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Tagungsbericht: Aufarbeitung von Vergangenheiten als Thema der Werkstatt Geschichtsarbeit

Die diesjährige Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus hatte die vielfältigen Formen der Aufarbeitung von NS-Vergangenheiten seit 1945 und damit auch die Entstehungsgeschichten der NS-Gedenkstätten selbst zum Thema. Bereits zum 20. Mal richtete das Bildungswerk der Humanistischen Union NRW in Kooperation mit dem Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und –Erinnerungsorte in NRW die Tagung aus. Welche Perspektiven eine solche Aufarbeitung der Aufarbeitung für die Gedenkstättenarbeit eröffnet, möchte dieser Tagungsbericht skizzieren.

Verfasst am 20. November 2017

Unter dem Rahmenthema „Aufarbeitung von Vergangenheiten“ feierte dieses Jahr im Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster die Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus des Bildungswerks der Humanistischen Union NRW und des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und –Erinnerungsorte in NRW ihr zwanzigstes Jubiläum. Neben den vielfältigen Formen und Versuchen des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in den letzten 72 Jahren stand im Sinne einer „Selbsthistorisierung“ auch die Entstehungsgeschichte der NS-Gedenkstätten in NRW auf dem Programm.

Erster Tag: Überlebende als Akteure und der Umgang mit Verbrechen an Deserteuren

Nach einer Eröffnung durch Dr. Paul Ciupke und Dr. Norbert Reichling vom Bildungswerk der Humanistischen Union sowie Dr. Christoph Spieker vom Geschichtsort Villa ten Hompel wurde die Tagung mit einem Vortrag von Dr. Gerd Kühling eröffnet. Der Berliner Historiker erarbeitet als Kurator die neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte im Haus der Wannseekonferenz. Mit Joseph Wulf hatte er einen der frühen Vorkämpfer für einen Erinnerungsort in der Steglitzer Villa in den Mittelpunkt seines Vortrags über „Opfer als Akteure – Verfolgte des Nationalsozialismus und die Aufarbeitung der Vergangenheit“ gestellt. Kühling verdeutlichte, dass bereits kurz nach Kriegsende NS-Verfolgte selbstorganisiert erste Erinnerungsformen initiierten. Während im staatlichen Kontext das namen- und ortslose, abstrakte Erinnern dominierte, versuchten diese Verfolgtenorganisationen bereits früh, beispielsweise Todesorte genau zu benennen. Unter den Politisierungen des so genannten Kalten Kriegs hatten viele dieser Vorreiter der Erinnerungskultur später zu leiden, bis ihr Engagement als Einzelkämpfer seit den 1980er und verstärkt seit den 1990er Jahren durch die Mehrheitsgesellschaft unterstützt wurde.

Im anschließenden Abendvortrag hat Florian Hans (Berlin) seine Forschungen zur Ermordung von so genannten Deserteuren im Rahmen der Endphaseverbrechen des Zweiten Weltkriegs in Wuppertal präsentiert. Eindrücklich verdeutlichte er, wie die Verbrechen zunächst lange Zeit tabuisiert und dann zu einem umfangreichen städtischen Diskurs wurden. Neben der Rekonstruktion der Verbrechen an sich ging Florian Hans auch auf die Opfer und ihre Geschichten und schließlich die Wahrnehmung der Deserteure in der gegenwärtigen Erinnerungskultur ein.

Zweiter Tag: Foren zur regionalgeschichtlichen Forschung und Entstehung der Gedenkstätten in NRW

Den zweiten Veranstaltungstag läuteten Kurzführungen durch die Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ des gastgebenden Geschichtsorts ein: An drei Stationen präsentierten Mitarbeitende der Villa ten Hompel ausgewählte Themen der Ausstellung. Im Mittelpunkt standen dabei Polizeiverbrechen während des Zweiten Weltkriegs und die Frage, wie sowohl auf Täter- als auch Opferseite mit diesen nach 1945 umgegangen wurde. Auch Erfahrungen mit der Bildungsarbeit und Darstellungsformen waren Teil der Gruppengespräche.

