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Ausstellung „Deportiert ins Ghetto“ im Krefelder Südbahnhof

Vom 16. August bis zum 27. September 2012 wird das Schicksal der Juden aus dem Rheinland in Krefeld gezeigt.

Verfasst am 16. August 2012

Über den Gewölbesälen des Südbahnhofs rattern im Minutentakt Eisenbahnwaggons vorüber. Das monotone Geräusch der Räder beginnt leise, steigert sich, um sich dann wieder leise zu verabschieden. Im Oktober 1941 ratterte ein Nahverkehrszug, dessen Ziel Düsseldorf sein sollte, auch über den Südbahnhof. Nur eine Station weiter, im Hauptbahnhof Krefeld, stiegen fünfzig Menschen in einen für sie gesondert angehängten Personenwaggon ein. Unter ihnen befand sich auch Alfred Mayer mit seinen Eltern und seinen beiden Schwestern. Wie andere jüdische Familien hatten die Mayers zuvor ein Schreiben erhalten. Sie mussten sich zu einer bestimmten Zeit im Hauptbahnhof einfinden, um sie in den Osten zu bringen. Dort sollten sie sich eine neue Existenz aufbauen, gaukelten ihnen die Nationalsozialisten vor. Das Ziel der fünfzig jüdischen Krefelder Erwachsenen, Kinder und Jugendlichen hieß Litzmannstadt (Lodz, der polnische Stadtname), das zweitgrößte Ghetto während des Zweiten Weltkriegs. Alfred Mayer überlebte als einziger aus dieser Gruppe. Im Südbahnhof an der Saumstraße wird am Donnerstag, 16. August, um 19.30 Uhr die Ausstellung „Deportiert ins Ghetto“ eröffnet, die an das Schicksal dieser und anderer Menschen erinnert.


Die Wanderausstellung des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in NRW wurde von der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf und dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln in Kooperation mit dem Staatlichen Archiv Lodz erarbeitet. Diese folgt den Spuren der aus dem Rheinland in das Ghetto Litzmannstadt deportierten 3014 Juden und dokumentiert ihre Lebenswege. Die Vorgeschichte, Organisation und Ablauf der insgesamt drei Transporte aus Düsseldorf und Köln im Jahr 1941 werden dargestellt wie die Zeit im Ghetto von Litzmannstadt. „Die Ausstellung ist das Ergebnis einer mehrjährigen Forschungsarbeit“, sagt Karola Fings vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Der besonders gut erhaltenen Quellenlage sei es zu verdanken, dass die Geschichten und Biographien der Menschen rekonstruiert werden konnten. Denn mit der Deportation endete nicht das Leben der Menschen, sie waren auch nicht „verschollen“, sondern lebten teils über Jahre in dem Ghetto von Litzmannstadt.


„Wir wollen mit der Ausstellung auch zeigen, was es bedeutet hat, in diesem Ghetto zu leben“, so Fings. Litzmannstadt gehörte nach der Eroberung Polens durch deutsche Truppen auch offiziell zum Deutschen Reich und verfügte über eine deutsche Stadtver-waltung samt Bürgermeister. Das Ghetto umfasste etwa vier Quadratkilometer – das entspricht in Krefeld grob dem Gebiet innerhalb des Stadtrings. Dort wohnten von 1941 durchschnittlich 180 000 bis 200 000 Menschen, vor allem Juden aus Polen. Mit dem Beginn der Deportationen in die Konzentrationslager um 1944 sanken diese Zahlen. Das abgeriegelte Ghetto war Teil der Stadt. Noch heute stehen die Ghettohäuser, wie das in der Fischstraße 15, in dem neben den 50 Krefelder Juden mehrere Hundert Men-schen leben mussten. Dort mussten auch die Krefelder Familien und die Familie Mayer aus Uerdingen einziehen. Die Mayers lebten in der Rheinstadt in der Nähe des Markt-platzes. Vater Max (45), Mutter Rosalie (45) und die Kinder Ruth (20), Alfred (17) und Doris (17) kämpften unter widrigsten Bedingungen im Ghetto um ihr Überleben. Da Max Mayer Metzger war, arbeitete er im Ghetto bei der Fleischverarbeitung und konnte so seine Familie etwas besser ernähren. Die Familie lebte von 1941 bis 1944 in dem Ghetto. Erst bei der Auflösung wurden sie getrennt, auf verschiedene Konzentrationslager verteilt und ermordet. Lediglich Sohn Alfred überlebte.


Die Geschichte des Ghettos Litzmannstadt und dessen Menschen werden anhand von zumeist großen Ausstellungstafeln im Südbahnhof gezeigt. In vielen persönlichen Brie-fen, Fotografien, Berichten und amtlichen Dokumenten spiegeln sich die harten und stets bedrohlichen Realitäten des Arbeitsalltags, der Unterkunft und der Ernährung im Ghetto wider. Auch die als „Aussiedlungen“ umschriebenen Transporte ins Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) und die Wege in andere Konzentrations- und Vernichtungslager werden nachgezeichnet.


Neben den Opfern wird auch auf die Täter hingewiesen. Einige von ihnen wurden in Polen nach dem Krieg verurteilt und zum Teil hingerichtet. In Westdeutschland gab es zwar in den 1960er-Jahren einen Prozess. Die meisten Beteiligten wurden jedoch freigesprochen oder wurden zu geringen Strafen verurteilt.


Die Ausstellung geht bis zum 27. September.


Neben der Ausstellung wird ein Rahmenprogramm unter anderem mit Lesungen und Vorträgen angeboten. Weitere Informationen darüber stehen im Internet unter www.suedbahnhof-krefeld.de und www.villamerlaender.de. Veranstalter der Ausstellung ist das Bildungswerk des Werkhauses im Südbahnhof in Kooperation mit der NS-Dokumentationsstelle der Stadt Krefeld.

Die Ausstellung ist geöffnet dienstags bis freitags von 15 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 16 Uhr. Gruppenbesuche sind auch vormittags möglich. Eine Anmeldung dafür ist erforderlich unter der Telefonnummer 02151 5301812 oder per E-Mail info@suedbahnhof-krefeld.de.

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