Inhalt Seitenleiste

Tagungsthema Kriegsverbrechen: Internationale Konferenz mit neuen Impulsen

Wissenschaftlicher Diskurs und Dialog der Generationen am Geschichtsort der Stadt Münster

Verfasst am 07. Juli 2005

„Vortragsraum überfüllt“, hieß es schon lange vor Veranstaltungsbeginn, weil sich etliche Dutzend Gäste aus ganz Nordrhein-Westfalen früh am Geschichtsort Villa ten Hompel drängten und um Einlass baten. Darunter viele Senioren, Schüler, Studierende und einige hoch betagte Menschen, die selbst Demütigungen durch die SS erlitten, die Verbrechen oder Lagerhaft in Ost- und Westeuropa teils wie durch Wunder überlebt hatten. Als der international bekannte Historiker Peter Longerich aus London vor diesen über 100 Zuhörern seinen Vortrag „Heinrich Himmler. Überlegungen zur Biographie eines Massenmörders“ begann, konnten Spätankömmlinge und weitere geduldige Gäste den Ausführungen nur per Außenübertragung folgen. Das Team der Villa ten Hompel hatte kurzerhand die letzten verfügbaren Sitzgelegenheiten des Hauses in die Ausstellung geschleppt sowie Bild- und Tontechnik installiert, um niemanden abweisen zu müssen.

Selbst das Sitzen oder Ausharren auf dem Parkett, dichtes Gedränge und kurze Akustikausfälle in der offenen Fragerunde trug das Publikum mit Fassung, zumal es fachlich fasziniert war und den rhetorisch geschliffenen Vortrag wie auch die Forschungsleistungen Peter Longerichs ausdrücklich würdigte. Spontan räumten junge Leute noch fix im Vorfeld leise für die älteren Zeitzeugen ihre Plätze. Ehemals Verfolgte ließen sich mutig auf neueste Thesen zu NS-Tätern ein, die ein bitteres, beunruhigendes biographisches Bild zeichnen und die Brutalität eben längst nicht mehr allein aus Befehlslagen erklären lassen. Gespräche über die Generationsgrenzen hinweg kamen so in Gang.

Der enorme Andrang und die Rückmeldungen nach dem Vortrag zeigten überdeutlich die Brisanz und die Aktualität der historisch-politischen Leitfragen, die den Abend und darüber hinaus zwei volle Konferenztage in Münster bestimmten. So war Prof. Dr. Peter Longerich, der bislang kaum gezeigte Dokumente aus Himmlers Privatleben und aus dem Dienstalltag im menschenverachtenden Machtapparat des von Hitler ernannten „Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei“ analysierte, prominenter Gast der Tagung „Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert – Intention oder Situation?“ in der Villa ten Hompel. Das Symposium führte Wissenschaftler aus ganz Deutschland, aus Nachbarländern, Korea und Großbritannien zusammen. Besonderheit des Plenums: Die Beiträge und Impulsreferate lieferten ausschließlich junge Historiker, die zurzeit mit Hochdruck in verschiedenen Ländern und in jüngst freigegebenen Archivbeständen recherchieren oder die ihre Doktorarbeiten sowie andere Großprojekte gerade erst mit viel Erfolg beendet haben.

Diese besondere Nähe zu den Quellen und ihren kompetenten Kennern mache den Reiz des Tagungsdiskurses aus. Sie habe ihm schnell über anfängliche Skepsis wegen der Breite des thematischen Spektrums hinweg geholfen, lobte ausdrücklich Prof. Dr. Wolfgang Jacobmeyer (Institut für Didaktik der Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster). Neben ihm und Prof. Dr. Peter Longerich moderierten auch Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer vom Historischen Seminar der WWU Münster und Prof. Dr. Dr. Thomas Vormbaum, Rechtshistoriker und Strafrechtler an der Fernuniversität Hagen, jeweils Tagungseinheiten. Prof. Dr. Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig, der gemeinsam mit dem kommissarischen Leiter Christoph Spieker Gastgeber am Geschichtsort war, hatte die Sektion zu dem Forschungsfeld „Täter“ übernommen. Die inhaltliche Gesamtkoordination des Symposiums lag in den Händen des Doktoranden Timm C. Richter aus Münster, der souverän die Vorbereitungsarbeit geleistet hatte.

Richter war ein spannender Spagat gelungen: Fall- und Feldstudien, etwa zur Anatomie eines staatlich vorbereiteten Attentats, zum Massenmord der beiden SS-Kavallerieregimenter im Jahre 1941 oder zu koreanischen Todesschwadronen im Pazifikkrieg, ließen sich im Tagungsverlauf verknüpfen mit methodischen Ansätzen, so zum Beispiel mit der Frage nach Möglichkeiten und Grenzen des historischen Vergleichs verschiedener Verbrechenskomplexe oder Unrechtsregime. Dass sich dabei ein fruchtbarer Dialog zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft sowie Straf- und Völkerrechtsexperten entspann, vertiefte den akademischen Austausch in Münster zusätzlich.

Großzügig unterstützt und ermöglicht wurde die Tagung von der Landeszentrale für politische Bildung in Nordrhein-Westfalen und vom Förderverein Villa ten Hompel im Zusammenwirken mit der Stadtverwaltung Münster.

zurück