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Trauer um einen "bescheidenen Helden" aus Münster

Der Zeitzeuge Hans Kaufmann ist im Alter von 91 Jahren in Stockholm verstorben. Die Stadt Münster, der Geschichtsort Villa ten Hompel sowie viele Münsteranerinnen und Münsteraner trauern um einen engagierten Zeitzeugen.

Verfasst am 25. Oktober 2016

Text und Fotos von Stefan Querl (Villa ten Hompel)

Trauer um den Tischler Hans Kaufmann: Im Alter von 91 Jahren verstarb am Montag, 24. Oktober, in Stockholm der jüdische Münsteraner. Nach Kräften habe Kaufmann, so die Würdigung in einem Nachruf aus der Villa ten Hompel, Zeugnis abgelegt zur Ausgrenzung und Entrechtung seiner Familie während der NS-Zeit.

Unermüdlich in Schulen, öffentlich in mehreren von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster ausgerichteten Gedenkstunden zum 9. November in der Synagoge, bei Israel-Reisen und Gesprächsforen der Villa ten Hompel. Bewusst sachlich berichtend, ruhig, ohne anklagenden Ton. Immer mit einem Vorwort: "Das Schlimmste habe ich selbst nicht erlebt!" So verwies Hans Kaufmann stets auf das Schicksal seiner Eltern, die ihn als Kind und seine Schwester während der Diktatur ins sichere Ausland gegeben hatten, selbst Münster jedoch nicht verließen und so weiter ins Visier der Verfolgung gerieten. Am 13. Dezember 1941 wurden Lucie und Ludwig Kaufmann ins Ghetto Riga deportiert. Der Vater von Hans - ein angesehener Rechtsanwalt, dem die Nationalsozialisten 1933 sein Notariat genommen hatten - gilt seither als verschollen. Er starb vermutlich in Auschwitz, während die Mutter schwer gezeichnet die Befreiung des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig überlebt hatte.

Enge Kontakte zu seiner Geburtsstadt seit den späten 1980er Jahren

Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer gehörten zu denen in Münster, die sich Ende der 1980er Jahre auf Spurensuche und Recherchereisen begaben, um die Leidens- und Lebenswege der Kaufmanns und der weiteren jüdischen Familien aus der Region näher zu erforschen. Oft kam es zu wechselseitigen Besuchen und später mit Hilfe historischer Institutionen zu offiziellen Einladungen der Stadt. Aus Kontakten und Briefwechseln wuchsen Freundschaften. Das LWL-Medienzentrum für Westfalen interviewte vor sechs Jahren Hans Kaufmann für ein Lernmedium in aller Ausführlichkeit, so dass seine Zeitzeugenberichte heute historisch wie technisch hervorragend dokumentiert sind. Eine Schülerin des Annette-von-Droste-Hülshoff- Gymnasiums, Clara Determann aus dem damaligen 7. Jahrgang der Schule, gewann einen Landespreis bei dem Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten mit ihrer Arbeit unter dem ausdrucksstarken Titel: "Hans Kaufmann - ein bescheidener Held."

Laufen lernte Hans Kaufmann als Kind in einer Wohnung an der Salzstraße, ehe die Familie 1928 zum heutigen Mauritz-Lindenweg umgezogen war - und dort zehn Jahre später bei den antisemitischen Ausschreitungen in der "Pogromnacht" die Übergriffe direkt im eigenen Hause erlitt. Dort in einer Zimmerecke kauernd musste Hans Kaufmann mit anhören, wie mutwillige Zerstörer den wertvollen Familienflügel zertrümmerten und Mobiliar des jüdischen Haushalts kurz und klein schlugen. "Der 9. November 1938 war übrigens mein letzter Schultag", schilderte er in der Rückschau Schülerinnen und Schülern. Er verwies aber immer auch auf den Mut nichtjüdischer Zeitgenossen, im Kleinen zu helfen oder sich dem Terror nicht zu beugen: "Als die Gestapo meinen Vater plötzlich suchte, hatte ihn seine Angestellte durch einen Anruf wenigstens vorgewarnt - trotz schärfster Einschüchterungsversuche in der Kanzlei."

Stadt Münster, Villa ten Hompel und viele Münsteraner sprechen ihre Anteilnahme aus

Über Dänemark gelang es Hans Kaufmann während des Krieges und der deutschen Besatzungszeit, ins neutrale Schweden zu entkommen. Zehn Jahre nach Kriegsende heiratete er eine jüdische Schwedin, Anna, und zog in Stockholm zwei Söhne, Dan und Michael, groß - die von ihren Eltern Deutsch lernten. Eines der vier Enkelkinder, der 1992 geborene Tobias, erlag wenige Tage vor dem Tode des Zeitzeugens einem Krebsleiden, was die Betroffenheit bei den Freunden, Verwandten und Weggefährten auch in Westfalen noch verstärkt. So drückten die Stadtspitze von Münster und das Team des Geschichtsortes Villa ten Hompel, Gisela Möllenhoff, Rita Schlautmann- Overmeyer, die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster, die Regionalgruppe von "Gegen Vergessen - Für Demokratie", jüdische Gemeinde und christliche Kirchen beider Konfessionen, viele Schulen, Vereine und Privatpersonen gegenüber der Familie Kaufmann ihre besondere Anteilnahme aus.

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