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Arbeitskreismitglieder im Web 2.0: Neue Wege der Erinnerungskultur? Welche neuen Formen der Vermittlung und Aneignung von Geschichte bilden sich im Internet?
In welche Richtungen die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus treibt, ist nicht steuerbar. Gerade das Internet bietet ein weites Feld an Möglichkeiten, sich mit den Geschichten der Verfolgten auseinanderzusetzen. Auch die nordrhein-westfälischen, im Arbeitskreis verbundenen NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte weisen über die neuen Medien auf Serviceangebote wie pädagogische Programme oder andere Veranstaltungen hin. Das gemeinsame Portal <link http: www.ns-gedenkstaetten.de>www.ns-gedenkstaetten.de bündelt zudem die Arbeit und bietet einen umfangreichen Überblick über die Gedenkstättenlandschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland.
Interaktivität und Nähe zu jugendlichen Zielgruppen über Web 2.0-Anwendungen
Neben der Präsentation der eigenen Gedenkstätte haben sich in den letzten Jahren weitere Formen der Informationsaufbereitung im World Wide Web fest etabliert. Zunehmend gewinnen die sozialen Medien an Bedeutung. Hier sind die Mitglieder des Arbeitskreises genauso aktiv, wenn auch in geringeren Maßen als die „großen“ Gedenkstätten im Ausland wie dem Auschwitz Memorial oder Yad Vashem. Allerdings kann der facebook-Nutzer mit einem Klick bei den meisten Einrichtungen in NRW wie der Villa ten Hompel in Münster, der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf oder der Wewelsburg angeben, dass sie ihm „gefallen“. Der Besuch dieser Orte kann dort ebenso dokumentiert werden. Das NS-Dokumentationszentrum Köln, das jüdische Museum Westfalen in Dorsten, die Gedenkstätte Bonn und das Haus jüdischer Kultur „Alte Synagoge Essen“ nutzen das soziale Netzwerk darüber hinaus, um auf kommende Veranstaltungen oder sonstige Neuigkeiten hinzuweisen. Noch aktiver sind die mobilen Beratungen gegen Rechts, die an die Arbeitskreismitglieder angeschlossen sind: Mobim in Münster und die ibs in Köln geben auf facebook neben Veranstaltungstipps Informationen zu ihren Newslettern oder zu themenspezifischen Medienbeiträgen. Der Nachrichtendienst twitter wird bisher nur von der ibs als „Mobile Beratung Köln“ genutzt.
Auf den ersten Blick gelten die Vorteile des Internets dabei auch für die Erinnerungslandschaft zwischen Rhein und Weser: Sie wird interaktiv, ermöglicht schnelle, breite und vor allen Dingen global vernetzte Partizipation. So richten sich mittlerweile auch verschiedenste Personen, vornehmlich aus der Region, aber auch aus der gesamten Welt an die Online-Redaktion des Arbeitskreises mit ihren Anfragen zu Angehörigen und historischen Hintergründen oder auch mit der Bitte um Informationen zu Führungen und pädagogischen Angeboten der einzelnen Gedenkstätten. Gerade jüngere Besucher können mit virtuellen Informationsangeboten in ihrem Lebensalltag abgeholt und über soziale Netzwerke erreicht werden. Und möglicherweise bietet sich so die Chance, aus „ritualisierten“ Formen des Gedenkens auszubrechen und unkonventionelle, direktere Wege der Erinnerung einzuschlagen?
Nahezu grenzenlose Speicherfunktionen: Stärke oder Schwäche digitalisierter Informationen?
