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Internationaler Fachaustausch: Arbeitskreis empfängt israelische Gäste

2015 besuchte eine Delegation des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW israelische Kolleginnen und Kollegen. Nun stand der Gegenbesuch auf dem Programm. Der Arbeitskreis, die Landeszentrale für politische Bildung NRW und die Landesregierung präsentierten den Gästen die nordrhein-westfälische Gedenkstättenlandschaft. Inhaltlich standen auch Herausforderungen in den beiden Zuwanderungsgesellschaften auf dem Programm. Das gemeinsame Ziel lautete: Die internationale Kooperation zwischen den nordrhein-westfälischen und israelischen Einrichtungen auf pädagogischer und wissenschaftlicher Ebene zu verstärken. Hier geht es zum ausführlichen Bericht.

Verfasst am 15. September 2017

Vor knapp zwei Jahren reiste eine Delegation des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW mit finanzieller und organisatorischer Unterstützung durch die Landeszentrale für politische Bildung und durch die NRW-Staatskanzlei nach Israel. Schon dort wurde klar, dass es zwar verschiedene Perspektiven auf den Holocaust und den Umgang mit der NS-Geschichte gibt, sich die Fragen an die Geschichte und die Herausforderungen, die sich aus ihr ergeben, aber länderübergreifend ähneln. So durchlaufen beide Gesellschaften beispielsweise durch Zuwanderung einen Wandel, der sich auf die pädagogische Arbeit mit Besucherinnen und Besuchern in Gedenkstätten auswirkt. Während allerdings in Deutschland die Auseinandersetzung mit den Tätern des Holocausts lange Traditionen hat, lag in Israel der Schwerpunkt eindeutig auf dem Erbe der Überlebenden und der Erinnerung an die durch Nationalsozialisten ermordeten Juden. Im wissenschaftlichen und didaktischen Austausch können hier beide Seiten voneinander lernen.

Auch aus diesem Grund hatten der Arbeitskreis, die Landeszentrale für politische Bildung NRW und die NRW-Landesregierung nun die israelischen Gastgeberinnen und Gastgeber in die eigene Heimat einzuladen, um ihnen die NS-Gedenkstätten des Bindestrich-Bundeslands vorzustellen.

Als Vorsitzender des Arbeitskreises begrüßte Prof. Dr. Alfons Kenkmann bereits am Sonntagabend die israelischen Gäste in der Alten Synagoge Essen. Wie der Leipziger Lehrstuhlinhaber für Geschichtsdidaktik hat auch Maria Springenberg-Eich, Leiterin der Landeszentrale für politische Bildung in NRW, in ihrem Grußwort auf die langjährigen kulturellen Beziehungen zwischen Israel und Nordrhein-Westfalen verwiesen. Durch diese Besuchsreise solle die Zusammenarbeit nun auf eine neue Ebene gehoben werden. Angesichts gegenwärtiger europäischer Entwicklungen wie zunehmendem Rechtspopulismus oder steigenden rechtsextremen Gewalttaten komme einem reflektierten Geschichtsbewusstsein besondere Bedeutung zu, um gegen vereinfachende Geschichtsbilder oder Vereinnahmungen von Vergangenheiten durch Populisten gewappnet zu sein, betonte Springenberg-Eich.

Anschließend führte Dr. Uri Kaufmann als Leiter der Alten Synagoge durch die Gedenkstätte, die neben der Erinnerung an die im Nationalsozialismus ermordeten Jüdinnen und Juden der Stadt bewusst einen thematischen Schwerpunkt auf jüdisches Leben in Vergangenheit und Gegenwart legt. Fließend zwischen hebräischer, englischer sowie deutscher Sprache wechselnd stellte der Schweizer Historiker die abwechslungsreiche und ambitionierte Arbeit der Essener Einrichtung vor. So werde seit jüngster Zeit unter anderem für muslimisch geprägte Jugendgruppen ein pädagogisches Programm angeboten, das die tiefen historischen Verflechtungen zwischen Christentum, Islam und Judentum verdeutlicht.

