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Bürgerengagement für "vergessene" NS-Opfer Verschiedene Initiativen, auch durch Mitglieder des Arbeitskreises gefördert, unterstützen die Begegnung mit ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern
Als die Alliierten Deutschland am 8. Mai 1945 vom Nationalsozialismus befreiten, waren über 12 Millionen Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert worden. Sie mussten in Konzentrationslagern, der Rüstungsindustrie und Landwirtschaft, aber auch in privaten Haushalten oder der öffentlichen Verwaltung arbeiten. Dabei nahmen die 5,7 Millionen sowjetischen Soldaten, von denen 3,3 Millionen in deutscher Kriegsgefangenschaft unter grausamen Bedingungen umkamen, die größte Gruppe ein. Doch selbst nach ihrer Rückkehr in die Heimat wurden die Überlebenden teilweise als "Vaterlandsverräter" beschimpft, da sie "für den Feind gearbeitet" hätten und rund ein Drittel der Heimkehrer wurde zur weiteren Zwangsarbeit verurteilt.
Als Reaktion auf eines der größten Zwangsarbeits-Systeme der Geschichte verbietet die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte jegliche Form von Sklaverei und Sklavenhandel. Dennoch wurde erst 2000 die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gegründet, mit der sich die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft zumindest moralisch zu ihrer Verantwortung bekennen und bis 2007 an über eineinhalb Millionen Überlebende und deren Erben zehn Milliarden Euro auszahlten. Vorherige "Wiedergutmachungs"-Versuche verliefen meist bürokratisch und unvollständig. Entsprechend der öffentlichen Haltung wurden die ehemaligen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter zu "vergessenen" NS-Opfern, die in der allgemeinen Aufarbeitungsdiskussion kaum eine Rolle spielten.
So war es in erster Linie das Engagement von Bürgern oder Initiativen, die neben dieser staatlichen Entschädigungspolitik ein Zeichen dafür setzen wollten, dass man sich der Verantwortung für die Vergangenheit bewusst ist. Durch Individualität und persönliche Nähe versuchen sie auch heute, das Leid der NS-Opfer anzuerkennen und wertzuschätzen.
Solch ein Zeichen möchte auch der Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI setzen. Er hat es sich zum Ziel gemacht, diejenigen durch Spenden und kleine Monatsrenten zu entlasten, die von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" einen Ablehnungsbescheid erhielten. Dazu gehören etwa 20 000 ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, denn "Kriegsgefangenschaft begründet keine Leistungsberechtigung." Neben den Folgen der Lagerhaft im zweiten Weltkrieg ist vielen diese Nichtanerkennung des Unrechts durch die deutsche Gesetzgebung eine unerträgliche Belastung. Der Verein stellt neben dieser Spendenkampagne die andauernde Korrespondenz mit den alten Menschen und ihren Familien in den Mittelpunkt seines Engagements. Darüber hinaus wird in den Ländern Belarus, Armenien und der Ukraine medizinische Nothilfe geleistet.
Die erste Stadt der Bundesrepublik, die sich ihrer Geschichte stellte und ein regelmäßiges Begegnungsprojekt plante, war Köln. Der Förderverein des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln führt regelmäßig seit 1989 ein Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter/innen, KZ- Häftlinge und Kriegsgefangene durch, welches auch international große Beachtung findet. Mit diesem Projekt konnten seit Beginn bis 2008 insgesamt 464 Männer und Frauen mit 79 Begleitpersonen während eines neuntägigen Besuchs die Stadt wieder sehen, in der sie während des 2. Weltkrieges Zwangsarbeit leisten mussten.
Die Gäste aus Russland, Polen, Belarus, Tschechien, Ukraine sowie Italien, Frankreich, Niederlande und Belgien wurden während ihres Aufenthaltes individuell und ehrenamtlich von Kölner Bürger/Innen begleitet. Gespräche mit beispielsweise Schülerinnen und Schülern sind auch den Besuchern ein wichtiges Anliegen, auch wenn nur wenige schon öffentlich über das eigene Schicksal und das der Familie geredet haben. Zudem werden mit den ehemaligen Zwangsarbeitern Interviews geführt, deren Anzahl von insgesamt 449 Gesprächen mit dem Material, das die Gäste mitbringen, einen wichtigen Sammlungsbereich im EL-DE-Haus einnimmt.
Wie in Köln hat auch in Düsseldorf ein Besuchs- und Begegnungsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen einen hohen Stellenwert. Hier werden seit 2001 in Kooperation mit verschiedenen Düsseldorfer Institutionen wie dem Stadtarchiv Düsseldorf und mit Hilfe engagierter Bürgerinnen und Bürger sowie verschiedener Schulen alljährlich ehemalige Zwangsarbeitskräfte aus Osteuropa eingeladen, um ihnen ein anderes Düsseldorf zu zeigen, als sie es aus ihrer Gefangenschaft kennen. Dabei kann seit dem Jahr 2005 auch auf die Unterstützung durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" gebaut werden.
Dieses Projekt zeichnet sich durch seine Vielschichtigkeit aus, denn die Mitarbeiter der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, seit 2005 allein verantwortlich für das Programm, schaffen auf den verschiedensten Ebenen Begegnungen zwischen den Besuchern auf der einen und den Bürgern der Landeshauptstadt auf der anderen Seite. Die ständige, ehrenamtlich tätige Begleitgruppe setzt sich aus allen Generationen zusammen, was den Austausch der meist schon alten Gäste auch mit jungen Menschen ermöglicht. Besonders eine zehnte Schulklasse des Geschwister Scholl Gymnasiums hat mit der durchgängigen Begleitung des Programms besonders engen Kontakt zu den Besuchern. Von diesen Begegnungen profitieren beide Seiten, denn die Schüler empfinden es oft als Privileg, Geschichte durch Zeitzeugen erfahren zu können und den ehemaligen Zwangsarbeitern bedeutet es viel, dass auch die nachfolgenden Generationen an ihrem Schicksal interessiert sind und es nicht verdrängen wollen.
Neben diesen Begegnungen wird das Programm durch offizielle Veranstaltungen wie die Begrüßung durch Bürgermeister und Landtagspräsidenten oder auch eine Stadtrundfahrt und gemeinsame Abendessen gefüllt. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es, mit den Gästen die ehemaligen Haft- und Arbeitsstätten zu besuchen, um mit diesem Kapitel der Lebensgeschichte abschließen zu können. Die Einladung ins Stadtarchiv ermöglichte es ihnen in den ersten Jahren, schriftliche Belege für mögliche Entschädigungsanträge zu sammeln oder, heute, durch Dokumente Erinnerungslücken schließen zu können.
Da der gesamte Besuch mit Fotos dokumentiert wird, die jeder Teilnehmer abschließend erhält, und mitgebrachte Dokumente sowie die lebensgeschichtlichen Interviews archiviert werden, können die Besuchsprogramme dauerhaft festgehalten werden. Zudem findet das Projekt breite Resonanz in der der lokalen Presse und auch aktuellen Fernseh- oder Radioberichterstattung.
So wie überall wirken die Begegnungen auch in Düsseldorf auf beiden Seiten nach. Nicht selten bleiben Gäste und Gastgeber in Kontakt und manchmal entwickeln sich aus diesen Besuchen auch Freundschaften mit einer Einladung ins Heimatland der Besucher.
Informationen zu den Besuchsprogrammen der Städte Köln und Düsseldorf erhalten Sie über die entsprechenden Gedenkstätten und die Homepage des Arbeitskreises der NS- Gedenkstätten in NRW.

