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Geocaching in der Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus
Jan nimmt sein Smartphone ans Ohr und tut so, als würde er telefonieren. Vorsicht ist geboten: Auf der anderen Straßenseite ist ein älterer Herr unterwegs. Erst als der Muggel um die Ecke gebogen ist, schaut Jan wieder auf seinen Bildschirm. Er folgt den Koordinaten – hier an der ehemaligen Fabrik muss es sein... Jan sieht, dass ein Ziegel in der roten Backsteinmauer fehlt. Ganz unscheinbar ist dort eine graue Blechdose versteckt.
Jan ist 14 und macht Geocaching. Das bedeutet, er sucht nach versteckten Gegenständen, die er mithilfe von GPS auf seinem Handy orten kann. Ein „Muggel“ ist in der Sprache der Geocacher jemand, der nicht eingeweiht ist und nicht erfahren soll, das hier ein „Schatz“ liegt. Das Spiel, das Jan spielt, erinnert an eine moderene Schnitzeljagd und wird auch manchmal so genannt. Viele Menschen weltweit begeben sich inzwischen auf solche Streifzüge und machen sich auf die Suche nach verborgenen Film- oder Blechdöschen, die andere in der Stadt oder auch in der freien Natur versteckt haben.
Ein historisches Bildungsspiel
Jan ist aber kein gewöhnlicher Geocacher. Das Besondere in seinem Fall ist: Er ist im Auftrag einer Gedenkstätte unterwegs und sucht nach Spuren aus der Nazivergangenheit. In Jans Fall ist Geocaching ein historisches Bildungsspiel. Was für eine seltsame Fabrik ist das, was wurde hier früher einmal hergestellt? Und wer hat hier gearbeitet?
Wie sich später herausstellen wird, waren es polnische Zwangsarbeiter. Im zweiten Weltkrieg mussten sie hier für die Wehrmacht Munition herstellen und wurden wie moderne Sklaven gehalten. Jan ist überrascht. Mitten hier in seinem Stadtviertel gab es sowas? Davon wusste er nichts. Er möchte mehr darüber wissen und das Gute ist: Er kann es selbst herausfinden. Die Informationen aus der kleinen Metalldose an der alten Fabrik helfen ihm, die Spur der ehemaligen Zwangsarbeiter weiter zu verfolgen. Später wird er die Informationen, die er auf seiner Spurensuche zusammengetragen hat, mit den anderen Jugendlichen vom Austauschprojekt teilen. Und hören, was die inzwischen herausgefunden haben. Gemeinsam mit der pädagogischen Mitarbeiterin der Gedenkstätte werden die Jugendlichen anschließend besprechen, was hier im Stadtviertel damals passiert ist.
Jans Suche ist ein fiktives Beispiel dafür, wie Geocaching in der Bildungsarbeit zum Nationalsozialismus eingesetzt werden kann. Es ist jedoch nicht frei erfunden. Annemarie Hühne, Geschichtswissenschaftlerin und Spezialistin für das Thema Geocaching, erzählt, wie sie die Methode mit ihren Kollegen vom Projekt <link http: past-at-present.de external-link-new-window>past[at]present mit Jugendlichen auf dem Tempelhofer Feld in Berlin eingesetzt hat. „Die Jugendlichen verbringen oft ihre Freizeit auf dem Feld, grillen, hören Musik. Aber dass es dort, mitten in ihrer Wohngegend, mal ein KZ gab, ist ihnen nicht bewusst. Sie waren überrascht – und gespannt, als wir sie in Kleingruppen auf den Geocache geschickt haben.“
Eigenes Geschichtsbewusstsein entwickeln - die Historizität eines Ortes erkennen
Der Vorteil an der Methode sei zum Einen, dass sie spielerisch funktioniere, meint Annemarie Hühne. Wie Detektive oder Forscher sind die Jugendlichen selbst unterwegs und suchen nach Informationen über die Vergangenheit des Ortes, an dem das Geocaching stattfindet. „Sie erkennen so die Historizität des Ortes“, sagt die Geschichtswissenschaftlerin. Sie verstünden, ob und wie er sich verändert hat im Laufe der Jahre. „Das hilft ein eigenes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln.“
Nicht nur erkunden die Geocacher den ihnen gut bekannten und gleichzeitig noch so unbekannten Ort auf eigene Faust und haben so das Gefühl, seiner Geschichte selbst auf die Spur zu kommen. Durch die verwendete Technik, mit Smartphone oder Tablet, lassen sich von Pädagogen auch anfüllende Informationen wie Tonaufnahmen von Zeitzeugenkommentaren zum Erkundungsgang hinzufügen, ebenso Bilder oder Videos vom ehemaligen Erscheinungsbild des Ortes. Hinzu kommt natürlich, dass die Jugendlichen dabei technische Fähigkeiten vermittelt bekommen, wenn sie diese nicht schon besitzen.