Workshop am Montag: Gedenkstättenpädagogik mit multiethnischen Lerngruppen

Mit diesem Hinweis auf die pädagogischen Angebote schlug Dr. Uri Kaufmann den Bogen zum Folgetag. Denn die Alte Synagoge Essen wurde am Montag, 11. September 2017, zum Veranstaltungsort eines ganztägigen Workshops. Rund 70 geladene Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland diskutierten unter dem Rahmenthema „Arbeit mit multiethnischen Lerngruppen“ über gegenwärtige Herausforderungen in der Gedenkstättenpädagogik, die sich durch den migrationsbedingten gesellschaftlichen Wandel ergeben.

Den Auftakt machten die Grußworte des Arbeitskreis-Vorsitzenden Prof. Dr. Alfons Kenkmann, und der Leiterin des German Desk in der International School for Holocaust Studies Yad Vashem, Deborah Hartmann. Beide verdeutlichten das Potenzial dieses deutsch-israelischen Austauschs und gaben damit die Richtung für die folgenden Tage vor. Gerade weil Erinnerung nicht mehr in engen, eindimensionalen Bezugsrahmen verlaufe, sondern sich zunehmend verflechte, sei der internationale Austausch umso wichtiger, betonte Hartmann.

Klaus Kaiser, parlamentarischer Staatssekretär im Kultur- und Wissenschaftsministerium Nordrhein-Westfalens, hob ebenfalls die Gemeinsamkeiten zwischen den deutschen und israelischen Gedenkstätten hervor: Auf beiden Seiten leisten die Einrichtungen neben ihren Beiträgen zur Erinnerungskultur auch einen wichtigen Beitrag zur Forschung und Bildung. Neben dem Erinnerungsauftrag ziele ihr Programm immer auch auf die Gestaltung der zukünftigen Zivilgesellschaft. Dass die nordrhein-westfälischen Gedenkstätten dabei durch lokales Engagement gegründet worden und entsprechend lokal verankert seien, ist dem Staatssekretär folgend als Besonderheit dieses Bundeslandes zu verstehen. Schließlich charakterisierte er das Programm des Workshops als „hochambitioniert, aber elementar wichtig.“

Auf die Einführung folgten prägnante Zustandsbeschreibungen der Migrationsgesellschaft in Nordrhein-Westfalen: Dr. Bernhard Santel, Referatsleiter im NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, und Dr. Daniel Schmidt vom Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen gaben Einblicke in das Zuwanderungsprofil Nordrhein-Westfalens, dessen Bevölkerung immerhin zu einem Viertel familiäre Migrationsgeschichten aufweist. Damit wurde deutlich: Das Bundesland war und bleibt ein Immigrationsland, und dementsprechend wird die ethnische und kulturelle Vielfalt auch weiter zunehmen. Gleichwohl aber sind immer noch fremdenfeindliche und anti-semitische Einstellungen zu vernehmen. Zuletzt hatten die gewaltsamen Übergriffe mit rechtsextremem Hintergrund gar zugenommen. Dass kulturelle Vielfalt vor allem als Chance zu verstehen ist, erkennen in NRW alle größeren Parteien an, wie Dr. Santel betonte. Dass dieser Anerkennungsprozess sich mitunter über viele Jahre oder gar Generationen erstrecke und durch finanzielle Unterversorgung oder mangelnde Bildungsmöglichkeiten verzögert werden kann, machte Dr. Schmidt am Beispiel Gelsenkirchens deutlich.

