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„Nationalstolz ist nicht alles“

Ein Seminar der „Werkstatt für Bildung und Kultur“ mit Zuwanderern erprobte in der Villa ten Hompel ein europäisches wie auch globales Nachdenken über Geschichte.

Verfasst am 15. Juni 2013

„Nationalstolz ist nicht alles“
Ein Seminar der „Werkstatt für Bildung und Kultur“ mit Zuwanderern
erprobte in der Villa ten Hompel ein europäisches wie auch globales
Nachdenken über Geschichte.

„Integration braucht ein Konzept“ – und zwar eines, das die
zugewanderten Menschen in Münster ernst nimmt und sie in die Lage
versetzt, mitten in Westfalen wirklich heimisch zu werden. Nach dieser
Devise handelt die „Werkstatt für Bildung und Kultur“, die als
staatlich anerkannte Einrichtung für Weiterbildung ein besonderes
Projekt mit Kooperationspartnern aus Kultur, Kommune und der Sparkasse
Münsterland-Ost auf den Weg gebracht hat. Ort für Ort lernen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Integrationskursen nicht nur die
Sprache, sondern auch ihre neue Stadt bei Exkursionen kennen – anhand
klug gewählter Stationen, die zum Besuchen, Entdecken und näher
Hinterfragen einladen. Eine dieser Begegnungen fand jetzt in der
Erinnerungsstätte Villa ten Hompel statt unter Leitung von Ilda Mutti
und Irmgard Weber. Aus den Gewinnausschüttungen der Sparkasse haben die
beiden Kulturschaffenden erfolgreich Geld für die Bildungsmaßnahme
eingeworben und sich Unterstützung in Verwaltung und Politik geholt.
Erstmals begrüßten sie den bunt gemischten „Jugendkurs“ mit den
Dozentinnen Birgit Gauselmann und Marta Goslicka-Hebgen in der Villa ten
Hompel. Künftig wird diesen Seminareinheiten dort ein fester Platz
gewidmet.

„Sich einem Einbürgerungs- oder Sprachtest zu unterziehen, muss
sicherlich sein, ist aber längst nicht alles“, sind sich Ilda Mutti
und Irmgard Weber einig und beschreiben erste Erfahrungswerte. Sinnvoll
sei es, über den formalen Tellerrand der Tests hinaus zu schauen und
Hemmschwellen abzubauen. „So können sich die Migranten,
Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer auch kulturell und historisch
orientieren in der Stadt.“ Von Kinderhaus aus abends ins Tanztheater
gehen, das Stadtmuseum aufsuchen oder eine Alternativführung durch
Münster mit eigenen Augen und Ohren anbieten – solche Ideen wirken
wie ein Brückenbau zwischen dem, was die Zugewanderten aus ihren
Herkunftsnationen mitbringen, und den Stationen, die sie im Münsterland
antreffen oder erst entdecken. Hoch interessant war es für viele der
Lernenden im Kurs zu erfahren, dass es – wie in der Villa ten Hompel
– extra Ausstellungen gibt, die die deutsche Verantwortung für
NS-Verbrechen in der Vergangenheit offen thematisieren und versuchen,
mit Tabus zur Shoah zu brechen. „Sachlichkeit gilt als hohes Gebot in
der Vermittlung“, betonte Stefan Querl, der die Gruppe mit einem
engagierten Team aus Gedenkstättenmitarbeitern empfing – und ein
Plädoyer für die demokratische Verfassung hielt. Recht schütze jeden,
Würde kenne keine Trennung nach Hautfarbe, Geschlecht oder gar nach dem
Geldbeutel. Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann habe einmal
scherzhaft gesagt, er liebe nicht den Staat, sondern seine Frau.
Trotzdem habe dieser Politiker Leidenschaft für das Grundgesetz
entwickelt. „Nationalstolz ist eben nicht alles“, waren sich die
Anwesenden einig. Er sei gar gefährlich, wenn er Andere degradiere oder
zu Abgrenzungen führe. Über Geschichte und Gegenwart müsse global
nachgedacht und geredet werden; „dann wieder regional, ohne
Gleichmacherei."

Intensiv widmete sich das gemeinsame Seminar dem Austausch von
Erfahrungen, konkret über die Folgen von Gewaltherrschaft und Krieg:
Unermessliches Leid, das zum Beispiel syrisch-kurdische Teilnehmerinnen
schmerzlich kennen. Spannende Impulse brachte aber auch die Debatte
zwischen Polen und Deutschen zum Umgang mit Opfern des
Ost-West-Konflikts und der europäischen Teilung. Hochinteressant sei
doch an 1989, dass der Ruf nach Freiheit über Ländergrenzen und
„Eisernen Vorhang“ hinweg nicht verhallt, sondern vielmehr lauter
geworden sei. „Darauf können wir innereuropäisch ausgesprochen stolz
sein“, so ihr Fazit.

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