Ein weiterer Vorteil des virtuellen Raums liegt auf der Hand und gewinnt gerade aktuell in Zeiten des seltener werdenden Kontakts mit Zeitzeugen wieder an Bedeutung: Im Vergleich zu einer dünnen Broschüre oder einer kleinen Gedenkstätte ist schlicht mehr Platz vorhanden, um einzelne Schicksale angemessen zu würdigen oder geschichtliche Hintergründe ausführlich darzustellen. Diese nahezu unbegrenzten Speicherfunktionen machen sich verschiedene Datenbanken zu Nutze. Der Arbeitskreis bietet beispielsweise schnell zugänglich eine nach Themen sortierte Sammlung von Links unter <link arbeitskreis linktipps.html>
www.ns-gedenkstaetten.de/arbeitskreis/linktipps.html
und eine bundesweite Gedenkstätten-Adressdatenbank <link gedenkstaetten-bundesweit.html>www.ns-gedenkstaetten.de/gedenkstaetten-bundesweit.html
.Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel für den Archivcharakter des Internets ist das Informationsportal "Zwangsarbeit im NS-Staat" des Bundesarchivs und der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Dieses Angebot hat die Gedenkhalle im Schloss Oberhausen weiterentwickelt: Für den Workshop „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ wird ein Online-Einstieg angeboten, mit dem ein Besuch der Gedenkhalle schon in der Schule vorbereitet werden kann. Anhand von Biographien und Arbeitsvorschlägen können die Jugendlichen über eine persönliche Begegnung Fragen zu Thema Zwangsarbeit entwickeln. „Auf dieser Basis kommen die Schülerinnen und Schüler nicht unvorbereitet und ahnungslos zum Workshop“, so Clemens Heinrichs, Leiter der Gedenkhalle Oberhausen und verantwortlich für die Finanzen im Vorstand des Arbeitskreises. Der Zugang erfolgt über folgenden Link: <link http: www.zwangsarbeit-archiv.de bildung ruhrgebiet index.html>
www.zwangsarbeit-archiv.de/bildung/ruhrgebiet/index.html
. Clemens Heinrichs leitete gemeinsam mit Katharina Brand beim bundesweiten Gedenkstättenseminar vom 20.-22.6.2013 in Weimar die Arbeitsgruppe „Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen mithilfe des Internets“. Dort wurden Möglichkeiten für Gruppen, sich vorab online etwa über Bildungsangebote der Gedenkstätte zu informieren, diskutiert. Gerade die Wirkung solcher Vorrecherchen dürfe man nicht unterschätzen, erklärt Heinrichs.Zeigt der Blick auf die Speicherfunktion des Internets bei solchen fundierten und mit Gedenkstättenexperten entwickelten Programmen noch die Vorteile, werden darüber hinaus auch die Grenzen digitalisierter Erinnerungskultur deutlich. Denn manchmal ist die Herkunft von Informationen nicht nachvollziehbar. So ist es mitunter schwierig, die Richtigkeit und „Seriosität“ von Darstellungen zu erkennen. Weil jeder nahezu anonym Daten entnehmen, zweckentfremden und vervielfältigen kann, ist Kontrolle kaum möglich. Ist die nutzerabhängige Aneignung ein Risiko, welches man als „Dienstleister“ für historische Darstellungen in Kauf nehmen muss? Zumindest das Zusammenspiel mangelnder inhaltlicher Präzision mit schlechter grafischer Darstellung lässt sich beheben. Denn selbst bei tatsächlich korrekt angeführten Informationen besteht die Gefahr der Unübersichtlichkeit. Die Anbieter müssen verhindern, dass sich der Internetnutzer in der Masse der Informationen verloren fühlt, abgeschreckt wird oder nicht mehr differenzieren kann.
Wer bereits eine der 24 im Arbeitskreis verbundenen Gedenkstätten besucht hat, wird einen weiteren schwerwiegenden Unterschied zwischen virtueller und realer Welt festgestellt haben. Denn die Authentizität eines Ortes oder eines Objekts und der direkte Austausch von Gedenken und Gefühlen kann (zumindest bisher) selbst die beste virtuelle Animation nicht nachempfinden. So fasst auch Clemens Heinrichs zusammen: „Nutzen wir diese Technik, wo sie sinnvoll ist, aber wir sollten sie nicht überbewerten.“