Ein Vortrag von Prof. Dr. Astrid Messerschmidt (Bergische Universität Wuppertal) vervollständigte das erste Panel des Workshops. Sie erörterte, welches große Potenzial Gedenkstätten auch für die Bekämpfung von Alltagsantisemitismus und -rassismus besitzen: Gerade wegen ihrer vielfach praktizierten Selbstreflexivität bieten sich die Orte als „Kontaktzonen“ an, um asymmetrische Machtbeziehungen zu thematisieren. Gleichwohl müsse man den jungen Gästen die Möglichkeit geben, die NS-Vergangenheiten der historischen Orte selbst erkunden zu können und sie nicht mit moralisch aufgeladenen Lernerwartungen zu überfrachten. Gerade weil die nordrhein-westfälischen Gedenkstätten ihren Ursprung in „erkämpften Orten“ hatten, seien diese Entstehungskontexte als Streitgeschichte interessant für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen. Sie zeigen, so die Erziehungswissenschaftlerin, dass der offizielle Erinnerungsauftrag der Einrichtungen nicht „einfach da“ sei, sondern Ergebnis langjähriger zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzungen war. Eine solche „forschende Gedenkstättenpädagogik“ könne das Interesse aller Besucherinnen und Besucher wecken und verdeutlichen, dass unabhängig von individuellen Herkünften alle Bewohnerinnen und Bewohner des Landes eine staatsbürgerliche Verantwortung für die Gegenwart tragen würden. In der Diskussion plädierte Prof. Messerschmidt dafür, dass Gedenkstätten Orientierung durch Angebote zur „Nicht-Identität“ schaffen sollten, also allen Besucherinnen und Besuchern verdeutlichen sollen, dass man auch Teil der Gesellschaft sein kann, wenn man „anders“ ist.

Praxisbeispiele aus Israel und NRW: Gedenkstättenpädagogik in der Migrationsgesellschaft

Die weiteren Panels nahmen jeweils wechselweise die israelische und die deutsche Perspektive auf diese eingangs geschilderten Herausforderungen auf. Deutlich wurde dabei vor allem, dass die deutsche Gedenkstättenpädagogik zur Zeit durch die Frage nach dem Umgang mit geflüchteten Menschen geprägt ist, während die israelische Erinnerungskultur durch die extrem heterogenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb des Staats schon seit längerem herausgefordert wird. Dennoch kristallisierten sich in den Vorträgen und anschließenden Diskussionen auch Gemeinsamkeiten heraus. Durch die drei Panels führten mit Kirsten John-Stucke (Leiterin d. Gedenkstätte Wewelsburg), Clemens Heinrichs (Leiter d. Gedenkhalle Oberhausen) und Dr. Werner Jung (Leiter d. NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln) drei Vorstandsmitglieder des Arbeitskreises.

Aus der Praxis in Israel berichtete zunächst Yael Richler-Friedman, Leiterin der Abteilung für israelische Schulgruppen in der International School for Holocaust Studies (ISHS). Bei ihrer Arbeit in Yad Vashem werde vor allem deutlich, dass die Unterschiede zwischen unterschiedlichen israelischen Gruppen, selbst innerhalb der jüdischen Gemeinschaften, so groß seien, dass sie unterschiedliche Programme für diese Besuchsgruppen anbieten müssen. Yad Vashem ist die weltweit größte Holocaust-Gedenkstätte und durch die Kooperationen mit über 38 Nationen weitgehend international geprägt. Ihr Bildungsauftrag lautet, jedem Opfer einen Namen zu geben, und darüber hinaus jüdisches Leben als solches auch vor und nach dem Holocaust darzustellen, um es nicht auf das Leid und die Verfolgungsgeschichte in der NS-Zeit zu reduzieren. Außerdem steht die Frage nach der individuellen Verantwortung von Individuen und den Konsequenzen menschlicher Entscheidungen im Mittelpunkt. Jenseits von Täter-, Opfer- oder „Mitläufer“-Kategorisierungen bietet Richler-Friedman folgend der Begriff der „Nachbarn“ einen Anknüpfungspunkt, um mit Jugendlichen über Entscheidungen und moralisches Verhalten in Extremsituationen zu diskutieren. Aus ihrer Arbeitspraxis heraus machte sie deutlich, dass die unterschiedlichen Gruppen der israelischen Gesellschaft nicht nur unterschiedliche Sprachen sprechen, sondern beispielsweise auch in unterschiedlichen Bild- und Symbolsprachen denken. Dementsprechend sei im Sinne einer Zielgruppenorientierung in ihrer Arbeit die Frage ständig präsent, was man welcher Gruppe auf welche Art und Weise erzähle, welche Zugänge aber womöglich auch nicht funktionieren.

