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Kunst und Erinnern - Kunst von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung

In dieser Reihe präsentiert die Onlineredaktion des Arbeitskreises in Zukunft künstlerische Zugänge in NS-Gedenkstätten. Den Auftakt macht Kunst von Opfern nationalsozialistischer Verfolgung und Unterdrückung .

Verfasst am 07. August 2016

Kunst begegnet uns an Orten des Erinnerns in unterschiedlicher Form. Gedenkstätten und Mahnmale stellen Ausdrucksweisen des kulturellen Gedächtnisses dar, die ihren festen Platz in unserer Gesellschaft und dem kollektiven Erinnern haben. Daneben gibt es noch weitere Arten von Kunst, die Erinnern ermöglichen, indem sie dem Betrachter alternative Zugänge zur Geschichte eröffnen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die die künstlerischen Arbeiten von Opfern und Verfolgten des nationalsozialistischen Terrors. 

Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat in diesem Frühjahr mit der Ausstellung „Kunst aus dem Holocaust“ hundert Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden, gezeigt. Die Ausstellung, die als Leihgabe von Yad Vashem, der zentralen Gedenkstätte für die Opfer des Holocausts im Staat Israel, dem DHM zur Verfügung gestellt wurde, umfasst Zeichnungen, Drucke und sogar Ölgemälde, die von 50 jüdischen Künstlerinnen und Künstlern in Konzentrationslagern, Ghettos  oder Arbeitslagern angefertigt wurden – 24 von ihnen wurden im Holocaust ermordet.

Diese Arbeiten sind manchmal eine Dokumentation des Leidens und des Grauens, von dem die Täter jede Zeugenschaft unterbinden wollten. Entstanden unter schwierigsten Bedingungen an Orten der Gefangenschaft oder der Flucht, teils unter Gefährdung des eigenen Lebens, wenn die Skizzen und Bilder entdeckt werden würden, sind sie aber noch viel mehr als eine Überlieferung und ein Zeugnis des Gesehenen. Eine große Gruppe der in Konzentrationslagern entstandenen Arbeiten besteht aus Porträts anderer Häftlinge. In einem System, das darauf angelegt war, die Identität seiner Feinde komplett auszumerzen und den Menschen auf seine Häftlingskategorie zu reduzieren, dienten die Bilder als doppelter Widerstand: indem sie einerseits die nicht auszulöschende Persönlichkeit des abgebildeten Menschen zeigen. Andererseits dienen die Bilder der Selbstbehauptung des Künstlers selbst, das künstlerische Schaffen wird zum Ausdruck der Autonomie und des Menschseins unter den Bedingungen von Lagerhaft oder Zwangsarbeit. Neben Szenen der Flucht und Eindrücke aus dem Leben im Ghetto finden sich auch Bilder, die den Wunsch nach  dem früheren Leben ausdrücken, Phantasiewelten und Darstellungen des blauen Himmels als Ausdruck der Hoffnung auf ein Ende der Verfolgung. Die Motive der Arbeiten, die aus der Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung stammen, sind so vielfältig wie die Biografien ihrer Schöpfer selbst.

Künstlerische Werke nehmen auch in den Gedenkstätten Nordrhein-Westfalens eine besondere Bedeutung für die Vermittlung von Geschichte und Geschichten ein. Sie ergänzen wissenschaftlich recherchierte Ausstellunginhalte und bieten, ähnlich wie das Nachzeichnen von Lebenswegen im Ausstellungskontext, die Möglichkeit einer Identifikation. Dabei erzählen die gemalten Bilder und Zeichnungen nicht nur über den Gegenstand, den in ihnen dargestellten Sachverhalt, sondern im Gedenkstättenkontext wird darüber hinaus auch die Geschichte ihres Schöpfers und den spezifischen Bedingungen ihrer Entstehung transparent gemacht. Die Karikaturen des französischen Künstlers Philibert-Carrin (1920 – 2007), die das NS-Dokumentationszentrum in Köln noch bis zum 21. August als Sonderausstellung zeigt, entstanden, als der Künstler im Jahr 1943 vom Vichy-Regime zu Zwangsarbeit im Deutschen Reich verpflichtet wurde. Die oft sehr humoristischen Zeichnungen bieten einen Einblick in das Leben eines jungen französischen Mannes und zeigen seine Perspektive auf die Lebenswelt der Zwangsarbeiter in Österreich. Philibert-Carrin ist nach dem Krieg ein viel beachteter Karikaturist geworden. Aber unter den vielen Zeichnungen und anderen Arbeiten sind auch viele Werke von nicht-ausgebildeten Künstlern zu finden.

Ebenso sind einige Zeichnungen von Kindern erhalten geblieben. In der Dauerausstellung des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster ist eine Kinderzeichnung zu finden. Auf dem Bild, mit dunklem Stift auf Papier gezeichnet, ist zu sehen, wie Ordnungspolizisten während des Zweiten Weltkrieges Zivilisten erschießen. Diese Darstellung einer Massenerschießung stammt aus der Hand eines polnischen Kindes, das diese heimlich beobachtet hatte. Im Jahr 1946 wurde die Zeichnung in einer niederländischen Zeitung abgedruckt. Heute beeindruckt und berührt dieses Bild vor allem junge Besucher der Ausstellung.

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