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Das Leben der Anne Frank in vier Farben

Buchvorstellung von Andreas Maus' Künstlerbuch "Ausgelöscht für immer. Anne Frank"

Verfasst am 10. April 2024

Die Literatur über das Leben von Anne Frank füllt meterweise Bibliotheksregale. Die 1934 nach Amsterdam geflohene Jüdin aus Frankfurt am Main ist durch ihr dort verfasstes Tagebuch einer der bekanntesten biographischen Zugänge zur Gewaltgeschichte des "Dritten Reichs". Aus diesem Grund versuchen Historiker*innen seit Jahrzehnten, das Lebensschicksal von Anne Frank und ihrer Familie bis zur Ermordung im Konzentrationslager Bergen-Belsen in möglichst vielen Nuancen nachzuzeichnen. Der Kölner Künstler Andreas Maus benötigt dafür nur vier Farben - dennoch gelingt es ihm anschaulicher und eindringlicher als den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen, die durch ihre große Fußnotendichte eher an Bleiwüsten erinnern.

Andreas Maus ist 1964 in Köln geboren und zeichnet und gestaltet von Kindertagen an, später kamen Bildhauerei und Collagetechniken hinzu. Seit 2012 ist er als Künstler im Künstlerhaus KAT18, dessen Förderverein "Kunst und Begegnung in der Stadt" das Anne Frank-Buch herausgibt. In diesem zwischen 2020 und 2021 entstandene Werk befasst sich Maus mit individuellen Gewalterfahrungen und deren systemischen Entstehungskontexten - in den Jahren 1933 und 1945 und darüber hinaus bis in die Gegenwart. Damit beabsichtig der Kölner nach eigener Aussage, das "Geschichtsbewusstsein der Deutschen mal aufzupolieren." Für seine Kunst wurde Maus 2021 mit dem "Euward Preis" (Europäischer Kunstpreis für Malerei und Grafik im Kontext geistiger Behinderung) ausgezeichnet und durfte seine Kunstwerke im Haus der Kunst in München ausstellen.

Mit seinen vier Kugelschreibern in den Farben Schwarz, Grün, Rot und Blau schuf Maus eine bildgewaltige Verbindung zwischen Anne Franks Leben und den Verbrechen und der Brutalität der Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945. Ihren besonderen Ausdruck erhalten die Bilder durch Maus' unverkennbare Handschrift: Er füllt die Flächen nicht einfach aus, sondern illustriert sie durch Muster, beispielsweise durch Kreise oder Gitter. Diese Gestaltungsform lässt einerseits die Familienszenen der Franks fröhlich und heiter scheinen und andererseits die Folter- und Kriegsszenen als besonders grauenvoll. Jede der 152 Seiten des Künsterbuches erhält dabei eine kurze textuelle Einordnung.

Der Aufbau folgt nur in kleineren Abschnitten einer Chronologie. Das Buch beginnt mit einer Schilderung von Anne Franks Familiengeschichte, die mit einer Deportation in die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen ein Ende findet. Dies biete den Anschluss für ausführlich dargestellte Szenen von Folter im "Dritten Reich" zwischen 1933 und 1945. Die Foltermethoden sind kontrafaktisch aus dem Mittelalter entlehnt. Diesen Kunstgriff erläutert Maus mit dem Hinweis "Hitler hatte Deutschland ins tiefste Mittelalter zurückgeworfen". In weiteren Abschnitten verdeutlich der Künstler die verschiedenen Kampfakte und Gräueltaten des nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungskrieges. Dabei lässt der Künstler kaum einen historischen Wegpunkt aus: Auch das Attentat auf Hitler, der Aufstand im Warschauer Ghetto, die Ermordung der Geschwister Scholl und der Mord an Behinderten und Kranken schlägt sich in Maus' Zeichnungen nieder.

Drei Textseiten verbinden schließlich das individuelle Schicksal der Anne Frank, nationalsozialistische Verbrechen und heutige Erinnerungsarbeit: "Mit 15 Jahren jung mußte die Anne Frank sehr früh unschuldig sterben als Jugendliche. Ausgelöscht für immer bedeutet nicht, daß wir vor allem Deutsche die Anne Frank aus unserem Gedächtnis streichen".

Maus gelingt durch seinen persönlichen Zeichenstil den starken Kontrast zwischen dem unbeschwerten Familienglück und dem Terror der Nazi-Herrschaft herzustellen. In konsequenter und drastischer Art stellt er dann die Entmenschlichung der nationalsozialistischen Gewalt gegen Jüd*innen und Menschen mit Behinderung dar. Auf diese Weise will Maus "die heutige Generation auch davor warnen, dass so etwas nicht mehr wiederkommt." So entfaltet das Künstlerbuch auch in Bildungs- und Vermittlungskontexten großes Potential. Besonders für Jugendliche oder neurodiverse Menschen bietet das Künstlerbuch einen niederschwelligen Zugang für ein herausforderndes Thema. Es tauscht faktenlastige Sachtexte und überwältigende, fotographische Quellen gegen Imagination und Reduktion, um neue Interpretationsmöglichkeiten und Perspektiven zu liefern.

von Lukas Alex

Informationen zum Buch

Das Original des Buches wurde von der Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik angekauft. Von dem Honorar wurde ein Nachdruck finanziert, der bei dem Kölner Kunstverlag Strzelecki Books erschienen ist. Das Buch umfasst 152 durchgehend illustrierte Seiten im Hardcover, inklusive einem 8-seitiges Booklet mit einem Gespräch von Andreas Maus und dem Journalisten Jörg Jung.

Erhältlich in jeder Buchhandlung oder direkt beim Verlag unter: Strzelecki-books.com

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