Weitere Beispiele gaben Daniela Ozacky-Stern und Noam Leibman, die im Moreshet Center for Holocaust Studies and Education Bildungsprogramme für unterschiedliche, vor allem arabische Jugendliche in Israel anbieten. Das Center ist an Givat Haviva angeschlossen, die unter anderem in mehrtägigen Seminaren gegenwärtige gesellschaftliche Ungleichheiten in Israel aufzeigen und Handlungsanleitungen zum Abbau von Vorurteilen und zur Erhöhung von Chancengleichheit vermitteln. Didaktische Konzepte wie ein biographischer Ansatz eignen sich dabei zur Arbeit mit allen Besuchsgruppen, unabhängig von ihrer Herkunft. Deshalb hat das Moreshet Center als eine der ersten Einrichtungen Geschichten von Verfolgten mit entsprechenden Erläuterungen auf arabischer Sprache veröffentlicht. Gleichwohl müsse man sich der Beschränktheit der eigenen Einflussmöglichkeiten bewusst sein, wie Noam Leibman betonte, und die jugendlichen Gäste dafür vielmehr in ihrer Lebenswelt abholen. Wenn beispielsweise arabische Jugendliche den Umgang der israelischen Regierung mit Palästinensern mit dem Holocaust gleichsetzen, so sei das als Gesprächsanlass zu verstehen, und nicht kategorisch abzulehnen.

Auch Yarif Lapid hat als Leiter des Center for Humanistic Education im Ghetto Fighters‘ House Museum umfassende Erfahrungen mit multiethnischen Lerngruppen gesammelt. Von der Grundannahme ausgehend, dass die allermeisten Menschen humanistisch denken und nach Zusammenschlüssen suchen würden, zielt seine Arbeit mit Jugendlichen aller Bevölkerungsgruppen Israels auf den Dialog. Konkrete Verfolgtenschicksale aus der NS-Zeit bilden die Ausgangslage für Diskussionen über gegenwärtige Diskriminierungsphänomene in Israel. Als ein Alleinstellungsmerkmal der pädagogischen Arbeit betreut das Team um Lapid die Besuchsgruppen dabei mindestens 60 Stunden, in der Regel knapp 100 Stunden lang - entsprechend nachhaltig ist der Anspruch ihrer Einrichtung. Ähnlich wie es bereits Astrid Messerschmidt am Vormittag forderte, plädierte auch Yarif Lapid angesichts der unterschiedlichen innerisraelischen Holocaust-Narrative dafür, Geschichte immer als verhandelten Gegenstand darzustellen, um dann diese unterschiedlichen Sichtweisen auf die Vergangenheit zu reflektieren. In den grundsätzlich dialogisch und interaktiv ausgerichteten Modulen möchte er deshalb keine Redeverbote geben und zunächst auch Vergleiche zwischen einzelnen historischen Gewalterscheinungen zulassen. Aber, das machte er auch deutlich, es gibt sehr wohl einen Unterschied zwischen „vergleichen“ und „gleichsetzen“.

Die Frage, inwiefern an Gedenkstätten vor allem historische Bildung oder eher auf die Gegenwart zielende Erziehung zu Toleranz und Empathie im Vordergrund stehen sollen, sorgte für intensive Diskussionen. Inwieweit in zeitlich begrenzten Gedenkstättenbesuchen historisches Wissen über den Holocaust im Zweifel den Vorrang vor einem emotional ausgerichteten Kompetenzerwerb zur Orientierung in einer humanistischen, demokratischen Gesellschaft der Gegenwart haben soll, ist nicht nur eine deutsche Debatte. Auch zwischen den israelischen Kolleginnen und Kollegen wird diese Gewichtung diskutiert. Dass eine nachhaltige und fundierte „Holocaust-Education“ idealerweise beides miteinander verbinde, resümierte Dr. Noa Mkayton, Leiterin der europäischen Abteilungen in der ISHS Yad Vashem, und fasste das Panel so zusammen.

