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Arbeitskreis sieht Chance für neues Gedenkstättenprojekt Vertreter der NS-Erinnerungsorte in NRW beraten Lüdenscheider "Ge-Denk-Zellen"-Initiative
"Die Authentizität des Ortes besitzt das Potential, um an dieser Stelle einen angemessenen Platz des Erinnerns an die Opfer des Nationalsozialismus entstehen zu lassen", so lautete das Fazit von Professor Dr. Alfons Kenkmann am Ende eines intensiven Gesprächs- und Beratungstages. Der Vorsitzende des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW e.V. und Lehrstuhlinhaber für Geschichtsdidaktik an der Universität Leipzig hatte zuvor gemeinsam mit den Mitgliedern des Netzwerkes und zahlreichen Vertretern des Initiativkreises "Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus" über die Zukunft der ehemaligen Gefängniszellen im Keller des Alten Rathauses Lüdenscheid diskutiert. "Historische Orte werden in Zukunft das kulturelle und kommunikative Gedächtnis der Republik prägen", erklärte Kenkmann in seinem Schlusswort, denn die Zeitzeugen werden in wenigen Jahren nicht mehr vorhanden sein.
Auf Einladung von Herrn Matthias Wagner, Sprecher der Lüdenscheider Initiative, hatten sich die Vertreter der NS-Gedenkstätten aus ganz Nordrhein-Westfalen am Montag, 8. September, im historischen Archiv der Stadt eingefunden, um dort ihre ordentliche Mitgliederversammlung abzuhalten und sich anschließend mit den Initiatoren des "Ge-Denk-Zellen"-Projekts über die konzeptionelle Entwicklung neuer Erinnerungsstätten auszutauschen. Dabei sollten die Arbeitskreismitglieder vor allem aus ihrem langjährigen Erfahrungsschatz in der Gedenk-, Bildungs- und Forschungsarbeit berichten und mögliche weitere Ansatzpunkte für die aktuellen Planungen in Lüdenscheid liefern.
Das vor rund zwei Jahren angestoßene Konzept für die Einrichtung einer Mahn-, Gedenk- und Dokumentationsstätte in den Räumlichkeiten des Alten Rathauses steht aktuell noch auf dem Prüfstand im Kulturausschuss des Stadtrats. Der eigens zur Begrüßung der Gäste ins Stadtarchiv gekommene Lüdenscheider Bürgermeister Dieter Dzewas, SPD, betonte jedoch den Willen der Stadt zur würdigen Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Aufgrund der finanziellen Lage der Kommune müsse jedoch ein längerer Zeitraum für die Realisierung von Projekten wie den "Ge-Denk-Zellen" berücksichtigt werden. Zugleich verwies Dzewas aber auch auf die Bedeutung historisch-politischer Bildungseinrichtungen für die Stadt, besonders für die vielen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund.
Dieser Aspekt wurde von Frau Dr. Karola Fings, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises, sogleich in der Gesprächs- und Beratungsrunde am späten Nachmittag aufgegriffen: Die Historikerin betonte, dass dem heutigen Selbstverständnis der Bundesrepublik wesentlich die schrecklichen Ereignisse aus der Zeit des Nationalsozialismus zugrunde liegen. So seien Errungenschaften wie das Grundgesetz ohne die Zeit der Diktatur nicht denkbar. Auch Jugendliche aus anderen Ländern, die heute in Deutschland lebten, müssten daher die historischen Hintergründe kennen, um das politisch-gesellschaftliche Fundament des Landes verstehen zu können. Einen thematischen Anknüpfungspunkt für das "Ge-Denk-Zellen"-Projekt entwickelte daraufhin Professor Kenkmann. Er erinnerte an die Geschehnisse im nahe der Stadt Lüdenscheid gelegenen Ort Hunswinkel. Ende der 1930er Jahre errichteten die Nationalsozialisten dort ein so genanntes Arbeitserziehungslager. Viele Zwangsarbeiter aus den besetzten Ostgebieten wurden in das Lager eingewiesen, eine große Zahl von ihnen waren Jugendliche und junge Erwachsene - ein Aspekt, der in der nordrhein-westfälischen Erinnerungslandschaft bislang nur wenig Beachtung gefunden hat und daher von großer erinnerungskultureller Bedeutung ist. Der lokalhistorische Hintergrund könne aber vor allem ein Zugang sein, um die heute in Lüdenscheid und Umgebung lebenden Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln zu erreichen und ihnen die Geschehnisse von damals näher zu bringen, erläuterte Kenkmann.
Bei der abschließenden Besichtigung des ehemaligen Zellentraktes im Alten Rathaus erinnerte Karola Fings an die Ausgangssituation in anderen Städten. Auch in Großstädten wie Köln machten in den 1980er Jahren kleine Bürgerinitiativen beim Aufbau von Gedenkstätten zum Nationalsozialismus den Anfang, indem sie zunächst den historischen Ort für die Erinnerung an die Verbrechen sicherten. "Klein beginnen", war deshalb auch der Rat der stellvertretenden Leiterin des Kölner NS-Dokumentationszentrums, die auf einen mittlerweile sehr erfolgreichen Weg der Gedenkstättenarbeit in der Domstadt zurückblicken kann.
Über erfolgreiche Unternehmen in den einzelnen Einrichtungen hatten die Arbeitskreismitglieder bereits zu Beginn des Nachmittags auf ihrer Sitzung berichtet. So steht u.a. eine gemeinsame Publikation zum siebzigsten Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November dieses Jahres kurz vor dem Abschluss, entwickelten Mitarbeiter des Kreismuseums Wewelsburg eine neue mehrsprachige Medieneinheit für Schüler unter dem Titel "Schauplatz europäischer Geschichte", schreitet die Neukonzeption der Gedenkhalle Schloss Oberhausen gut voran und wurde die positive Resonanz auf Veranstaltungen wie die Tagung "Jüdischer Alltag in NRW" in der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal hervorgehoben (s. Bericht in der Rubrik "Aktuelles" - Wuppertal).
Die nächste Sitzung des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW wird nun voraussichtlich Anfang Dezember in Münster stattfinden.

