Vogelsang im Mittelpunkt. Neben Klaus Ring, der erste Ansätze möglicher Bildungsarbeit in Vogelsang vorstellte, vermittelte Ulrich Ballhausen von der Europäischen Jugendbildungs- und Jugendbegegnungsstätte Weimar einen Eindruck von den dort veranstalteten Seminaren, Projektarbeiten und Zusammenkünften junger Menschen. Prof. Dr. Bernd Hey vom Landeskirchlichen Archiv Bielefeld erläuterte abschließend die Methode so genannter Lehrpfade, bei denen entlang bemerkenswerter Plätze, Gebäude, Skulpturen oder anderer Objekte stationsartig ein historisches Gelände entdeckt werden kann.

Zum Abschluss des Tages führte Dr. Markus Köster vom LWL-Medienzentrum für Westfalen den Propagandafilm "Unsere Jungen - Ein Film der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten" vor. 1939 warben die Nationalsozialisten damit für die im heutigen Sprachgebrauch bekannten Napolas, Ausleseschulen für 10 bis 18-jährige Jungen unter der Ägide des Reichserziehungsministeriums und dem Einfluss der SS. Der Film zeigte begeisterte Jugendliche bei ihrer Ausbildung, die vor allem aus sportlichen Aktivitäten bestand und als Vorbereitung auf einen zukünftigen Kriegseinsatz gesehen werden muss.

Unter der Leitung von Susanne Abeck vom Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher startete der letzte Veranstaltungstag mit einer Projektbörse. Die Tagungsteilnehmer erhielten die Gelegenheit, neue Konzepte, Praxiserfahrungen und aktuelle Projekte aus der Gedenkstättenarbeit, den Geschichtsvereinen und anderen Initiativen vorzustellen. Als erster Vertreter berichtete Klaus Dietermann, Leiter des Aktiven Museums Südwestfalen in Siegen, über die geplante Erweiterung der Ausstellungsfläche des Museums von 200 auf 400 Quadratmeter. Angesichts fehlender finanzieller Mittel und der unzureichenden Unterstützung durch Kreis und Stadt ist er als ehrenamtlicher Museumsleiter auf neue Kooperationspartner angewiesen, um sowohl die Finanzierung als auch die Konzipierung und Umsetzung einer Ausstellungserweiterung leisten zu können.

Erfreulichere Nachrichten konnte Peter Steininger vom Verein Baudenkmal Bundesschule Bernau vermelden. Er informierte die Tagungsteilnehmer über die erfolgreiche denkmalgerechte Instandsetzung der ehemaligen Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Bernau bei Berlin. Das vom Bauhausarchitekten Hannes Meyer errichtete Gebäude hat in seiner Geschichte starke Anknüpfungspunkte an die "Ordensburg" Vogelsang. Nachdem die Bundesschule der Gewerkschaften im Mai 1933 durch die SA gewaltsam geschlossen worden war, eröffnete die NSDAP dort eine "Reichsführerschule", die bis zu Beginn des Jahres 1936 bestehen blieb. Nachfolger der Schule waren die "Ordensburgen", auf denen noch im gleichen Jahr der Lehrbetrieb aufgenommen wurde. So gelangte nicht nur die Bibliothek aus Bernau nach Vogelsang, sondern auch Ausbilder der "Reichsführerschule" erzogen nun den Parteinachwuchs auf den "Ordensburgen".

Auch Frank Dittmeier von der Geschichtswerkstatt Oberhausen konnte im Anschluss von einer Erfolgsgeschichte berichten. Seit 2006 veröffentlicht die Geschichtswerkstatt das halbjährlich erscheinende Journal "Schichtwechsel" und berichtet darin über die Geschichte der Stadt Oberhausen (Internetauftritt: www.schicht-wechsel.net). Von Beginn an stieß das Heft mit einer Auflage von 2.000 Exemplaren auf sehr positive Resonanz und einen guten Absatz. Konnten die ersten beiden Ausgaben des Journals noch dank der Unterstützung durch die Stadt Oberhausen kostenlos verteilt werden, ist "Schichtwechsel" seit diesem Jahr für drei Euro in ausgewählten Buchläden erhältlich. Gerade ist die insgesamt vierte Ausgabe erschienen.