Die israelischen Beiträge wurden durch Vorträge mit Beispielen aus der nordrhein-westfälischen Gedenkstättenlandschaft ergänzt: Dennis Grunendahl und Viktoria Heppe präsentierten das von der Landeszentrale für politische Bildung NRW geförderte und institutionell an den Geschichtsort Villa ten Hompel sowie die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund angebundene Projekt „Willkommensstätten“. Mit Bezug auf Astrid Messerschmidt betonten sie, dass Gedenkstätten bereits seit Jahren zielgruppenorientiert arbeiten und sich sensibel auf Besuchsgruppen einstellen. Dementsprechend böten sie als offene Räume günstige Voraussetzungen, um mit Zugewanderten ins Gespräch zu kommen. Das Projekt „Willkommensstätten“ möchte in naher Zukunft nicht nur eigenen didaktisches Material entwickeln, sondern ein „Monitoring“ der Angebote für Geflüchtete in nordrhein-westfälischen Gedenkstätten durchführen, um einen Überblick über die pädagogischen Programme zu erhalten.

Auch Barbara Kirschbaum vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln und Jennifer Farber vom IP Vogelsang berichteten aus ihrer Gedenkstättenpraxis. In der Akademie IP Vogelsang stellt sich dabei nicht nur die Herausforderung, an einem „Täterort“ über Verfolgungsgeschichten zu sprechen, sondern sind in unmittelbarer Nachbarschaft auf dem Gedenkstättengelände zurzeit auch rund 100 Geflüchtete in Notwohnungen untergebracht. Das Konzept der Gedenkstättenmitarbeiter vor Ort: Die „Räume zu öffnen“, um Gespräche zwischen Bewohnern und Besuchern dieses Ortes zu ermöglichen. Tatsächlich seien durch das Angebot gemeinsamer Kaffee- und Pausenplätze bereits spontane, gemischte Rundgänge entstanden. Und auch das NS-Dokumentationszentrum Köln, das sich im EL-DE-Haus und damit einem ehemaligen Gestapogefängnis befindet, steht als „Täterort“ vor einer besonderen Herausforderung: Zellen und bunkerähnliche Einrichtungen haben bereits vereinzelt bei Gästen mit Flucht- oder gar Gewalt- und Foltererfahrungen Traumatisierungen ausgelöst, auf die es auf Seiten des Gedenkstättenpersonals zu reagieren galt. Hier durch Schulungen, aber beispielsweise auch ein heterogen zusammengesetztes Team vorbereitet zu sein, ist Barbara Kirschbaum folgend als eine wichtige zukünftige Aufgabe zu verstehen.

Schließlich konnte Dr. Stefan Mühlhofer, Leiter der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund, noch von einer anderen, aber nicht weniger herausfordernden Erfahrung berichten: Durch beharrliche und langfristige Arbeit mit andere zivilgesellschaftlichen Trägern versucht die Dortmunder Einrichtung, gegen den in der Stadt teils präsenten Rechtsextremismus anzugehen. Dass Gedenkstätten dabei von unterschiedlichsten Akteuren mit vielfältigen Erwartungen überladen werden, teils gar die Vorstellung vorherrsche, durch einen Gedenkstättenbesuch Rechtsextremisten „bekehren“ zu können, sei dabei eher hinderlich als förderlich. Gleichwohl verdeutliche der Blick zurück, dass die jahrzehntelange, engagierte Gedenkstättenarbeit Rassismen zwar nicht habe eliminieren können, aber der politische Rechtsextremismus es im internationalen Vergleich in Deutschland doch wenigstens schwerer habe, sich öffentlich zu artikulieren. Und das sei auch als Verdienst der Gedenkstätten zu verstehen, schloss Dr. Mühlhofer das letzte Panel des Tages.

Blick nach vorne: Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen vertiefen

