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"Demokratie ist nur da stark, wo auch Minderheiten geschützt sind."

Großer Andrang bei der Münsterischen Onlinelesung zur Würdigung sexueller Minderheiten unter KZ-Häftlingen: Lutz van Dijk stellte sich einer deutsch-polnischen Debatte um Erinnerungskonkurrenzen.

Verfasst am 09. Februar 2021

 „Du sollst nicht gleichgültig sein!“ Ganz im Zeichen dieses Zitats, dem von Roman Kent, Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, erdachten „elften Gebot“, hielt der deutsch-niederländische Schriftsteller und Historiker Dr. Lutz van Dijk eine Lesung mit Diskussion zu seinem aktuellen Buch „Erinnern in Auschwitz auch an sexuelle Minderheiten“, welches er zusammen mit seinen polnischen Kolleginnen Dr. Joanna Ostrowska und Dr. Joanna Talewicz-Kwiatkowska herausgab. Anlass der Veranstaltung, in der der aus Südafrika zugeschaltete Gast auch dem Exekutiv-Vizepräsidenten Christoph Heubner vom Komitee nachdrücklich dankte, war eine Kooperation der Villa ten Hompel mit der Regionalarbeitsgruppe Münsterland von Gegen Vergessen Für Demokratie und queeren Initiativen, Bildungsträgern und öffentlichen Dienststellen in Westfalen, wobei ein wichtiger Impuls, Dr. van Dijk einzuladen, aus Frankfurt am Main von Andreas Dickerboom gekommen war, vom Sprecher aller Regionalarbeitsgruppen im Bundesvorstand bei Gegen Vergessen Für Demokratie. Aus bekannten Gründen fand die Veranstaltung virtuell statt, was zunächst schade erscheinen mag, schlussendlich aber dazu führte, dass sogar über 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Lesung beiwohnen konnten.

Im Fokus stand die Verfolgung sexueller Minderheiten durch die Nationalsozialisten. Van Dijk unterstrich, dass es ihm und seinen Kolleginnen insbesondere darum ginge im Sinne der queeren Geschichte die Aufklärung über die Verfolgung und Diskriminierung dieser Minderheiten „menschlicher und differenzierter“ zu gestalten. Dementsprechend umfasst das Buch auch Texte über Gender-Identitäten, die nicht offiziell nach § 175 verfolgt worden war, aber Diskriminierung durch gesellschaftliche Ideologien erfuhren und/oder als so genannte „Asoziale“ oder „Kriminelle“ in Konzentrationslagern inhaftiert worden waren. Auch die bisher aus Sicht des Herausgeberinnen- und Herausgeber-Trios in der Forschung weitgehend ignorierte Intersektionalität solcher Verfolgungsgründe klang immer wieder an. Van Dijks Lesung drehte sich um die Entstehung und die Kriterien zur Textauswahl des Buchs. Sie thematisierte insbesondere die Frage nach der Geschlechteridentität und der Nationalität (deutsch/polnisch) der NS-Verfolgten sowie die Wahl von Auschwitz als Erinnerungsort dieser verfolgten Minderheiten wegen seiner Wirkkraft als internationales Symbol für das, was Menschen einander antun können. „Du sollst nicht gleichgültig sein!“

Angesichts des vielerorts steigenden Populismus wurde auch die Relevanz der Aufklärung über verfolgte Minderheiten für unsere Gegenwart und Demokratie hervorgehoben. Die von den Nationalsozialisten praktizierte „Kategorisierung von Menschen“ widerspreche grundlegend der Idee von Demokratie. Van Dijk sprach sich für einen Zusammenhalt der Minderheiten in der Forschung zur Aufklärung über ihre Verfolgung aus, denn „Jeder zu Unrecht verfolgte Mensch hat ein Recht darauf, anerkannt und erinnert zu werden.“

Neben dem „elften Gebot“ Roman Kents wurde auch in den Geleitworten der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano und Marian Turski die Bedeutsamkeit der Erinnerung und Aufklärung verfolgter Minderheiten für die Demokratie deutlich, Marian Turski formulierte: „Demokratie ist nur da stark, wo auch Minderheiten geschützt sind.“ Das Totschweigen oder Tabuisieren von Mitmenschen oder ihren Eigenarten müsse gebrochen werden, denn „Schweigen ist ein Diener der Gewalt!“.

Ausgerichtet wurde die Veranstaltung von Gegen Vergessen Für Demokratie in einer Kooperation mit dem Amt für Gleichstellung der Stadt Münster, der Stadtbücherei, dem Geschichtsort Villa ten Hompel, der Fortbildungsstelle „Erziehung nach Auschwitz“ bei der Bezirksregierung mit Kim Keen und Bettina Röwe und den Vereinen „CSD Münster“, „KCM Schwulenzentrum“, „LiVas/FLINT*“. Es moderierten online RAG-Sprecher Stefan Querl und Markus Chmielorz vom Amt für Gleichstellung.

Text: Leonie Fleischhauer

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