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Handeln anerkennen ohne zu idealisieren

Wuppertaler Mahnmal für Wehrmachts-Deserteure wird am 80. Jahrestag des Kriegsausbruchs seiner Bestimmung in Ronsdorf übergeben. Ein Interview mit Florian Hans zu seinen einschlägigen Forschungen.

Verfasst am 28. August 2019

Am 1. September diesen Jahres wird im Ronsdorfer Stadtgarten in Wuppertal (am Grünen Streifen) ein Mahnmal zum Gedenken an hingerichtete Deserteure des Zweiten Weltkriegs enthüllt. Zwischen 1940 und 1945 fanden auf dem Schießstand in Wuppertal Ronsdorf die Hinrichtungen der Fahnenflüchtigen statt. Die zum Tode verurteilten Männer wurden von der Wehrmachtsjustiz als feige „Drückeberger“ bezeichnet, die ihre Kameraden im Stich gelassen hätten. Diese Ansicht bestimmte die gesellschaftliche Haltung auch noch weit nach Kriegsende und warf ein schlechtes Licht auf Deserteure und deren Hinterbliebene. Erst seit den 1980 er Jahren kam es zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema in der Lokalgeschichte und Wissenschaft. Nach zahlreichen, über die Jahrzehnte geführten Debatten wurde der Inszenierung eines Denkmals schließlich grünes Licht gegeben. Der im Folgenden interviewte Historiker Florian Hans war an der Planung und Umsetzung des Denkmals beteiligt und beschäftigte sich in seiner 2017 erschienenen Publikation ausführlich mit der Geschichte der Deserteure. Seit seinem Studium in Münster engagierte sich Florian Hans als Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie in der Regionalarbeitsgruppe Münsterland und am Geschichtsort Villa ten Hompel Münster. Mittlerweile lebt er in Berlin und hält von dort aus engen Kontakt zur RAG und den
Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen.


Herr Hans, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben über dieses bedeutsame Thema zu sprechen. Die Konzeption eines solchen Denkmals ist sicherlich mit viel Aufwand verbunden. Wie kam es zu Stande, dass dieses Denkmal errichtet werden konnte?
Im Januar 2015 gab es in Wuppertal eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Nationalsozialismus. Dort stellte ich zusammen mit Schülern der Erich-Fried-Gesamtschule ein Programm vor, um über das Schicksal erschossener Wehrmachtsdeserteure aufzuklären. Die Schüler wiesen sehr offen darauf hin, dass es bislang noch kein öffentliches Denkmal für die erschossenen Deserteure gebe und so hat der Oberbürgermeister öffentlich verkündet, dass etwas zum Erinnern gebaut werden sollte. Das war der Anreiz für unsere Projektgruppe, die sich aus Schülern, dem Geschichtslehrer Jörn Dau, dem Pfarrer Dr. Jochen Denker, Dr. Ulrike Schrader von der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal und mir
zusammensetzte, sich mit der Gestaltung, der Räumlichkeit und der Dokumentation auseinander zu setzen. Wir konnten uns schließlich auf einen Entwurf einigen und haben beschlossen, dass das Denkmal zentral im Ronsdorfer Stadtgarten stehen soll, um sich dort in die bereits bestehende Denkmallandschaft einzugliedern. Besonders hilfreich dafür ist die Zusammenarbeit mit dem Wuppertaler Amt für Grünflächen und Forsten. Dieses hat sich sehr für die Installation im öffentlichen Stadtgarten engagiert.


Welche Schwierigkeiten ergaben sich bei der Inszenierung des Denkmals?

Der Bau des Denkmals muss entsprechend finanziert werden und die Entscheidung diesbezüglich ließ längere Zeit auf sich warten. Trotz der fehlenden Unterstützung haben wir einen Entwurf für das Denkmal gemacht und diesen im November 2016 präsentiert. Im darauffolgenden
 Jahr  wurde  meine  wissenschaftliche  Publikation zu den Wehrmachtsdeserteuren veröffentlicht, um darüber aufzuklären, was auf dem Schießstand in Ronsdorf überhaupt passiert ist. Der Entwurf wurde von der Bezirksvertretung Ronsdorf diskutiert und schließlich gab es auch Wege, dass das Land Nordrhein-Westfalen sich an der Finanzierung beteiligte. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass es zunächst einmal viel Auseinandersetzung braucht, damit ein solches Denkmal entstehen kann. Soll das Denkmal eher am authentischen Ort der Erschießungen oder im Zentrum in Ronsdorf errichtet werden? Soll die Gestaltung künstlerisch ansprechend oder hauptsächlich informativ sein? Bei all diesen Entscheidungen gab es natürlich hohen Gesprächsbedarf, und man musste sich darüber klar werden, was es eigentlich zu vermitteln galt. Für uns stand fest, dass wir den Weg des Opfers, also des Menschen, der dahinter steht, aufzeigen wollten und eine Opfergruppe würdigen, die bislang von der Wahrnehmung her in der Gesellschaft eher untergegangen ist.

Als Standort des Denkmals wurde der zentral gelegene Stadtgarten in Wuppertal- Ronsdorf ausgewählt. Das Denkmal selbst besteht aus acht, in der Reihe immer größer werdenden Steinquadern, die mit den acht Begriffen „verflüchtigt, verfolgt, verhaftet,verurteilt, vernichtet, verdammt, verloren, vergessen“ versehen sind. Welche Bedeutung haben die Form und der Standort des Denkmals?
Die acht Stelen sollen den Weg des Wehrmachtdeserteurs aufzeigen, der flieht, verfolgt, festgenommen, verurteilt und hingerichtet wird und schließlich aus dem Gedächtnis der Menschheit erst einmal „verbannt“ wird. Dahinter verbirgt sich die Idee, dass man nicht einfach nur vor einem Denkmal steht, sondern daran entlang läuft und so den beschriebenen Weg mitgehen kann. Die Steine werden immer höher, damit man sie in einem Blick vor sich hat, wenn man auf sie zuläuft. Der Platz im Stadtgarten wurde gewählt, um die dort befindlichen anderen Kriegsdenkmäler in einem größeren Kontext darstellen zu können. Eine Infotafel soll die verschiedenen Denkmäler in Bezug zueinander setzen.