In einer abschließenden Diskussion wurden vor allem Perspektiven zukünftiger Kooperationen und inhaltlicher Herausforderungen abgesteckt. Moderator Dr. Hans Wupper, Referatsleiter für Gedenkstättenförderung und Erinnerungskultur innerhalb der Landeszentrale für politische Bildung NRW, ließ in Kleingruppen diskutieren, was für die deutschen und israelischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer neu, was überraschend und was inspirierend war. Dabei wurde deutlich, dass bei allen Unterschieden der Blick auf die jeweils anderen Gedenkkulturen auch die eigenen Positionierungen und Praktiken schärft. Dass diese Einschätzungen Yael Richler-Friedmans und Dr. Noa Mkaytons von Yad Vashem auch für die deutsche Seite gelten, machten stellvertretend für den Arbeitskreis Kirsten John-Stucke, Clemens Heinrichs und Dr. Werner Jung deutlich. Um die während des Workshops entwickelten Ansätze nun in die Praxis umzusetzen, möchten israelische und nordrhein-westfälische Gedenkstättenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter kleinere Arbeitsgruppen bilden, um konkrete inhaltliche und methodische Workshops zu entwickeln, wie Prof. Dr. Alfons Kenkmann mit Bezug auf einen Vorschlag Yarif Lapids einen Ausblick gab. Außerdem möchte er in seiner Funktion als Mitglied der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission versuchen, die israelischen Kolleginnen und Kollegen in die Weiterentwicklung deutscher Schulgeschichtsbücher einzubinden. Schließlich überlegte Deborah Hartmann, für Israel ein Netzwerk zu gründen, in dem sich israelische Gedenkstätten austauschen können. Als Vorbild könne dabei der Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte dienen, der die unterschiedlichen Einrichtungen Nordrhein-Westfalens seit mehr als 20 Jahren miteinander vernetzt, gemeinsame Projekte ermöglicht und gegenüber (internationalen) politischen Akteuren vertritt.

Weiterreise durch Nordrhein-Westfalen: Täterforschung im Kontext der Erinnerung an NS-Opfer

So wie Yad Vashem Entscheidungssituationen von Menschen in historischer Perspektive in den Blick nimmt, um die daraus folgende Verantwortung für menschliches Handeln darzustellen, rückt die Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern auf israelischer Seite zunehmend in den Fokus. Deshalb führte die Delegationsreise die israelischen Gäste im Anschluss an den Workshop in Essen zunächst in die Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg und anschließend in den Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster.

In der Wewelsburg macht die Dauerausstellung „Ideologie und Terror in der SS“ die Geschichte der Schutzstaffel der NSDAP zum Thema, die für den millionenfachen Mord in ihren Konzentrations- und Vernichtungslagern verantwortlich war. Aus gedenkstättenpädagogischer Frage stellte sich für die israelischen Gäste vor allem die Frage, wie man mit einem historischen Ort umgehen soll, den die SS als ideologische Kultstätte nutzen wollte. Gerade der Ansatz, durch den Blick auf die Opfer und eine klare Benennung der individuellen Verantwortung von Tätern mit der mystifizierten Umgebung zu brechen, wurde von israelischer Seite gelobt. Denn in der Gedenkstätten stehen neben dem Blick auf die SS-Täter, ihr Selbstverständnis und ihr Verfolgungssystem explizit deren Opfer im Fokus: Einzelschicksale der Häftlinge des benachbarten KZ Niederhagen, die unter anderem beim Umbau der Wewelsburg nach nationalsozialistischen Vorstellungen eingesetzt, brutal misshandelt und getötet wurden, sind in die Dauerausstellung integriert. Abschließend besuchte die Delegation noch die Denkmäler am Ort des ehemaligen Konzeptrationslagers. Zuvor machte sie sich noch ein Bild von der pädagogischen Arbeit ihrer deutschen Kolleginnen und Kollegen um Gedenkstättenleiterin Kirsten John-Stucke. Mit historisch-politischer Bildung durch verschiedene Standpunkte, die Täter-, Mitläufer- und vor allem Opferperspektive, auch Orientierungen für ein verantwortungsbewusstes Handeln in der Gegenwart zu bekommen, verbindet dabei die Ansätze der Gastgeber und Gäste.

