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Für Vermittlung in der Gegenwart auch die Geschichte der „Anderen“ kennenlernen

Die Delegationsreise durch Israel führt die Aktiven der NRW-Gedenkstätten zu Forschungs- und Lernorten, die im jüdisch-arabischen Austausch Geschichte mit Gegenwartsbezug vermitteln.

Verfasst am 03. Dezember 2015

Im weiteren Verlauf der Delegationsreise des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten mit der NRW-Landeszentrale für politische Bildung und der Staatskanzlei besuchte die Gruppe aus Nordrhein-Westfalen das „Massuah Institute for the Study of the Holocaust“, die Bildungs- und Begegnungsstätte Givat Haviva sowie das „Ghetto Fighters‘ House Museum“. Allen Einrichtungen ist gemeinsam, dass sie auch in der komplizierten politischen Lage nicht aufhören, über Geschichte zu sprechen und zu zeigen, dass zum Verständnis in der Gegenwart immer auch der Austausch über Gemeinsames und Trennendes in der Vergangenheit gehört. Bei Abendbesuchen in der deutsch-israelischen Handelskammer und dem Israel-Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung hatten die Delegationsmitglieder Gelegenheit, sich mit Expertinnen und Experten über gegenwärtige politische Entwicklungen, aktuelle erinnerungskulturelle Debatten und mögliche Zusammenhänge zwischen den beiden Dimensionen auszutauschen.

Deutsch-israelischer Austausch über Geschichtsdidaktik in Einwanderungsgesellschaften

Der Austausch zwischen NRW-Gedenkstätten und den israelischen Einrichtungen verlief dabei an allen Tagen in beiden Richtungen: Mareike Böke vom jüdischen Museum Westfalen und Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, sprachen über gegenwärtige Herausforderungen für die pädagogische Arbeit in Gedenkstätten durch den in Europa wieder wachsenden Antisemitismus. Im Gegenzug lernten sowohl in Givat Haviva als auch im „Ghetto Fighters‘ House“ die nordrhein-westfälischen Gedenkstättenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen, wie an arabischen Schulen in Israel die Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung vermittelt wird. Gerade angesichts zukünftiger Herausforderungen durch Zuwanderung und die sich ständig ändernde Gesellschaft in Deutschland lud Prof. Alfons Kenkmann die israelischen Kolleginnen und Kollegen nach Nordrhein-Westfalen ein, um im Rahmen einer internationalen Konferenz über Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus zu diskutieren.

Gegenwartsbezug und Vermittlung historischen Wissens als Kern von Gedenkstättenarbeit

Zwar blicken israelische Gedenkstätten anders auf ihre Vergangenheit als deutsche Einrichtungen und auch die arabische Bevölkerung Israels hat einen eigenen Blickwinkel, dennoch stehen alle in Israel lebenden Gruppen wie auch die deutsche Gesellschaft vor der Herausforderung, ihre Gesellschaft für politischen Missbrauch von Geschichte zu sensibilisieren. Als erster Schritt muss dabei zuerst ein gegenseitiges Bewusstsein für unterschiedliche Erinnerungen in den einzelnen Gruppen geschaffen werden, um diese dann gemeinsam diskutieren zu können. Während der milieu- oder kulturübergreifende Austausch in deutschen Gedenkstätten auf verhältnismäßig breite Zustimmung in Politik und Gesellschaft trifft, müssen die israelischen Historiker und Pädagogen oft gegen heftige Widerstände ankämpfen – und das meistens im eigenen Lager. Umso beeindruckender ist das Engagement, mit dem in Einrichtungen wie den besuchten Lern- und Forschungsstätten gegen gegenwärtige Diskriminierung und Ausgrenzung angekämpft wird. Dabei hat Yanif Sagee, der Direktor von Givat Haviva festgestellt, dass Bildung nachhaltiger wirkt, wenn sie langfristig angelegt ist: „Rassismus ist eine Krankheit, die sich heilen lässt“. Wie sehr Konflikte in der Gegenwart und konkurrierende Geschichtsbilder zusammenhängen, erfährt auch Yarif Lapid, Direktor des „Centre for Humanistic Education“ im „Ghetto Fighters‘ House“ in seiner täglichen Arbeit. Er forciert in zahlreichen langfristigen Projekten den Austausch arabischer und jüdischer Jugendlicher über die Geschichte der Shoah und des Staates Israel bis in die Gegenwart. Beide Einrichtungen wurden von Dr. Hans Wupper-Tewes von der Landeszentrale für politische Bildung und Prof. Dr. Alfons Kenkmann für eine Intensivierung und weiterführenden Erfahrungsaustausch nach Nordrhein-Westfalen eingeladen: Schon im nächsten Jahr können so weitere Kooperationen zwischen den NS-Gedenkstätten in NRW und den israelischen Bildungs- und Erinnerungsorten verwirklicht werden.

Bericht und Foto von Philipp Erdmann

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