Inhalt Seitenleiste

"Wozu Gedenkstätten?" Professoren und Praktiker im Gespräch

Symposium "Erinnerungskultur" zur Verabschiedung von Ulrike Puvogel im Haus der Geschichte

Verfasst am 06. April 2009

Jahrzehntelang hat sich Ulrike Puvogel, zuständige Fachreferentin in der Bundeszentrale für politische Bildung, in ganz Deutschland für die Entstehung, Entwicklung und Förderung von Gedenkstätten zum Nationalsozialismus eingesetzt. Einer ihrer bedeutendsten publizierten Beiträge ist ein zweibändiges Gedenkstättenverzeichnis für die alten und neuen Bundesländer, in dem detailliert regionale Gedenkstätten, Initiativen, Memoriale und Gedenktafeln, sowie deren Geschichte und Entstehung erläutert sind. Um Ulrike Puvogels langjähriges Wirken zu würdigen und die Zukunft der Gedenkstätten und Fragen rund um die Vermittlung an den Erinnerungsorten zu debattieren, luden die Bundeszentrale für politische Bildung, der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen, die Stiftung Topographie des Terrors und der Verein Gegen Vergessen - Für Demokratie zu einem besonderen Symposium ins Bonner Haus der Geschichte. Unter dem Titel "Aktuelle Aspekte der Erinnerungskultur in Deutschland" diskutierten die Teilnehmer über den grundsätzlichen Wert der Gedenkstätten, künftige Herausforderungen wie die Herausbildung eines kritischen Geschichtsbewusstseins sowie die didaktischen Möglichkeiten der historisch-politischen Bildungsarbeit. Als Referenten geladen waren unter anderen Vorstandsmitglieder des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW, Prof. Dr. Alfons Kenkmann und Dr. Karola Fings, die gemeinsam mit vielen weiteren Vertretern der Einrichtungen aus NRW Ulrike Puvogel gebührend in den Ruhestand verabschiedeten.

Nach einer offiziellen Begrüßung durch den Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, versuchte Thomas Lutz, Leiter des Gedenkstättenreferats der Stiftung Topographie des Terrors, die aktuelle Situation der Gedenkstätten in Deutschland zu beleuchten. Die hintergründig provokante Frage "Wozu Gedenkstätten?" beantwortete Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma. Der Vorsitzende und Stifter des Hamburger Instituts für Sozialforschung stellte dabei jedoch keinesfalls die Existenz der Einrichtungen in Frage, sondern betonte vielmehr, dass die Gedenkstätten nicht als aus sich selbst heraus sinnstiftende Institutionen "im Modus der Sakralität" missverstanden werden sollten. Gerade nach 1945 sei es ihre Funktion gewesen, in der "Formensprache der Dokumentation" Forschung zu ermöglichen, Beweise für die Verbrechen zu sichern und zugleich die Opfer im gesellschaftlichen Gedächtnis zu halten. Heute bestehe ihre Hauptaufgabe in der Vermittlung eines sensiblen Gefühls von Scham und zudem in der Herausbildung eines aufrichtigen Bewusstseins für eine der grausamsten Epochen der deutschen Geschichte und damit verbunden für die "Fragilität der gesamten Zivilisation", die eben nicht an nationalen Grenzen oder Geschichtsbildern festzumachen sei. Wie 2040 mit den Gedenkorten umgegangen werde, sei heute schlicht einfach nicht zu klären. "Künftige Generationen formen auch ihre eigenen Geschichtsbilder", formulierte Reemtsma in seinem Ausblick. Eine intensive Auseinandersetzung im Plenum folgte dem Vortrag. Detlev Garbe, Leiter der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme, moderierte die Diskussion.

Auf einem Podium gaben Vertreter aus unterschiedlichen Bundesländern anschließend einen Einblick in die Aufgabengebiete und die alltäglichen Herausforderungen der Gedenkstättenpraxis. Während Dr. Karola Fings die vielfältige dezentrale Gedenkstättenlandschaft in NRW vorstellte und dabei u.a. die museale Mythen- und Legendenbildung rund um Ausflugsziele entlang des so genannten "Westwalls" zwischen NRW und den Beneluxstaaten kritisierte ("viele schiefe und falsche Geschichtsbilder nach 1945 werden uns in den NS-Gedenkstätten noch lange leidvoll beschäftigen."), informierte Dr. Dietmar Sedlaczek über die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Moringen. Dr. Andreas Wagner vom Verein Politische Memoriale bot den Teilnehmern einen Überblick über die einzelnen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern.

Unter der Überschrift "Lernen aus der Geschichte. Rituale, Routine und "Re-Enactment" in der Naherinnerung" stellte Prof. Dr. Alfons Kenkmann, Vorsitzender des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW, einige der didaktischen Aspekte in der modernen Gedenkstättenarbeit zur Diskussion. Im Mittelpunkt seines Beitrages standen dabei die Entwicklung der Geschichtsvermittlung und die Grundfrage des Umgangs mit der NS-Diktatur im Zuge der Historisierung. Es müsse offen und intensiv diskutierbar bleiben, ob ein Lernen aus der Geschichte etwa an Gräbern von NS-Opfern möglich und erwünscht sei oder ob statt einer Annäherung nicht vielmehr eine gewisse emotionale Distanz und ausgewogene methodische Mixtur in der Vermittlung die wünschenswerte Multiperspektivität eröffne. Mit Floskeln wie "Nie wieder Auschwitz" sei es keinesfalls getan, so eine seiner Forderungen.

Im Verlaufe der Tagung betonte Ehrengast Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW, die Notwendigkeit, sich in der zukünftigen deutschen Gedenkstättenpädagogik auch auf die "Kinder und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte" intensiver einzustellen. Es sei wichtig, unterschiedliche Zugänge für diese neue Generation der Migranten zu finden, da die meisten der jungen Leute in ihren Familien keinen direkten Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus finden könnten. Es gelte, mit Vehemenz Antisemitismus, Xenophobie und anderen Formen von Extremismus über Milieus und gesellschaftliche Grenzen hinweg entgegen zu treten. Vor allem müsse sich aber auch die Mehrheitsgesellschaft darin üben, Fremde - wie etwa Flüchtlinge - wirklich willkommen zu heißen. Der aktuelle Fall verfolgter Christen aus dem Irak sei ein Positivbeispiel dafür, umriss er neueste Initiativen in NRW.

In der abschließenden Podiumsdiskussion griffen Praktiker aus der historisch-politischen Bildungsarbeit die Thematik noch einmal auf. Mit welchen Aufgaben sich die Gedenkstätten im "Einwanderungsland Deutschland" konfrontiert sehen, besprachen Elke Gryglewski, Pädagogische Mitarbeiterin der Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannseekonferenz" in Berlin, Dr. Willi Nikolay, Leiter des Clara-Schumann-Gymnasiums in Bonn, Barbara Thimm, Leiterin des Bundesmodellprojekts "Gedenkstättenpädagogik und Gegenwartsbezug" sowie Julia Kosonova, ehemalige Freiwillige der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste in Hamburg.

zurück