Am Nachmittag präsentierten Dr. Christoph Spieker als Leiter der Einrichtung, Stefan Querl und Thomas Köhler den israelischen Gästen den Geschichtsort Villa ten Hompel. Auch dieser ist durch den historischen Ort an eine bestimmte Tätergruppe gebunden: Als ehemaliger Sitz der Ordnungspolizei thematisiert die Dauerausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ insbesondere die Beteiligung „ganz normaler“ Polizisten und fragt, in welchen Konstellationen Menschen zu Mördern werden. Jan Hendrik Issinger widmete sich in seiner Dissertation dem Polizeibataillon 61 und damit einer dieser Tätergruppen, die sich weitgehend aus Männern der Region rekrutierte. In einem Vortrag präsentierte er seine jüngsten Erkenntnisse: Die Polizisten beteiligten sich bereitwillig am Massenmord, bereicherten sich an den Opfern und gingen dabei teils weit über die Befehlslage hinaus. Wie man mit diesen Erkenntnissen auf wissenschaftlicher und pädagogischer Arbeit im Geschichtsort umgeht, war anschließend Thema mehrerer Kleingruppendiskussionen. Dass von den mehreren tausend Tätern innerhalb der deutschen Polizei ein Großteil nach 1945 auch in der Demokratie ihren Dienst taten und nur drei (!) von ihnen rechtskräftig verurteilt wurden, empfanden die israelischen Gäste als besonders skandalös. Dass die Integration der belasteten Mehrheit auf Kosten der im Nationalsozialismus zu „Außenseitern“ gestempelten und verfolgten Minderheiten erfolgt sei, betonte Dr. Christoph Spieker mit Verweis auf die weiteren Themen der Dauerausstellung in der Villa ten Hompel.

Jüdisches Leben in der Geschichte und Gegenwart Deutschlands und ein zufriedenes Fazit

Der letzte Tag führte die israelische Delegation dann noch zu zwei weiteren Einrichtungen, die die Vielfalt der nordrhein-westfälischen Gedenkstättenlandschaft verdeutlichen. Zunächst stand das Humberghaus in Dingden auf dem Plan. Exemplarisch zeigt der Geschichtsort, wie jüdisches Leben in einer deutschen Kleinstadt im 20. Jahrhundert aussah und wie sich schließlich die politischen und bürokratischen Akteure an der nationalsozialistischen Verfolgung der Familie Humberg beteiligten. Auch bei dem folgenden Besuch der Mahn- und Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus in Düsseldorf und der jüdischen Gemeinde in der Landeshauptstadt standen jüdisches Leben und Kultur in Geschichte und Gegenwart Deutschlands auf dem Tagesprogramm. Hilde Jakobs, die als stellvertretende Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte schon die gesamte Reise begleitete.

Am späten Nachmittag übergaben die Vertreterinnen und Vertreter von Yad Vashem schließlich noch einen beeindruckenden Bestand von Büchern aus den eigenen Reihen an die Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Duisburg. Eine Abordnung dieser Forschungseinrichtung unter Leitung von Prof. Dr. Sabine Mecking hatte bereits im vergangenen Jahr Yad Vashem besucht – ein weiteres Beispiel der vielfältigen Beziehungen zwischen Israel und Nordrhein-Westfalen auf unterschiedlichen geschichtswissenschaftlichen, behördlichen und erinnerungskulturellen Ebenen.

Vor allem der Workshop am Montag, aber auch die Gedenkstättenbesuche am Dienstag und Mittwoch zeigten, dass beide Seiten von einem konstruktiv-kritischen Austausch profitieren. Denn sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Israel haben sich die Gedenkstättenmitarbeiter und -mitarbeiterinnen schon seit längerer Zeit auf heterogenere Besuchsgruppen eingestellt und deren Potenziale erkannt. Gleichwohl werden die Herausforderungen in der Zukunft nicht geringer, wie die Beispiele aus der Praxis während des Workshops am Montag gezeigt haben. Hier in gemeinsamen, internationalen Arbeitsgruppen neues Material und neue Konzepte zu entwickeln, soll den diesjährigen Fachaustausch nachhaltig werden lassen.

Beide Seiten können außerdem die Perspektiven, die sich aus einer qualitativ anspruchsvollen Verbindung von Täterforschung und individuellen Verfolgtenschicksalen ergeben, noch umfassender nutzen. Dass auch dazu der deutsch-israelische Austausch nicht abreißen darf, sondern im Gegenteil intensiviert werden muss, waren sich stellvertretend für alle Beteiligten Dr. Hans Wupper für die Landeszentrale, der Vorstand des Arbeitskreises und Deborah Hartmann aus Yad Vashem einig.

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