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Holocaust im Comic?

Bildergeschichten erobern den Schulunterricht

Verfasst am 02. September 2009

Wie können Comics sinnvoll im Geschichtsunterricht eingesetzt werden? Welchen Nutzen haben sie bei der Vermittlungsarbeit, welche Probleme lauern? Diese Fragen stellen sich heute nicht mehr nur Lehrer, die mit Asterix und Obelix die römische Antike erklären wollen. Im Blickpunkt steht seit längerer Zeit auch die Darstellung des Holocausts und die Geschichte des Nationalsozialismus. Besonders engagiert diskutierten Didaktiker, Lehrer und Multiplikatoren zuletzt das vom Anne-Frank-Haus in Amsterdam herausgegebene Heft "Die Suche". Aus der Perspektive der Enkelgeneration lernt der Leser das Schicksal einer fiktiven jüdischen Familie kennen, die in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wird.

Frühes Vorbild für die aktuellen Bildergeschichten war ein jüdischer Künstler, der schon vor über dreißig Jahren mit seinen Comicheften für Furore sorgte.

In den 1970er und -80er Jahren wagte es Art Spiegelman zum ersten Mal, Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung der Juden mithilfe des popkulturellen Genres Comic aufzuarbeiten. Seine heute berühmten Maus-Geschichten erzielten trotz kontroverser öffentlicher Debatten große Erfolge. 1992 erhielt Spiegelman als erster Comicautor den Pulitzer-Preis. Die Auszeichnung brachte die Kritiker jedoch nicht zum Verstummen. Zum einen sahen sie Comics grundsätzlich als ungeeignet für die Behandlung eines solch schwierigen Kapitels der Geschichte. Zum anderen seien besonders Spiegelmans Figuren problematisch. Sie werden mit Tiergesichtern gezeichnet, was eine Zuordnung von tierischen Eigenschaften durch den Leser nahe legt. So sind beispielsweise Juden als Mäuse, Nazis als Katzen oder Polen als Schweine illustriert. Juden werden damit - wie in der NS-Ideologie propagiert - als eigene "Rasse" dargestellt. Gewünscht hätten sich die Gegner stattdessen lieber "kätzische" oder "schweinische" Mäuse, um die einzelnen Akteursgruppen zu unterscheiden. Mit der Kritik an der Darstellungsform ist das generelle Problem von Comics als Vermittlungsmedium angesprochen: komplexe Zusammenhänge können nur stark verkürzt und vereinfacht beschrieben werden und es entstehen Stereotype, die von den Lesern oftmals unbewusst, unkritisch und möglicherweise sogar entgegen der Intention des Autors übernommen werden.

Seit den ersten Geschichten von Art Spiegelman hat es unterschiedliche Versuche gegeben, die Zeit des Nationalsozialismus und die Verfolgung der Juden im Comic aufzugreifen. Die 1989 erschienene Hitler-Biografie von Dieter Kahlenbach und Friedmann Bedürftig verzichtete beispielsweise auf jegliche Comic-typischen Humorelemente. Auch bei der Farbwahl gingen die Autoren unterschiedliche Wege. Sowohl bei den "Yossel"-Geschichten eines Joe Kubert, der von den Erlebnissen eines 15-jährigen Comiczeichners im Warschauer Ghetto erzählt, als auch bei Pascale Crocis "Auschwitz", einer Geschichte über das Schicksal einer deportierten jüdischen Familie, dominieren die für Comics untypischen schwarz-weiß-grau Töne. Sie erinnern an Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste", in dem ebenfalls als Stilmittel auf Farben verzichtet wurde.

Bei allen Comics bleibt die Frage: Wie können die Geschichten im Unterricht eingesetzt werden? Und ist es überhaupt angebracht, sich in der Schule mit solch einem popkulturellen Medium zu befassen? Da die Schüler in ihrer Freizeit immer wieder auf Comics mit historischen Bezügen treffen, ist eine Auseinandersetzung mit Inhalten und grafischer Gestaltung der Geschichten durchaus angebracht. Sie kann die Lesegewohnheiten der Jugendlichen schärfen und für einen reflektierten Umgang mit den Erzählungen sensibilisieren. Ein Ansatz ist zum Beispiel, die unterschiedlichen Illustrationen und Erzählperspektiven von Schülern vergleichen zu lassen. Die Jugendlichen können dabei über die Grenzen der Darstellbarkeit von Verfolgung und grausamer Ermordung diskutieren und eine kritische Haltung gegenüber den vielfach vereinfachenden Stilmitteln der Bildergeschichten entwickeln.

Vor zwei Jahren hat nun das Anne-Frank-Haus mit der Bildgeschichte "Die Suche" einen Comic herausgegeben, der explizit zur pädagogischen Verwendung entwickelt wurde. Inhaltlich geht es um die fiktiven Erlebnisse der jungen Jüdin Esther. Ihre Erlebnisse sind an das Leben der Anne Frank angelehnt. Ein didaktisches Begeleitheft ergänzt den Comic. Es legt den Schwerpunkt auf die Frage, wie sich Schüler eine kritische Meinung zu den Texten und der grafischen Aufbereitung der Geschichte bilden können. In einer Testreihe untersuchte das Berliner Anne-Frank-Zentrum, wie Schüler und Lehrer unterschiedlicher Schulformen den Einsatz des Comics im Unterricht bewerteten. Viele der Befragten äußerten sich positiv. Besonders die Diskussionen über die bunten Bilder und die kindliche Zeichentechnik des Comics, hatten sich im Unterricht als überaus konstruktiv und erkenntnisreich herausgestellt. Die Test-Leser sprachen dieser Form der Geschichtsvermittlung eine hohe motivierende Kraft zu. Sie schaffe es, selbst wenig interessierte Schülerinnen und Schüler in das Unterrichtsgespräch einzubinden. Trotz aller Probleme und Gefahren, die der Comic als Vermittlungsmedium mit sich bringt, scheint er demnach geeignet, um ihn gezielt im Lehrplan der Schulen einzubinden.

Weniger umstritten als die Comics zum Thema Holocaust und Nationalsozialismus, aber ebenso geeignet für den Unterricht sind die Bildergeschichten zu anderen historischen Ereignissen wie beispielsweise die "Da war mal was"-Reihe des Berliner Künstlers Flix. Sie beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und ist aktuell in einer Ausstellung an der Gedenkstätte Berliner Mauer zu sehen. Insgesamt existiert eine große Zahl an Comics, die sich mit historischen Themen befassen. Eine Orientierungshilfe bietet Christine Gundermann in ihrem Buch "Jenseits von Asterix - Comics im Geschichtsunterricht". Die Publikation enthält eine umfassende Comicografie sowie didaktische Vorschläge und Hinweise für den Einsatz in Schulen sowie der außerschulischen historisch-politisch Bildung.

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