Was motivierte Sie persönlich, sich mit der Geschichte der Deserteure auseinander zusetzen und sich an dem Projekt der Errichtung des Denkmals zu beteiligen?
Mein Interesse wurde geweckt, als ich die ersten Quellen zum Thema Geschichte derDeserteure in der Hand hielt. Es handelte sich zum Beispiel um das Protokoll einer Erschießung, bei dem von der Anwesenheit der Teilnehmenden, über den zeitlichen Ablauf, bis hin zum Zeitpunkt des Todes alles genau verzeichnet worden ist. Diese sehr eindrücklichen Dokumente waren für mich der Ansporn um sich mit der Geschichte der Deserteure zu
beschäftigen. Die Informationen über die Verurteilung und Vollstreckung der Hinrichtung sind sehr detailliert und haben mich ziemlich bewegt. Anhand der Quellen kamen mir die Menschen ganz schön nah. Ich habe gemerkt, dass es dort um viel geht und dass diese Männer zu Unrecht erschossen worden sind. Ich wollte mehr über diese Menschen und deren Familien erfahren, zumal diese Geschichten noch nicht größer erzählt worden sind und es dementsprechend noch viel zu erforschen gab.


Glauben Sie, dass das Denkmal dazu beitragen kann, dass es zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Hintergrundgeschichte der Deserteure und deren Motive kommen wird und der somit bis heute verbreitete „schlechte Ruf“ von Deserteuren überholt werden kann?
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Wehrmachtsdeserteure wird durch die Eröffnung des Denkmals auf jeden Fall vorangetrieben, weil das Denkmal nun wirklich steht und das Ganze auch in der Presse behandelt wird. Das Thema kommt so nochmal mehr in die Gesellschaft und wird wohl Stoff für Diskussionen bieten. Dadurch, dass das Denkmal jetzt steht bekommt es eine hohe Form der Anerkennung. Es wird darauf hingewiesen, dass es sich um Menschen handelt, derer es würdig ist, zu gedenken. Außerdem kann so deutlich gemacht werden, wie lange diese Menschen verschmäht worden sind und dass die heutige Auffassung von der „Fahnenflucht“ eine andere ist. Wie viele Leute sich damit dann konkret nochmal auseinander setzen ist eine andere Frage, aber allein schon der ganze Prozess und die Auseinandersetzung vor dem Bau des Denkmals haben schon etwas bewirkt.


Was unterscheidet dieses Denkmal von anderen Mahnmalen und Erinnerungsstätten für die Opfer des Krieges?
Das Entscheidende bei dem Ganzen ist die Form. Statt eines großen Monuments oder einer Tafel gibt es eben diese acht Stelen, an denen man entlang laufen kann. Außerdem soll durch diese Art der Vermittlung eine Wertung der Taten der Deserteure vermieden werden. Bei anderen Deserteurs-Denkmälern gibt es oft eine gewisse Tendenz, dass diese Art von Opfergruppe glorifiziert wird, so dass es den Anschein hat, als wären es Widerstandskämpfer gewesen. Das muss ja nicht zwingend so gewesen sein. Vielleicht waren es manche, die ihren Widerstand zum Ausdruck bringen wollten, aber einigen ging es sicherlich auch einfach darum, mit dem Leben davon zu kommen. Das Denkmal in Wuppertal soll vermitteln, dass es keine Rolle spielt, ob diese Menschen Widerständler waren. Es geht darum aufzuzeigen, dass diese Menschen dort zu Unrecht erschossen worden sind. Die Handlung der Deserteure soll anerkannt werden, aber es soll keine Idealisierung damit einhergehen.


Warum ist es bedeutsam, durch ein solches Denkmal an die hingerichteten Deserteure zu erinnern?
Es ist sehr sinnvoll ein solches Denkmal zu errichten, weil man sich so selbst vor die Frage gestellt sieht: Wie würde ich in einer solchen Situation reagieren? Widersetze ich mich? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen ist immer wichtig, auch heutzutage. Es gab Menschen, die aus unterschiedlichen Motiven heraus nicht mitgemacht haben und dafür auch das Risiko eingegangen sind, dafür umgebracht zu werden. Es soll  darum gehen, sich in diese Menschen einfühlen zu können, an deren Stelle man eigentlich nichts richtig machen kann. Im Krieg wird man höchstwahrscheinlich sterben, und wenn man sich weigert, wird man als „Verräter“ oder „Feigling“ zum Tode verurteilt. Sich da hinein zu fühlen ist, glaube ich, für jeden eine sinnvolle und spannende Auseinandersetzung.


Ich bedanke mich herzlich für dieses aufschlussreiche und spannende
Gespräch!



Die Publikation „Wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt. Die Erschießungen von Deserteuren
der Wehrmacht in Wuppertal 1940-1945“ von Florian Hans ist im Jahre 2017 vom Trägerverein
Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal e.V. herausgegeben worden mit Unterstützung der
Landeszentrale für politische Bildung NRW. Das Interview führte Sophie Ullrich, Studierende der
Westfälischen Wilhelms-Universität. Sie ist Mitglied der Regionalarbeitsgruppe Münsterland von
GVFD.

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