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Gedenkstätten aus dem Arbeitskreis im Porträt: Die Alte Synagoge Essen

Ein Haus jüdischer Kultur und eine lebendige Begegnungsstätte

Verfasst am 15. April 2014

Vor nicht ganz vier Jahren wurde die ehemalige Synagoge der jüdischen Gemeinde in Essen zu einem „Haus jüdischer Kultur“. Erstmals eröffnet worden war das Haus im Jahr 1913. Doch nur 25 Jahre lang nutzte die damals 4500-Mitglieder große jüdische Gemeinde der Stadt Essen die Synagoge als einen „Tempel des Herrn“, wie das Gebäude in dieser Zeit auch genannt wurde. Die Synagoge wurde während der Novemberpogrome 1938 in Brand gesetzt. Die Außenmauern des Stahlbetongebäudes blieben jedoch bestehen. Über 2500 jüdische Essenerinnen und Essener wurden während der Zeit des Nationalsozialismus getötet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zeigte sich die deutsche Gesellschaft  auch in Essen unfähig und unwillig sich mit diesen Morden als ein von Menschen gemachtes Werk auseinanderzusetzen und die Rolle, die sie dabei gespielt hatte, anzuerkennen. Das 1949 vor der zerstörten Synagoge aufgestellten Mahnmal sprach daher lediglich davon, dass „mehr als 2500 Juden der Stadt Essen in den Jahren 1933 bis 1945 ihr Leben lassen mussten“.

Die Überlebenden der jüdischen Gemeinde kehrten nach dem Krieg nicht in ihre Synagoge zurück. Jahrelang blieb die Ruine ungenutzt. An dem in den 1950er Jahren mehrfach geäußerten Wunsch der jüdischen Nachkriegsgemeinde, das Gebäude für kulturelle Zwecke zu nutzen, zeigte die Stadt Essen ebenso wenig Interesse wie an dem aus Israel kommenden Vorschlag in der ehemaligen Synagoge an die Ermordung der jüdischen Europäerinnen und Europäer zu erinnern. 1959 kaufte die Stadt Essen das Gebäude von der Jewish Trust Corporation. Zu Beginn der 1960er Jahre  wurden der Torahschrein der Synagoge und die Überreste der Wandbemalung zerstört. Man zog eine neue Decke ein und beseitigte so auch die letzten synagogalen Merkmale des Gebäudes. Von nun an nutzte man die Synagoge als „Haus Industrieform“ und stellte hier Alltagsgegenstände im Industriedesign der Nachkriegszeit aus.

1979 löste ein Kurzschluss ein Feuer im Innenraum des Gebäudes aus und Teile der Industriedesignausstellung brannten aus. Erst jetzt wurden die bereits zuvor vorgebrachten Ideen, in der Synagoge einen Erinnerungsort einzurichten, aufgegriffen. Im nächsten Jahr wurde die Alte Synagoge zu einer Mahn- und Gedenkstätte. In der hier gezeigten Dauerausstellung „Verfolgung und Widerstand in Essen 1933-1945“ wurde vor allem dem in Teilen der Arbeiterbewegung geleisteten Widerstand Raum gegeben. Die Thematisierung der Verfolgung der verschiedenen Opfergruppen  erfolgte weitgehend aus der Perspektive des nationalsozialistischen Regimes.  An der Stelle des abgerissenen Torahschreines wurde die Vergrößerung einer in einem Vernichtungslager gemachten Photographie platziert. Mit dem pädagogischen Konzept der Gedenkstätte versuchte man allen voran bei den Besucherinnen und Besuchern Betroffenheit hervorzurufen.  

Zu Beginn der 1980er Jahre startete man die ersten Besucherprogramme mit jüdischen ehemaligen Essenerinnen und Essenern. Sie schärften das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Umbaus des Innenraumes der früheren Synagoge. Mit dem bis 1988 vorgenommenen Umbau verfolgte man die Zielsetzung, die synagogalen Merkmale des Hauses zu rekonstruieren, ohne dabei das für immer Verlorene zu verdecken. 1988 wurde auch die neue Dauerausstellung „Stationen jüdischen Lebens. Von der Emanzipation bis zur Gegenwart“ in der Alten Synagoge eröffnet. Zehn Jahre später wurde diese stark historisch ausgerichtete Ausstellung über die Geschichte der jüdischen Gemeinde Essen überarbeitet und mit Informationen über das Gemeindeleben, die jüdische Religion und über jüdisches Leben nach 1945 ergänzt.

Mit ihren pädagogischen Programmen über jüdisches Leben, über jüdische Religion und Kultur, der Durchführung von Kulturveranstaltungen und der Einführung des Donnerstagsgespräches, bei dem aktuelle politische Themen zur Sprache kommen, entwickelte sich die Alte Synagoge in den 1990ern immer mehr zu einem kulturellen Begegnungsort. 

2008 wurde dann eine neue Konzeption des Hauses beschlossen und 2010 wurde die Alte Synagoge Essen zum „Haus jüdischer Kultur“, einer Begegnungsstätte, die sich als ein lebendiger Kulturort versteht. Unter ihrem Dach finden Führungen durch die Ausstellung, Veranstaltungen für Kinder und Vorträge ebenso statt wie Konzerte und Filmabende.  