In Vorträgen wurden anschließend zwei unterschiedliche Formen der Aufarbeitung gegenübergestellt. Zuerst stellte Polizeihauptkommissar Rainer Stoye seine Erfahrungen aus der Ermittlungsgruppe „NS-Gewaltverbrechen“ im Landeskriminalamt vor. Zwar hatte die nordrhein-westfälische Polizei bereits seit Anfang der 1960er Jahre ermittelt, doch brachte ein Aktenfund der italienischen Militärstaatsanwaltschaft dann 2005 neue Bewegung in die Verfolgung von deutschen NS-Tätern. Aktuell laufen noch immer zehn Verfahren im LKA NRW. In einem anschaulichen Vortrag präsentierte Stoye die Herausforderungen, die aus polizeilicher Sicht bei der Suche nach Beweisen für eine Anklage wegen Mordes beziehungsweise Beihilfe gegen mutmaßliche Wehrmachts- oder NS-Polizeiverbrecher bestehen.

Anschließend stellte Philipp Erdmann (Münster) frühe Formen der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit dar. Er nahm die zeitgenössische und folgende wissenschaftliche Bewertung der Entnazifizierung eingeordnet in Phasen und Konjunkturen in den Blick. Einzelbeispiele und Lokalstudien zeigen dabei, dass in diesem bürokratischen Rahmen Vergangenheiten durchaus thematisiert und entsprechend öffentlich verhandelt wurden. Was durch die Entnazifizierungsurteile dann einmal behördlich als bestätigt galt, diente manchen Belasteten bis an ihr Lebensende als Entlastungsnarrativ, auch wenn es nicht der wirklichen Rolle im Nationalsozialismus entsprach, wie das Beispiel des Münsteraner NS-Kulturdezernenten Aschoff zeigte.

In drei Foren wurden dann drei unterschiedliche Perspektiven auf die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik angeboten: Das erste Forum nahm frühe Aufklärungsbemühungen und die gesellschaftliche Integration der Mehrheit und belasteten Bevölkerungsgruppen in den Blick. Neben der Internierungspraxis (Referent: Dr. Heiner Wember) und Re-Educationpolitik (Referent: Prof. Dr. Markus Köster) der britischen Besatzer standen frühe Bildungsprojekte und Gedenkstättenfahrten der 1940er und 1950er Jahre in Nordrhein-Westfalen (Dr. Paul Ciupke und Michael Schmidt) auf dem Programm.

Das zweite Forum stand unter dem Titel „Justiz und ‚Aufarbeitung‘“. Einen besonderen Fall stellte dort Ingeborg Höting vor: Bereits 1934 verübten Stadtlohner Jugendlicher einen Brandanschlag auf eine Synagoge, der von den Zeitgenossen noch scharf verurteilt wurde. Vier Jahre später war dieser Terror gegen Juden während der Pogromnacht auch in Stadtlohn dann zur Normalität geworden. In der Nachkriegszeit wurden beide Verbrechen vor Gericht verhandelt, und bereits 1946 zeigte die Justiz nur noch wenig Interesse an Differenzierungen. Dr. Stefan Klemp stellte bei seinem Resümee über die Nachkriegsermittlungen deutscher Behörden zu Polizeiverbrechen aus der NS-Zeit die Frage, inwiefern Entscheidungsmöglichkeiten von Polizisten innerhalb dieser Tatkonstellationen in den Gerichtsverhandlungen thematisiert wurden. Einzelfälle hätten dabei gezeigt, dass es für Polizisten mindestens theoretisch die Möglichkeit gab, sich durch Versetzungsanträge den Erschießungen entziehen zu können. Als letztes skizzierte Dr. Christoph Spieker die Erinnerungsarbeit des ehemaligen Befehlshabers der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI, Bernhard Heinrich Lankenau: Durch aktive Geschichtspolitik konnte er beginnend in der Internierung unmittelbar nach Kriegsende und durch Publikationen über die Geschichte „seiner“ Behörde bis in die 1980er das öffentliche Bild der Ordnungspolizei beeinflussen.