Ein weiteres Medienangebot präsentierte Dr. Markus Köster mit der CD-Rom "Die Wewelsburg 1933-1945. SS-Größenwahn und KZ-Terror". Sie bietet umfangreiches Bildmaterial zur Geschichte der Burg im Nationalsozialismus, das in enger Zusammenarbeit vom LWL-Medienzentrum für Westfalen und dem Kreismuseum Wewelsburg zusammengetragen wurde. Auf dem Datenträger befinden sich nicht nur Fotos, sondern auch Faksimiles besonders aussagekräftiger Dokumente. Sie sind als Bild- oder PDF-Dateien abrufbar. Mit dem Angebot soll die Geschichtsarbeit vor Ort begleitet sowie Lehrern und Multiplikatoren, die einen Besuch auf der Wewelsburg planen, eine Hilfestellung bei der Vorbereitung geboten werden. Alle Texte auf der CD-Rom und das Begleitheft dienen dabei lediglich als Hintergrundinformation und zur Einordnung der Bilder. Markus Köster betonte, das Ziel der Macher sei es nicht etwa gewesen, Texte zu bebildern, sondern die vorhandenen Bilder knapp zu betexten. So bietet sich dem Nutzer ein größerer Freiraum, das Material individuell auszuwerten und in unterschiedlichen Kontexten zu verwenden.

Ebenfalls sehr viel positive Resonanz erhält das von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf durchgeführte Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, das Heidi Sack den Teilnehmern erläuterte. Einmal im Jahr lädt die Stadt Düsseldorf Gäste aus Polen, Weißrussland oder der Ukraine, die während des Zweiten Weltkriegs zum Arbeitsdienst nach Deutschland verschleppt wurden, für eine Woche in die Landeshauptstadt ein. Das Besuchsprogramm besteht aus unterschiedlichen Teilen, vom offiziellen Empfang im Rathaus und Landtag über Zeitzeugengesprächen in Schulen und Interviewaufzeichnungen durch die Mitarbeiter der Mahn- und Gedenkstätte bis hin zum Besuch der früheren Arbeits- und Wohnorte der ehemaligen Zwangsarbeiter. Während der Besuchszeit übernehmen Düsseldorfer Schülergruppen "Patenschaften" für einzelne Gäste und beschäftigen sich mit dieser Person und ihrer Geschichte. Ein vergleichbares Besuchsprogramm wird auch seit längerem vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln durchgeführt.

Zum Abschluss der Projektbörse stellte Brigitte Schneider von der Volkshochschule Gelsenkirchen noch ein neu konzipiertes Studienseminar zur Geschichte der Bekleidungsindustrie und Zwangsarbeit in Lodz vor. Interessierte können sich im nächsten Jahr an der VHS in Gelsenkirchen für die Veranstaltung einschreiben.

Den Endpunkt der Werkstatt-Tagung setzte schließlich Dr. Christian Schneider von der Universität Kassel mit seinem Vortrag "Der Holocaust als Generationsobjekt? Identitätsprobleme in der deutschen Erinnerungskultur". Mit provokanten Thesen über den Umgang der so genannten 1968er-Generation mit den Verbrechen ihrer Elterngeneration sorgte der Soziologe und Psychoanalytiker für eine sehr anregende Abschlussdiskussion.

An den drei Sitzungstagen bot die "Werkstatt Geschichtsarbeit historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus" ihren Teilnehmern einen breiten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten, die ein authentischer Ort wie die ehemalige "Ordensburg" Vogelsang für die historisch-politische Bildungsarbeit bieten kann. Gleichzeitig wurde aber schnell klar, welche enormen Schwierigkeiten bei der pädagogischen Erschließung und im Umgang mit der Architektur auftreten. So bewahrheitete es sich einmal mehr, dass die Debatten um eine zukünftige Nutzung Vogelsangs als historischer Lernort noch lange nicht beendet sind.

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