In der neuen Ausstellung lernen Besucherinnen und Besucher etwas über die Quellen jüdischer Tradition, jüdische Feste, die Geschichte des Hauses und die der jüdischen Gemeinde Essen und über den jüdischen „Way of life“

. Neben konventionelleren Ausstellungsmedien wie Texttafeln oder Touchscreens trifft man in der Alten Synagoge auch auf eine Reihe von unerwarteten Ausstellungsstücken, wie ein paar Bierflaschen aus der Zeit des Synagogenbaus, ein Förderband mit koscherem Essen und eine interaktive Tanzinstallation. „Judentum ist viel, viel, viel mehr als nur Religion“ erklärt die ehemalige Leiterin der Alten Synagoge Essen, Edna Brocke 2012 in einem Interview. Brocke verweist darauf, dass es sich beim Judentum allen voran um eine Seinsgemeinschaft handelt. In der Alten Synagoge wird daher auch auf die sozialen und kulturellen Verschiedenheiten jüdischen Lebens in unterschiedlichen Ländern und Gemeinde, auf Unterschiede zwischen Traditionalisten und Reformern aufmerksam gemacht.

Der spezifische Zugang des Hauses ermöglicht es, gerade jüngere Besucher mit dem Judentum in Kontakt zu bringen, ohne die Auseinandersetzung dabei auf die Verfolgung im Nationalsozialismus und die Shoah zu verkürzen. „Ich denke, es ist jetzt die dritte oder vierte Generation, die das Recht darauf hat, die Vielfalt jüdischer Kultur kennenzulernen. Und nicht nur Juden als Opfer!“, wurde Brocke in einem Bericht über die Neueröffnung der Alten Synagoge im Jahr 2010 zitiert. Doch auch das in der Alten Synagoge herrschende helle Licht, die warmen Farben und die Musik lassen den Besucher nicht vergessen, warum diese Synagoge heute nicht mehr im Sinne ihrer ursprünglichen Bestimmung genutzt wird.

Als ein Ort, der jüdische Kultur symbolisiert, wurde die Alte Synagoge Essen, trotz ihres Status als städtische Kultureinrichtung 1994 und 2000 gewaltsam angegriffen. Mit Blick auf den damaligen Antisemitismusbericht der Bundesregierung erklärt Uri Kaufmann, der Leiter der Alten Synagoge Essen, 2012: „‚Du Jude‘ ist leider immer noch ein weit verbreitetes Schimpfwort. Sogar bei jungen Menschen auf dem Fußballplatz“. Aus diesem Grund setzt die Alte Synagoge mit ihrem pädagogischen Programm sehr früh an und bemüht sich, Neugierde zu wecken, Kindern und Erwachsenen Wissen über jüdische Kultur und Religion zu vermitteln, Vorurteilen so vorzubeugen und ihnen wirksam zu begegnen.

Weitere Informationen über die Alte Synagoge Essen und ihr Programm finden Sie unter:

www.alte-synagoge.essen.de

Literatur und Internetquellen:
  • Edna Brocke und Peter Schwiderowski: Gestern Synagoge - Alte Synagoge heute, Essen 1999.
  •  „Judentum ist viel, viel, viel mehr als nur Religion“. Edna Brocke im Gespräch mit Ulrike Timm, 08.03.2012, online unter: <link http: www.deutschlandradiokultur.de>www.deutschlandradiokultur.de/judentum-ist-viel-viel-viel-mehr-als-nur-religion.954.de.html.
  • Bettina von Clausewitz: Ein Zeichen der Vielfalt. Neues Konzept für Alte Synagoge, 16.07.2010, online unter: <link http: www.deutschlandradiokultur.de>www.deutschlandradiokultur.de/ein-zeichen-der-vielfalt.1079.de.html.
  • Nikolaos Georgakis: „Jude ist immer noch ein weit verbreitetes Schimpfwort“, 07.02.2012, online unter: <link http: www.derwesten.de staedte essen jude-ist-immer-noch-ein-weit-verbreitetes-schimpfwort-id6323736.html>www.derwesten.de/staedte/essen/jude-ist-immer-noch-ein-weit-verbreitetes-schimpfwort-id6323736.html.
  • Martin Kuhna: Neue Offenheit. Jüdisches Leben in Essens Alter Synagoge, in: Ruhr-Revue 51 (2010), S. 16-22.
  • Frank Maier-Solgk: Alte Synagoge Essen. Haus jüdischer Kultur (Die Neuen Architekturführer Nr. 164), Berlin 2010.
  • Peter Schwiderowski: Das Lehrhaus für Kinder. Ein pädagogisches Angebot der Alten Synagoge Essen, in: Arbeitskreis NS-Gedenkstätten NW (Hrsg.): Forschen – Lernen – Gedenken. Bildungsangebote für Jugendliche und Erwachsene in den Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage, Düsseldorf 2002, S. 134-142.

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