Das dritte Forum resümierte unter dem Titel „Selbsthistorisierung“ die Entstehungsgeschichte und allmählich zunehmende Reflexion der Gedenkstätten über ihre Gründungsphasen. Mit Angela Genger war eine Wegbereiterin der gegenwärtigen nordrhein-westfälischen Gedenkstättenlandschaft anwesend. Im Interview mit Dr. Norbert Reichling berichtete sie von ihren Erfahrungen bei der Gründung des Erinnerungsorts in der Alten Synagoge Essen sowie der Mahn- und Gedenkstätte in Düsseldorf. So unterschiedlich deren Entstehungsgeschichten auch verliefen, sie bauten beide auf lokalem Engagement Einzelner und zivilgesellschaftlicher Initiativgruppen auf. Diese „Pioniere“ der Gedenkstättenarbeit hatte Dr. Norbert Reichling auch in seinem Vortrag in den Blick genommen. Sein gruppenbiographischer Ansatz zeigt, dass diese Vorreiter der gegenwärtigen Erinnerungskultur bei allen Unterschieden und heterogenen Prägungen auch einige Gemeinsamkeiten hatten. So seien viele durch „diskussionsfreudige Milieus“ sozialisiert und von ersten Kontakten mit Überlebenden tief geprägt worden. Als sich in den 1980er Jahren neue geschichtswissenschaftliche Ansätze mit den so genannten neuen sozialen Bewegungen verbanden, konnten sie als Verfechter einer „Geschichte von unten“ das Bewusstsein für die historischen Verbrechens- oder Gedenkorte in NRW sowie „vergessene Opfergruppen“ schärfen. Ausblickend stellte Reichling die spannende Frage, ob der gegenwärtige Konsens über die Notwendigkeit von Gedenkstätten die eigene Arbeit gefährden könne: Ein Kernauftrag der Erinnerungsorte müsse es auch weiterhin sein, zu irritieren. Eine Sonderrolle in der Entstehungsgeschichte der Gedenkstätten Nordrhein-Westfalens nimmt die Gedenkhalle Oberhausen ein, die als erster Erinnerungsort des Landes bereits 1962 Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus ausstellte. Nach einer zweiten, grundlegenden Überarbeitung 2011 fand die neue und aktuelle Dauerausstellung der Einrichtung breite Zustimmung in Stadt- und Fachöffentlichkeit. Clemens Heinrichs stellte als Leiter der Gedenkhalle einen jüngeren Deutungskampf dar, der erst einige Zeit nach der Eröffnung von einer Gruppe losgetreten wurde: Teile einer Vertreterorganisation ehemaliger politischer NS-Verfolgter und ihrer Nachkommen deuteten die Neugestaltung als politische Aussage gegen den in der ersten Ausstellung stark gemachten Arbeiterwiderstand. In der Sache sei diese Kritik genauso unhaltbar wie der Vorwurf, nicht in die Neukonzeptionierung eingebunden zu sein, verdeutlichte Clemens Heinrichs mit Korrespondenzen und Beispielen.

An den Beispielen der KZ-Gedenkstätten in Deutschland und Österreich verdeutliche Prof. Dr. Stefanie Endlich (Berlin), wie diese Erinnerungsorte ihre eigene Nachkriegs- und Entstehungsgeschichte thematisieren. Einen wichtigen Bruch sah sie nach der Wiedervereinigung, als die Einrichtungen in den neuen Bundesländern mit dem Systemwechsel ihre alten Ausstellungen kritisch reflektierten und die Erinnerungskultur der DDR zum Thema ihrer neuen Präsentationen machten. Erst mit Abstand sei auf beiden Seiten der Mauer deutlich geworden, wie stark der „Kalte Krieg“ die Narrative der Gedenkstätten geprägt habe. Dennoch sei die eigene Entstehungsgeschichte in den alten Bundesländern immer noch weniger thematisiert als im Osten der Republik. Perspektivisch nannte sie einige Chancen, die Reflexionen über die eigenen Entwicklungen bieten können. So könne man über Gestaltungsalternativen nachdenken und den Besucherinnen und Besuchern verdeutlichen, dass auch Ausstellungen und ein vermeintlicher Erinnerungskonsens „nur“ einzelne unter mehreren Narrativen seien. Diese Multiperspektivität wiederum könne als Argument gegen monolithische Vergangenheitsdeutungen von Rechten dienen, wie Clemens Heinrichs ergänzte. Um solche pluralen Perspektiven zu vermitteln, solle der Entstehungscharakter von Gedenkstätten nur auf wenige Fragen reduziert angedeutet werden, um die Besucherinnen und Besucher nicht zu überfordern, schlug schließlich Angela Genger vor.

Dritter Tag: Projektbörse und Vortrag: Geschichte als Thema im Radio

Den dritten Tag läutete eine Projektbörse ein, in der Einrichtungen und Initiativen aus NRW aktuelle Buchveröffentlichungen, Ausstellungen oder andere Vermittlungsformate präsentieren konnten. Zuerst stellte Bastian Steinhauer die neue Publikation der Alten Synagoge Wuppertal „Das Landgericht Wuppertal“ vor. Dessen Geschichte reicht vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und die NS-Zeit bis in die (west-)deutsche Nachkriegsdemokratie. Sie erzählt auch von Menschen, die ihre Spuren in unserer Stadt hinterlassen haben – als aufrechte Juristen, kämpferische Demokraten oder nationalsozialistische Rechtsbeuger.