Annemarie Hühne macht aber deutlich, dass es sinnvoll ist, den Geocache gemeinsam nachzubereiten, nicht nur um offene Fragen zu klären. Auch vorher sollte es eine kurze Einleitung geben, die sich allerdings auf ein Klären eventuell unbekannter Begriffe sowie eine Erklärung der Technik beschränken kann. Im Berliner Beispiel gab es zudem die Möglichkeit, während des Geocaches per Telefon mit einer „Mrs X“ zu kommunizieren, wenn man selbst nicht weiterkommt.
Einsatz von Geocaching an Gedenkstätten
Bisher ist die Methode Geocaching eher in der Umweltbildung verbreitet als in der historisch-politischen Bildung. Sogenanntes „Educaching“ betreibt darüber hinaus das <link http: www.deutsches-museum.de bonn information aktuell veranstaltungen-2013 educaching>Deutsche Museum in Bonn. Aber auch einige Gedenkstätten arbeiten bereits erfolgreich mit der Methode Geocaching zur Vermittlung historischer Inhalte. Dazu zählen das ehemalige Jugendkonzentrationslager Moringen oder die <link http: www.gedenkstaette-osthofen-rlp.de>Gedenkstätte KZ Osthofen. Von dort vernimmt man, dass der selbst gelegte Geocache durchaus auch zufällige Ausflügler auf die Gedenkstätte aufmerksdam gemacht hat, die sonst wohl an dem Ort vorbeigefahren wären. Denn natürlich lässt sich ein Cache nicht nur im Rahmen eines pädagogisch angeleiteten Programms durchführen. Hobby-Schnitzeljäger machen Tag für Tag eine Vielzahl solcher Caches in Deutschland. Für historische Stätten sicher eine Möglichkeit, die in den Hintergrund geratene Geschichte ihres Ortes neu zu thematisieren und einem durchaus interessierten Publikum wieder präsent zu machen. Denn sogenannte „Lost Places“ wie etwa verlassene Gebäude mit einer eigenen Hintergrundgeschichte üben auf viele Geocacher einen besonderen Reiz aus und werden in der Schatzsuchergemeinschaft oft mit Begeisterung aufgenommen.
Um den historischen Geocache auch außerhalb eines betreuten Programms zugänglich zu machen, muss er den Regeln der Geocaching Community entsprechend auf einer der beiden dafür einschlägigen Internetplattformen registriert werden – auf <link http: www.opencaching.de>www.opencaching.de oder <link http: www.geocaching.com>www.geocaching.com. Außerdem sind bestimmte Sicherheitsregeln zu beachten. Dazu gehört, eine Erlaubnis für den Ort des Verstecks einzuholen bzw. zu überprüfen, ob dort bedenkenlos ein Behälter versteckt werden kann. An Bahnhöfen etwa ist davon abzuraten, die kleinen Dosen könnten hier eine Bombenwarnung auslösen. Außerdem muss das Versteck mindestens 161 Meter vom nächstgelegenen Cache entfernt sein, damit es zu keinen Verwechslungen kommt. Dies sollte man vorher einmal auf den genannten Plattformen überprüfen. Zu guter Letzt braucht man natürlich eine Smartphone-App, mit deren Hilfe man die GPS-Daten erfassen und das Versteck finden kann. Alternativ kann auch mit einem GPS-Empfangsgerät gearbeitet werden oder – ganz altmodisch und ohne Elektronik – mit genauen Karten. Sich auf eigene Faust und noch dazu spielerisch auf die Suche nach der Geschichte eines Ortes begeben zu können spornt so oder so die Neugier an.