Anschließend präsentierten Emilia Simon und Peter Junge-Wentrup vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) Dortmund ihr Engagement in Minsk und dem benachbarten belarussischen Malyj Trostenez, wo mit einer Geschichtswerkstatt und perspektivisch einer Gedenkstätte an die Ermordung tausender Juden auch aus Nordrhein-Westfalen erinnert werden soll. Lange Zeit vergessen, soll der historische Ort eines Konzentrationslagers zum Teil der europäischen Erinnerungskultur werden. Durch Spenden finanziert versucht das IBB mit weiteren Akteuren, in der Geschichtswerkstatt in Minsk den Dialog zwischen jungen Menschen und Zeitzeugen zu ermöglichen und Forschungslücken durch die Dokumentation dieser Überlebendenstimmen zu schließen. Seit kurzen wandert eine Sonderausstellung zudem durch Europa, um an die über 40.000 Opfer des Vernichtungslagers Malyj Trostenez zu erinnern. Die Ausstellung zeigt auch, wie und an welchen Orten in Belarus, Deutschland, Österreich und Tschechien an diese Ermordeten erinnert wird. Zurzeit ist die Ausstellung im EL-DE-Haus in Köln mitsamt einem umfangreichen Begleitprogramm zu sehen. Dazu gehört auch eine Ergänzungsausstellung im Kölner Gedenkort Jawne, die das Leben und die Arbeit von Erich und Meta Klibansky vorstellt. Sie konnten durch Kindertransporte nach Großbritannien noch mehr als 130 jüdische Kinder retten, bevor sie selbst nach Malyj Trostenez deportiert und dort zusammen mit 1.000 anderen Kölner Juden ermordet wurden. Auch die Gedenkstätte für die Bonner Opfer des Nationalsozialismus zeigt zur Zeit eine Sonderausstellung, die die Situation einiger jüdischer Bonnerinnen und Bonner vorstellt, die von ihrer Heimatstadt über Köln Richtung Minsk deportiert und dort ermordet wurden. Möglichkeiten der kostenlosen Ausleihe der IBB-Wanderausstellung erhalten alle Interessierten direkt beim Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk in Dortmund.

Eine aktuelle Denkmalsdebatte stellte Mareike Otters zur Diskussion. Sie skizzierte die Überlegungen der Oberhausener Bürgerschaft und Gedenkhalle zum Umgang mit dem „Opferdenkmal“ Willy Mellers. Zum einen würden mit einer Gedenktafel an der Skulptur alle Opfergruppen der nationalsozialistischen Ideologie mit den Opfern von Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg gleichgesetzt, zum anderen ist die Künstlerbiographie des Erschaffers höchst fragwürdig. Willy Mellers profitierte in hohem Maße von der nationalsozialistischen Machtübernahme und ließ sich umfassend von führenden Nationalsozialisten fördern. Auch vor diesem Hintergrund stellt die Gedenkhalle nun Überlegungen an, neben der Problematisierung des Denkmals in der eigenen Dauerausstellung auch die Skulptur an sich kritischer einzuordnen. Dr. Norbert Reichling schlug vor, innerhalb des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten zu dieser Frage des Umgangs mit „schwierigen“ Denkmälern eine Arbeitsgruppe zu bilden.

Dennis Grunendahl hat als Leiter des Projekts „Willkommensstätten“ den Stand der aktuellen Forschungen und Programme vorgestellt. Das Vorhaben, ausgehend von einer Bestandsaufnahme Methoden für die Arbeit mit Geflüchteten in Gedenkstätten zu entwickeln, wurde bereits auf <link http: www.ns-gedenkstaetten.de arbeitskreis aktuelles detailseite gefluechtete-im-gedenkstaettenbereich-ein-interview-mit-dem-projektleiter-der-willkommensstaetten.html external-link-new-window>dieser Website des Arbeitskreises dargestellt. Aktuell haben Grunendahl und sein Team ein Hospitationsprogramm entwickelt, um den Austausch der Gedenkstätten zu forcieren. Das ist auch als Angebot zu verstehen, Teamer oder Ehrenamtler für entsprechende Integrationsprojekte in die einzelnen Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen zu entsenden. Weitere Informationen sind über <link http: www.willkommensstaetten.de external-link-new-window>www.willkommensstaetten.de verfügbar.

Schließlich hat Prof. Dr. Markus Köster eine neue Produktion des LWL-Medienzentrums für Westfalen präsentiert, die die breite Reihe von Filmprojekten zur NS-Vergangenheit in Westfalen, teilweise entstanden in Kooperation mit Gedenkstätten wie der Villa ten Hompel oder dem Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten, erweitert. Spannender Ausgangspunkt der Dokumentation über „Die Kinder der Turnstunde. Zur Geschichte der Juden in Lünen“: Ohne historische Filmaufnahmen aus Lünen selbst montiert der Regisseur Zeitzeugeninterviews um das Foto einer jüdischen Schulklasse. Mit diesem Stimmungsbild geht er Fragen nach dem jüdischen Leben vor, während und nach der NS-Zeit in der westfälischen Kleinstadt nach, fragt aber auch, was die nichtjüdischen Lüner von der NS-Judenverfolgung erfuhren.

Zuletzt stellte Dr. Ingrid Wölk die aktuellen Pläne der Initiative „Nordbahnhof Bochum“ vor. Trotz einer lebendigen Erinnerungskultur mit verschiedenen Initiativen und Vereinen gibt es in Bochum selbst (noch) keine Gedenkstätte. Mit dem Nordbahnhof als einem von mehreren Ausgangspunkten der Deportationen aus Bochum steht nun ein potenzieller Ort für eine solche Gedenkstätte zur Diskussion. Mittlerweile steht das Gebäude unter Denkmalschutz und wird zurzeit umgebaut. Über die weitere Nutzung des nun in Privateigentum befindlichen Gebäudes besteht noch Unklarheit. Eine Bochumer Initiative, unterstützt auch von den Bochumer Historikern Prof. Bernd Faulenbach und Prof. Konstantin Goschler, möchte eine Gedenkstätte in das Gebäudeensemble integrieren. Man darf gespannt sein, wie die 2016 gegründete Initiative nun weiter arbeiten kann, um eine Teilnutzung des Gebäudes als Erinnerungsort zu ermöglichen.

Den Abschluss der Tagung bildete schließlich ein Vortrag von Dr. Heiner Wember, der als Redakteur der „ZeitZeichen“ und des „WDR 2 – Stichtag“ beim Westdeutschen Rundfunk anschaulich und kurzweilig erklärte, wie mediale Geschichtsformate produziert werden. An Praxisbeispielen zeigte er, wie rund vierminütige Sendungsbeiträge dramarturgisch idealerweise aufgebaut sind und wie es überhaupt möglich ist, wissenschaftliche Kontroversen allgemeinverständlich und sachlich innerhalb dieser Zeit zu vermitteln. Dass der enorme Recherche- und Vorbereitungsaufwand gerechtfertigt sei, zeigen die 15 Millionen jährlichen Downloads des ZeitZeichen-Podcasts – nach der „Sendung mit der Maus“ das meist abgerufene Onlineformat des WDR, wie Wember betonte. Sowohl für die historisch-politische Bildung als auch für eine Quellenrecherche bieten sich diese kurzen, online verfügbaren Formate an, da oftmals noch neue, bisher nicht erschlossene Originaltöne verwendet würden.

Resümee

Mit der zwanzigsten Werkstatt Geschichtsarbeit und historisch-politisches Lernen zum Nationalsozialismus hat die traditionsreiche Tagung wie gewohnt aktuelle Forschungen, didaktische Perspektiven und laufende Projekte aus den Gedenkstätten mit einer Selbstreflexion der eigenen Arbeit verbunden. Neu war dabei die allmählich einsetzende Kontextualisierung der eigenen Entstehungsgeschichte, die angesichts anstehender personeller Umbrüche in den Einrichtungen und dem sich laufend wandelnden politischen Klima akut geworden ist. Die Vielseitigkeit der Beiträge von Geschichtswissenschaftlern, Gedenkstättenpädagogen, Medienmachern und Polizisten sowie engagierten Ehrenamtlern war bemerkenswert und hat zu einer diskussionsfreudigen und perspektivreichen Veranstaltung beigetragen. Auch im November 2018 wird wieder eine Werkstatt Geschichtsarbeit stattfinden. Man darf auf Veranstaltungsort und -thema gespannt sein.

Bericht von Philipp Erdmann, Fotos vom Geschichtsort Villa ten Hompel (Dr. Christoph Spieker und Reinhardt Liesert)

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